| # taz.de -- Stadtplanerin über Wohnen in der Zukunft: „Sparen können Sie nu… | |
| > Derzeit läuft eine Internationale Bauausstellung in Wien. Die Architektin | |
| > Bettina Götz erzählt, warum experimentelles Wohnen mehr Thema werden | |
| > muss. | |
| Bild: Musterwohnung eines Wiener Gemeindebaus | |
| taz: Frau Götz, in Wien läuft jetzt die Schlusspräsentation der | |
| Internationalen Bauausstellung (IBA). Was halten Sie davon? | |
| Bettina Götz: Da muss man jetzt unterscheiden, was diese Internationalen | |
| Bauausstellungen machen. In Berlin gäbe es das ganze Hansaviertel nicht | |
| ohne eine IBA. Das war extrem wichtig. In Wien ist die IBA aber eher so, | |
| dass sie einfach nur den Titel übernommen hat, aber jetzt Projekte | |
| präsentiert, die sowieso gemacht werden. Die laufen jetzt einfach unter IBA | |
| und werden anders vermarktet. Schade ist zum Beispiel, dass es nicht | |
| gelungen ist, wirklich wieder experimentellen Wohnbau zu probieren. | |
| Ist trotzdem etwas Nennenswertes dabei? | |
| Da sind schon gute Projekte bei. Aber das Niveau ist generell hoch. Wien | |
| hat seit hundert Jahren, [1][seit dem roten Wien in den 1920er Jahren], | |
| kontinuierlich geförderten Wohnbau errichtet. Die Stadt hat das richtig | |
| gemacht in den letzten Jahrzehnten. Sie sichert sich Grundstücke, wo | |
| geförderter Wohnbau entstehen kann. | |
| Wie sehr beeinflusst das Kriterium der Ökonomie die Qualität der | |
| Bausubstanz? | |
| Mittlerweile sehr. Man braucht sich nur umzuschauen. Die momentane | |
| Marktlage ist für Wohnbau extrem schwierig, weil die Baupreise durch die | |
| Decke gehen. Aber das geht schon seit einigen Jahren so. Jedes Mal, wenn | |
| wir ein Projekt fertig haben, dann wissen wir, so geht es nicht mehr. Weil | |
| sich die Bauordnung ändert, weil es zu teuer wird, weil die Ansprüche sich | |
| ändern. | |
| Welche Strategien gibt es dagegen? | |
| Die Stadt Wien hat das sogenannte Smart-Wohnbauprogramm erfunden, wo die | |
| Wohnungen immer kleiner werden, damit die Mieten billig bleiben. Das ist | |
| aber eine Milchmädchenrechnung. Die kleine Wohnung ist im Verhältnis zur | |
| größeren sehr viel teurer in der Errichtung. Auch bei der kleinen Wohnung | |
| brauche ich die installierten Zonen, ich brauche immer Küche, Bad, Heizung | |
| und die ganze Haustechnik. Was Sie bei einer Wohnung sparen können, ist | |
| eigentlich nur die Luft, das sind nur die Quadratmeter, die Zimmergröße. | |
| Das sind diese Einpersonenwohnungen, die früher in Wien Garçonnièren | |
| hießen? | |
| Jetzt heißen sie Smart-Zweizimmerwohnung. Nur ist das nicht nachhaltig. | |
| Prinzipiell muss die Möglichkeit der einfachen, späteren | |
| Wohnungszusammenlegung bzw. Nutzungsänderung mitgedacht werden, um eine | |
| flexible und zukunftsfähige Gebäudestruktur zu erhalten. Dazu brauchen wir | |
| Bausysteme, die ohne tragende Wohnungstrennwände auskommen. | |
| So ein System haben wir beispielsweise unter dem Namen SMAQ mit Kollegen | |
| entwickelt und als Prototyp in St. Pölten gebaut. Das Tragsystem besteht | |
| nur aus Stützen und Deckenplatten – alles andere wird als reversibler | |
| Leichtbau eingestellt. Ein hoher Vorfertigungsgrad verkürzt die Bauzeit auf | |
| der Baustelle und damit müsste das Bauen günstiger werden. Die angespannte | |
| Marktsituation fördert derartige experimentellere Ansätze derzeit leider | |
| gar nicht. | |
| Sind Solarpaneele am Dach und Fassadenbegrünung inzwischen vorgeschrieben? | |
| Die sind mittlerweile in der Bauordnung. Die Vorschrift zu den alternativen | |
| Energiesystemen gibt es schon länger, die Fassadenbegrünung ist noch neu. | |
| Es wird sich zeigen, wie die Bewohner*innen das annehmen. Eine | |
| funktionierende Fassadenbegrünung braucht viel Pflege. Derzeit ist ein | |
