| # taz.de -- Terrorbekämpfung im Sahel: „Wie Saigon 1974“ | |
| > Wird die Sahelzone in Westafrika das Vietnam der europäischen | |
| > Terrorbekämpfung? Europäische Beobachter schlagen Alarm. | |
| Bild: „Bringen die Bevölkerung gegen sich auf“: Soldaten auf Terroristenja… | |
| Brüssel taz | Baudouin Michel gehört zu jenen Europäern, die seit | |
| Jahrzehnten in Afrika unterwegs sind. Er ist gleichzeitig Professor für | |
| Agronomie an der Universität Gembloux in Belgien, Direktor der | |
| Kaffeeplantagen von Katale tief im Osten der Demokratischen Republik Kongo | |
| und Leiter der Erafit, der UN-finanzierten Kaderschule der Unesco für | |
| Nationalparkverwaltung in Afrika. Jetzt schlägt er gegenüber der taz Alarm: | |
| Die Nationalparks der westafrikanischen Sahelzone sind zum Rückzugsgebiet | |
| islamistischer Terrorgruppen geworden – und die Islamisten befinden sich | |
| auf dem Siegeszug. | |
| „Der Druck der Islamisten auf Westafrikas Schutzgebiete ist enorm“, sagt | |
| Michel. „Besonders in den Nationalparks Arly und W in Burkina Faso. Die | |
| Dschihadisten haben die Parkzentrale in Arly zerstört. Sie kontrollieren | |
| das Gebiet total.“ Er bezieht sich auf einen grenzüberschreitenden Komplex | |
| mehrerer Nationalparks im Länderdreieck [1][Burkina Faso], [2][Niger] und | |
| Benin. Vergangenes Jahr warf die [3][Entführung von Touristen in Benin] ein | |
| Schlaglicht auf die Rolle solcher Schutzgebiete in der Unsicherheit im | |
| Sahel. | |
| Der Sahel, insistiert Michel, sei Afrikas Problemgebiet Nummer eins – bei | |
| der Sicherheit, der Umwelt, der ökonomischen Entwicklung und den | |
| Lebensbedingungen der Menschen. „Es gibt keine Ressourcen mehr. Es sind | |
| arme Länder, es gibt zu wenig Wasser und die Wüste breitet sich aus. Und | |
| nun kommt der Druck der Islamisten dazu.“ | |
| Zwar könne man die Sahelstaaten nicht mit Afghanistan gleichstellen, aber | |
| „es gibt zahlreiche Parallelen“, findet er: ein außer Kontrolle geratenes | |
| Bevölkerungswachstum, eine am Boden liegende Landwirtschaft, fehlende | |
| Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt für die Jugendlichen, korrupte und | |
| schwache Staatsapparate, unbeschränkte Zirkulation von Kleinwaffen, | |
| Aufkommen von saudisch inspirierten radikal-islamischen Strömungen, | |
| uneinnehmbare Rückzugsgebiete für dschihadistische Kämpfer. | |
| ## „Direkt gegen die Wand“ | |
| „Diese Länder fahren direkt gegen die Wand“, sagt Baudouin Michel. „In | |
| Niger hat jedes Ehepaar durchschnittlich 7 oder 8 Kinder, es gibt zu wenig | |
| wirtschaftliche Aktivität, die Leute haben kein Land, kein Wasser, keine | |
| Schulbildung, keine Berufsbildung, und in diesem Kontext kommen die | |
| Islamisten an. Es ist ein allgemeiner Druck quer durch die Sahelzone, ein | |
| Terrorgürtel von Mauretanien bis Somalia, eine Ausbreitung von Unsicherheit | |
| parallel zu der Ausbreitung der Wüste und dem [4][Klimawandel]. In | |
| anderthalb Jahren sind die Islamisten 1.500 Kilometer nach Süden | |
| vorgedrungen, vom Norden Malis bis zur Grenze Benins.“ | |
| Zwei Jahre, bevor im Mai 2019 französische Touristen im | |
| Pendjari-Nationalpark von Benin entführt wurden, hatte Michel eine Studie | |
| über diesen Park erstellt. Er gesteht, die Entwicklung damals nicht für | |
| möglich gehalten zu haben. Die Folgen sind jedenfalls dramatisch: Es kommen | |
| weniger Touristen, der Handel schrumpft, Regierungen nehmen weniger Geld | |
| ein, während sie eigentlich mehr brauchen. | |
| Was könnte man dagegen tun? „Es gibt drei Dinge, die gemeinsam angegangen | |
| werden müssen“, findet Michel. „Geheimdienstliche Aufklärung, Sicherheit | |
| und Entwicklung. Aber Sicherheit gibt es nicht mit den Methoden der Armee | |
| in Burkina Faso. Sie führt einfach Razzien durch, wie es einst im | |
| Algerienkrieg der Fall war, in Vietnam, in Afghanistan.“ Er habe darüber | |
| mit hohen burkinischen Verantwortlichen gesprochen und gesagt: „Ihr führt | |
| einen asymmetrischen Krieg. Euer Feind fährt Motorrad, trägt Jeans, ihr | |
| könnt ihn nicht erkennen, seine Waffe könnt ihr nicht sehen. Die Dorfleute | |
