# taz.de -- Erziehungswissenschaftler über Schulbau: „Architektur wird sozia… | |
> Weil Hamburg wächst, wird es eng an den Schulen. | |
> Erziehungswissenschaftler Christian Rittelmeyer findet, Schulen müssen | |
> für Kinder überschaubar sein. | |
Bild: Eine Art Heimat sollten Schulbauten für Kinder sein | |
taz: Herr Rittelmeyer, wie sollte eine Grundschule gebaut sein? | |
Christian Rittelmeyer: Nach unserer Forschung wünschen sich Kinder ein | |
überschaubares Areal. Es sollte viel Grün dort sein, viel Natur und freie | |
Spielfläche. Die Bauten sollten nicht zu groß, sondern in kleine Einheiten | |
zergliedert sein. | |
Hamburg plant Grundschulen mit sechs oder gar sieben Zügen. Ist das ein | |
Problem? | |
Ein großes Problem. Kinder stören sich an großen Menschenansammlungen. Sie | |
äußern Ängste, dass sie sich darin verlieren. In den USA baute man in den | |
1990ern Megaschulen für 2.000 bis 3.000 Schüler, mit langen Fluren, von | |
denen die Klassen abgehen. Da gab es viel Vandalismus. Die Bauweise wirkte | |
sich negativ auf Lernklima und Lernerfolg aus. Jetzt sind Architekten | |
dabei, die Bauten aufzulockern und Untereinheiten zu schaffen. | |
Klassentrakte werden so gestaltet, dass sie für Schüler eine Art Heimat | |
sind, ein Areal für kleine Gruppen. | |
Sollten Grundschulen aus mehreren Gebäuden bestehen? | |
Planen Sie so einen Bau neu, ist die beste Lösung, wenn er untergliedert | |
ist. In Großbauten sollte es unter Umständen separate Eingänge geben, damit | |
es kein großes Gedränge gibt. | |
Ältere Schulhöfe aus den 1960er-Jahren waren lockerer bebaut. Das gilt | |
heute als Platz-Luxus. Sehen Sie das auch so? | |
Überhaupt nicht. Wir wissen aus der Forschung, wie wichtig das freie | |
Kinderspiel ist. Kinder wünschen sich grüne Natur. Sie wollen einen | |
Naturgarten, keinen Dachgarten. Es sollte kein Asphalt-Schulhof sein, | |
sondern ein Natur-Areal, in dem die Kinder sich verstecken und kleine | |
Gruppen bilden können. | |
Wie groß sollte eine Grundschule sein? | |
Schwer zu sagen. 200 bis 300 Kinder sind schon eine Menge. | |
Ein neuer Bau in Hamburg für Kinder ab Klasse 5 verlegt die Turnhalle unter | |
die Erde. | |
Davon las ich auch. Fensterlose Räume gab es bei Gesamtschulbauten der | |
1970er. Ohne Fenster fühlen sich Schüler besonders eingeschränkt, weil der | |
Blick nicht frei ist. Bei einer Turnhalle kann man drüber streiten, ob das | |
vertretbar ist. | |
In was für Gebäuden fühlen Schüler sich wohl? | |
Wir haben drei Kriterien identifiziert. Ein Schulgebäude sollte erstens in | |
Fassade und Innenraumgestaltung anregend und abwechselnd statt eintönig und | |
monoton sein. Zweitens sollten Form und Farbe freilassend und nicht | |
bedrängend wirken. Drittens sollte die Raumgestaltung eher warm und weich | |
statt kalt und hart anmuten. Wobei ein Naturwissenschaftsraum kühler wirken | |
kann als ein Klassenzimmer. | |
Gilt die Formel ‚Besser mehr kleine Bauten‘ auch für die 5. bis 10. | |
Klassen? | |
Ja, das hat auch die Forschung aus den USA ergeben, wo Megabauten für die | |
Highschools in den 1990er-Jahren sehr verbreitet waren. Grundsätzlich ist | |
eine solche untergliederte Bauweise besser. Wobei heute auch der | |
Energieverbrauch von Gebäuden eine Rolle spielt. Die evangelische | |
Gesamtschule in Gelsenkirchen ist ein Beispiel für eine gelungene | |
Gestaltung. Sie hat Grünbewuchs sogar im Innenbereich. Dort gibt es kaum | |
Vandalismus, obwohl die Schule zu den großen gehört und in einem | |
Brennpunktgebiet liegt. | |
Sie schreiben, es gibt sogar preisgekrönte Schulbauten, in denen Schüler | |
sich unwohl fühlen. Was läuft da falsch? | |
Es gibt eine unterschiedliche Wahrnehmung und Sprache zwischen der Mehrheit | |
der Architekturbüros und Behörden und denen, die diese Schulen nutzen. Es | |
sollten in den Jury-Kommissionen auch Lehrkräfte und Schüler beteiligt | |
sein. Wir brauchen hier eine neue Form der Beteiligung und der | |
Qualitätskontrolle. | |
Sie sagen, es gibt eine Rhetorik des Baumilieus, die dem Pädagogischen | |
widerspricht? | |
Wir baten Schüler, zu einem preisgekröntem Entwurf Stichworte | |
aufzuschreiben. Sie bezeichneten das Gebäude als feindlich, plump, | |
abweisend oder kalt. Architektur wird hier offenbar zu einer sozialen | |
Geste. Dem Schüler wird signalisiert: ‚Hier hat man sich bewusst Mühe für | |
dich gegeben‘ oder ,Ich werde hier nur verwaltet'. | |
Wie gut sind eigentlich Schulen, die 100 Jahre alt sind? | |
Sie können lernförderlicher sein als mancher Neubau. Details können aber | |
problematisch sein. So baute man in der Kaiserzeit mitunter Klassenräume | |
bewusst so, dass Schüler nicht aus den Fenstern blicken können. Da sind | |
Umbauten sinnvoll, da Schüler sich hier eher eingesperrt fühlen. | |
15 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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