| großes innerstädtisches Quartier in Planung – Village im Dritten – wo | |
| sowohl Fassadenbegrünungen als auch Geothermie und neue Energiesysteme im | |
| geförderten Wohnbau zur Anwendung kommen. | |
| Wir haben bisher von gefördertem Wohnbau gesprochen. Wie ist das mit den | |
| Gemeindebauten in Wien? | |
| Da sind fast 30 Jahre keine mehr gebaut worden, weil man das auf die | |
| Genossenschaften ausgelagert hat. Erst in allerletzter Zeit hat der | |
| kommunale Wohnungsbau wieder begonnen, um noch günstiger zu sein. Aber das | |
| ist ein kleiner Anteil der Wohnungen, die in Wien gebaut werden. | |
| Die Qualität von Gemeindebauten ist sehr unterschiedlich, wenn man die | |
| Avantgardebauten des roten Wiens der 1920er Jahre mit den Bettenburgen der | |
| 1970er Jahre vergleicht. | |
| Schon in den 1920er Jahren gab es Diskussionen zwischen der | |
| architektonischen Avantgarde und den etablierten Architekten des | |
| Gemeindebaus. Die Höfe sind repräsentativ nach außen und identitätsstiftend | |
| in der Stadt. Aber wenn man hineingeht in die Wohnungen, sind diese meist | |
| sehr klein und wenig fortschrittlich. Adolf Loos und Josef Frank zum | |
| Beispiel propagierten das Gegenteil, drangen aber nicht weit durch damit. | |
| Sie waren sehr an den Qualitäten der einzelnen Wohnung interessiert und | |
| nicht an einem repräsentativen Erscheinungsbild nach außen. | |
| In den 70er Jahren sind dann viele Plattenbauten errichtet worden, also | |
| Wohnbauten aus Betonfertigteilelementen, die schnell und günstig zu | |
| errichten waren, aber äußerst unflexibel für Veränderungen, da jede Wand | |
| tragend ist. | |
| Seither weiß man, dass es keine gute Idee ist, wenn man städtebaulich | |
| solche Großsiedlungen anlegt ohne Durchmischung. Eine Bauaufgabe der | |
| nächsten Jahrzehnte wird sein, wie wir diese Siedlungen zu lebenswerten | |
| Quartieren machen, und den Gebäudebestand sinnvoll nutzen. Beispiele dazu | |
| gibt es bereits, wenn wir [2][an die Projekte der letzten | |
| Pritzker-Preisträger Lacaton & Vassal] in Frankreich denken. | |
| Gibt es so was wie avantgardistisches Bauen im Wohnbau in Wien? | |
| In den 60er und 70er Jahren hat es ein Programm gegeben, das hieß „Wohnen | |
| morgen“. Unter dem Titel sind experimentelle Bauten gemacht worden. Da gibt | |
| es einen sehr schönen Bau von Wilhelm Holzbauer. So was wäre eben gut | |
| wieder als Programm. | |
| Etwas Vergleichbares gibt es heute nicht? | |
| Momentan nicht. | |
| Wie ist es mit Holzbau? | |
| Da tut sich viel. Aber momentan ist Holz knapp und so teuer, dass das | |
| wieder stockt. Und in Wien entwickelt sich der Brandschutz extrem | |
| restriktiv. Sobald man mehrgeschossig in Holz bauen will, wird es teuer und | |
| kompliziert. | |
| Wenn man Wien und Berlin vergleicht, was die Wohnbaustrategie betrifft, was | |
| kann die eine Stadt von der anderen lernen? | |
| Wien hat seit vielen Jahrzehnten konstant 6.000 bis 7.000 geförderte | |
| Wohnungen im Jahr gebaut. Der geförderte Wohnbau wird in erster Linie über | |
| die Genossenschaften abgewickelt und über Bauträgerwettbewerbe vergeben. | |
| Diese qualitätssichernden Strategien sind sicher Vorbild. Berlin hat | |
| jahrzehntelang keinen eigenen Wohnbau gemacht und muss erst wieder passende | |
| kommunale Strukturen etablieren. Dafür hat sich in Berlin das private | |
| Baugruppenmodell entwickelt. Das ist interessant, weil da die zukünftigen | |
| Nutzer direkt eingebunden sind. Auf dieser Ebene können experimentellere | |
| Ansätze entwickelt und ausprobiert werden, die anschließend vielleicht auch | |
| in größerem Umfang wirksam werden. | |
| 28 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
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