| werden euch nichts verraten, denn wenn sie reden, werden sie abends | |
| umgebracht.“ | |
| [5][Die Armeen der Sahelregion] seien in ihrem jetzigen Zustand zur | |
| Terrorbekämpfung ungeeignet. „Bei den Razzien verhalten sie sich schlecht, | |
| sie vergewaltigen, sie plündern, sie bringen die Bevölkerung gegen sich | |
| auf.“ Nötig sei eine gute geheimdienstliche Aufklärung, „aber in diesen | |
| Bereich wollen sie in Burkina Faso nicht investieren. Niemand hat eine | |
| ganzheitliche Vision.“ | |
| ## Mit Krokodilen gegen Islamisten? | |
| Baudouin Michel ist nicht der einzige Europäer in der Sahelzone, der die | |
| Dinge sehr pessimistisch sieht und an den Fähigkeiten der Regierungen | |
| zweifelt. Seine Sichtweise wird von anderen geteilt, die europäische | |
| Regierungen in diesen Fragen beraten. Einer erzählt, Benins | |
| Generalstabschef habe vorgeschlagen, gegen die Ausbreitung der Islamisten | |
| einen Staudamm zu bauen und dann den Pendjari-Fluss mit Krokodilen zu | |
| füllen, damit er unpassierbar wird. | |
| Der Politologe Marc-Antoine Pérouse de Montclos hat soeben in Frankreich | |
| ein Buch mit dem eindeutigen Titel „Une guerre perdue: la France au Sahel“ | |
| veröffentlicht und analysiert darin, wie die Dschihadisten sich | |
| weiterentwickeln: Sie operieren nicht mehr einfach mit Gewalt und | |
| Einschüchterung, sondern sie fügen sich in die Verwaltung der Regionen ein, | |
| in denen sie militärisch stark sind, und übernehmen so die Kontrolle auf | |
| allen Ebenen. | |
| Auf einer Konferenz in Nigers Hauptstadt Niamey über Konfliktprävention im | |
| Bereich natürlicher Ressourcen in Westafrika, organisiert mit Hilfe der EU | |
| und der deutschen GIZ, trug Pérouse de Montclos vor: „Für einen Viehhirten | |
| ist es billiger geworden, seine Herde in die Gebiete von Boko Haram in | |
| Nigeria oder der Katiba Macina in Mali zu schicken. Er bezahlt die Zakat | |
| (islamische Steuer) und bekommt eine Quittung.“ | |
| Die Islamisten würden die Menschen weniger ausplündern, als es die Behörden | |
| tun. Aus islamistischer Gewalt wird islamistische Verwaltung, auf der | |
| Grundlage lokaler Arrangements oder Stillhalteabkommen. Die Katiba Macina | |
| ernennt bereits Richter zur lokalen Konfliktschlichtung in Regionen, wo die | |
| staatliche Justiz Malis nicht präsent ist. | |
| ## Aus islamistischer Gewalt wird islamistische Verwaltung | |
| „Pérouse de Montclos hat völlig recht“, sagt Michel. „Er sagt, von den | |
| Dschihadisten sind nur 5 Prozent Überzeugungstäter. 20 bis 30 Prozent | |
| wollen sich rächen – für einen Diebstahl, eine Vergewaltigung. Der Rest | |
| sind Arbeitslose.“ | |
| Kein Wunder, dass vor diesem Hintergrund auch das [6][Misstrauen gegenüber | |
| den ausländischen Armeen in der Sahelzone], die allein auf militärische | |
| Schlagkraft setzen, steigt. Die Konferenz in Niamey endete mit einem | |
| mehrheitlich verabschiedeten Appell zum „sofortigen Abzug der ausländischen | |
| Truppen im Sahel“. Unter den Anwesenden waren hohe Staatsbeamte aus den | |
| Sahelstaaten und hohe Offiziere aus Mali und Algerien. | |
| „Das ist hier wie Saigon 1974“, resümiert ein anderer europäischer | |
| Ausländer im Sahel – unter Verweis auf die einstige Hauptstadt Südvietnams | |
| kurz vor dem Fall und den darauf folgenden schmählichen Abzug der USA, der | |
| mit der Flucht aus der Botschaft in Saigon per Hubschrauber endete. „Die | |
| Führungen hier sind nicht vorbereitet und sie machen sich den Ernst der | |
| Lage nicht bewusst. Sie wollen nicht kämpfen. Wenn die ausländischen | |
| Truppen abziehen, halten Bamako, Niamey und Ouagadougou keinen Monat lang.“ | |
| Ein nigrischer Teilnehmer der Niamey-Konferenz, der die | |
| Truppenabzugsforderung ablehnte, warnt, an die Regierungen gerichtet: „Wenn | |
| ihr glaubt, dass die Dschihadisten euch davonkommen lassen – euch, die ihr | |
| mit dem Großen Satan zusammengearbeitet habt, wird man davonjagen oder | |
| hinrichten.“ | |
| 24 Jan 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| François Misser | |
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