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# taz.de -- Terrorbekämpfung in Mali: Mit Dschihadisten reden
> In Mali zeigt sich: Verhandlungen mit Dschihadisten sind politisch
> heikel. Aber ohne solche Initiativen bleiben die Militäreinsätze
> wirkungslos.
Bild: Milizionäre der islamischen Gruppe Ansar Dine
Sollten deutsche Soldaten in Mali Terroristen bekämpfen? Diese Frage wird
in den nächsten Monaten im politischen Berlin immer wieder hochkochen, wenn
die Verlängerung der Bundeswehr-Mandate für die UN- und EU-Missionen Ende
Mai neu diskutiert wird. [1][Verteidigungsministerin Annegret
Kramp-Karrenbauer] forderte bereits ein robusteres Mandat.
Frankreich plant eine neue Anti-Terror-Spezialeinheit „Takuba“ in Mali und
schickt 220 weitere Soldaten zur Verstärkung der eigenen
„Barkhane“-Mission. Doch mehr Militär wird die Krise nur noch
verschlimmern, wenn nicht gleichzeitig politische Verhandlungslösungen mit
allen malischen Akteuren gefunden werden. Die Bundesregierung sollte einen
Strategiewechsel einfordern: Gemeinsam sollten Frankreich und Deutschland
mit der malischen Regierung Dialogoptionen mit Dschihadisten diskutieren.
Die bisherige Strategie [2][wird keine Stabilität im Sahel bringen]. Schon
seit mehreren Jahren sind nicht nur die Franzosen, sondern auch eine
UN-Mission, EU-Missionen und die G5-Staaten vor Ort. Auch 1.100
Bundeswehrsoldaten sind in Mali. Und dennoch hat sich die
Sicherheitssituation gravierend verschlechtert. Nicht nur in Mali werden
Anschläge verübt, auch [3][Burkina Fasos] und Nigers Sicherheit bröckelt.
## Zweifel an der Grand Strategie
Gleichzeitig steigt die Wut vieler Malier gegen die Franzosen, die trotz
ihres jahrelangen Antiterrorkampfs die Sicherheit in Mali nicht verbessern
konnten. Auch in Frankreich ist man sich nicht so sicher, über die
[4][„Grand Strategy“ im Sahel.] Und dennoch scheint man weitermachen zu
wollen wie bisher.
Stattdessen sollte sich Deutschland Frankreich gegenüber für eine
politische Strategie einsetzen, die Verhandlungen mit dschihadistischen
Gruppen anstrebt. Gespräche mit Dschihadisten wären nicht nur ein neuer
Ansatz, der zumindest vielversprechender ist, als nur mehr Soldaten zu
schicken, sondern würde auch der Forderung von malischen Stakeholdern
entsprechen. Schon bei der Konferenz zur nationalen Verständigung 2017
forderten unter anderem zivilgesellschaftliche Organisationen und die
religiöse Führungsperson Mahmoud Dicko die malische Regierung auf, mit Iyad
Ag Ghali und Amadou Kouffa, den wichtigsten Köpfen der Dschihadisten, zu
sprechen.
Auch beim Inklusiven Nationalen Dialog im Dezember wurden Gespräche mit
beiden gefordert. Während Mali in 2017 mithilfe von religiösen und
traditionellen Führungsfiguren versuchte, mit Dschihadisten zu sprechen,
lehnte Frankreich dies ab. Die „missions de bons offices“ wurden
eingestellt. „Wie verhandelt man mit Terroristen? Dies ist ein
unzweideutiger Kampf“, antwortete der damalige Außenminister. Dass sie
französisches Blut an den Händen haben, macht offizielle Gespräche mit
Dschihadisten zu einem politischen Balanceakt.
## Gespräche mit Dschihadisten sind notwendig
Frieden mit Dschihadisten zu verhandeln ist schwierig, aber nicht
unmöglich. In Kolumbien hat es auch geklappt, trotz schwieriger
ideologisch-ökonomischer Konfliktlagen. Auch in Mali haben die Expertinnen
und Experten der Berghof Foundation, die im Auftrag der Bundesregierung an
einer Reihe von Kriegsschauplätzen an stillen Vermittlungslösungen
arbeitet, Ansatzpunkte für Gespräche mit der Gruppe von Ag Ghali, Ansar
Dine, gefunden. Es gebe immer wieder „strategische Wendepunkte“ und
Individuen, die sich für mögliche Gespräche offen zeigen würden. Die NGO
International Crisis Group schlägt konkret vor, mit dem inneren Kreis von
Kouffa Kontakt aufzunehmen. Kouffa habe sich in der Vergangenheit offen für
Dialoge mit Mahmoud Dicko, gezeigt.
Solche Gesprächsformate anzustoßen würde auch dazu führen, dass genauer
analysiert wird, wer die Dschihadisten wirklich sind. Denn was die
internationale Gemeinschaft unter „den“ Dschihadisten versteht, sind ganz
unterschiedliche Gruppen: Manche wollen für ihre Clans oder ihre Region
einfach nur vergleichbare Lebenschancen wie die Menschen in der Hauptstadt
Bamako und haben sich nach Jahrzehnten gewaltsamer Repression in einer
Aufstandsbewegung radikalisiert.
Andere sind vor allem Drogen- oder Menschenschmuggler. Und Dritte sind
verblendete islamistische Ideologen. Oft sind die Motive und Strategien
gemischt – doch diese genau zu analysieren und zu verstehen, wer wirklich
dschihadistische Ambitionen hat, ist zentral für eine effektive politische
Strategie in Mali.
Die Dialoge mit Dschihadisten sollten außerhalb des offiziellen
Friedensabkommens stattfinden, um zu vermeiden, den Dschihadisten die
gleiche Legitimität anzuerkennen wie den Teilnehmenden am Friedensprozess.
Zudem sollten diese vorerst nicht öffentlich stattfinden. Dies könnte das
Risiko eines öffentlichen und politischen Aufschreis minimieren, was ein
schnelles Ende der Gespräche bedeuten könnte.
## Militärisches Engagement weiter nötig
Deutschland sollte sich nicht davor scheuen, diese Option auf den Tisch zu
legen. Frankreich von dieser Idee zu überzeugen wird nicht einfach. Die
Bundesregierung müsste den Franzosen einen gut durchdachten Plan vorlegen
und gleichzeitig bereit sein, im Gegenzug über ein verstärktes deutsches
militärisches Engagement zu diskutieren. Denn militärischer Druck wird
notwendig sein, um Dschihadisten an den Verhandlungstisch zu bekommen.
Verhandlungen mit Dschihadisten sind politisch heikel und erfordern einen
langen Atem. Aber ohne solche politischen Initiativen bleiben die
Militäreinsätze wirkungslos.
Wenn die internationale Gemeinschaft der malischen Regierung immer wieder
signalisiert, dass die finanzielle und militärische Unterstützung wegen des
Antiterrorkampfs immer weiter fließen wird – unabhängig davon, ob sie
notwendige Reformen, politische Verhandlungen und die Umsetzung des
offiziellen Friedensabkommens weiterbringt und den Boden für die
gewalttätigen Gruppen entzieht –, dann schwächt gerade diese Logik der
Terrorismusbekämpfung die eigentlichen Ziele der Europäer: Frieden und
Stabilität.
29 Jan 2020
## LINKS
[1] /Aeusserungen-deutscher-MinisterInnen/!5648837
[2] /Terrorbekaempfung-im-Sahel/!5653662
[3] /Kaempfe-in-Burkina-Faso/!5652718
[4] /Sahel-Gipfel-in-Frankreich/!5652249
## AUTOREN
Melissa Li
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