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# taz.de -- Wahlen in Mali: Viren oder Terroristen
> Trotz Coronagefahr hält Mali an Parlamentswahlen in gut einer Woche fest.
> Aber die Gewalt ist eine Hürde für glaubwürdige Wahlen
Bild: Wahlkämpferin in Gao, im Bürgerkriegsgebiet des Nordostens von Mali
Bamako taz | Am Donnerstagnachmittag gehörte Mali immer noch zu den ganz
wenigen Ländern auf der Welt ohne einen offiziellen Fall von
Coronavirus-Infektion. Die Gerüchte in der Hauptstadt Bamako lauten jedoch
anders. Fälle, so mutmaßt man, seien bekannt. Sie würden nur nicht
gemeldet. Durch die internationale Eingreiftruppe G5-Sahel, die
französische Antiterroroperation Barkhane und die UN-Blauhelmmission
Minusma gibt es schließlich regen internationalen Kontakt.
Wohl auch, um Gerüchten entgegenzuwirken, kündigte Minusma am Mittwoch ein
Transitzentrum an. Minusma-Personal, das aus einem von Corona betroffenen
Gebiet einreist, geht dort in eine zweiwöchige Selbstquarantäne.
Mit der Spekulation über Corona einher ging die Spekulation, ob Malis
Parlamentswahlen am 29. März möglicherweise ausfallen. Am
Donnerstagnachmittag bestätigte die Regierung: Die Wahlen finden statt, und
zwar egal ob es bis dahin Coronafälle gebe oder nicht, wie Premierminister
Boubou Cissé erklärte. Es gehe „um das Überleben der Nation“.
Denn der Druck zu wählen ist enorm. Es ist eine der Forderungen des
nationalen Dialogs vom vergangenen Dezember. Denn zum letzten Mal wurden
die Abgeordneten [1][2013 gewählt]. Die normale Legislaturperiode ist
eigentlich schon beendet. Ab 2018 wurde mehrfach verschoben.
## Hilflos gegen die Gewalt
Verbessert hat sich die Sicherheitslage seitdem nicht, im Gegenteil. Neben
dem Norden, wo seit acht Jahren bewaffnete islamistische Gruppen aktiv
sind, kommt es aktuell im Zentrum des Landes vermehrt zu Massakern. Aktiv
sind dort Selbstverteidigungsmilizen der Volksgruppen der Peul (Fulani) und
der Dogon, bewaffnete Banden sowie Anhänger des Peul-Dschihadistenpredigers
Amadou Koufa.
Malis Staat erscheint eher hilflos. Mitte Februar wurden im Dorf
[2][Ogassagou] 35 Menschen ermordet. Nach Einschätzung der
Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) war das nur möglich,
weil die malischen Streitkräfte zuvor abgezogen worden waren. UN-Kräfte
waren zwar vor dem Angriff vor Ort, sollen Zeugenaussagen zufolge jedoch in
ein anderes Dorf gelockt worden sein. Die meisten Opfer waren Peul.
Es ist ein besonders schreckliches Beispiel dafür, weshalb sich in Mali
kaum jemand glaubwürdige Wahlen vorstellen kann. Im Stadtteil Badalabougou
der Hauptstadt Bamako winkt man in der Zentrale der Union für Republik und
Demokratie (URD), Partei des Oppositionsführers [3][Soumaïla Cissé], ab: Im
Norden und Zentrum des Landes sei Wahlkampf schwierig bis unmöglich.
Kandidaten hätten Probleme, überhaupt in ihre Wahlkreise zu gelangen. Und
auch im friedlichen Süden gebe es Einschüchterungsversuche.
Glaubwürdigkeit hält auch Issaga Kampo, früherer Vizepräsident der
Wahlkommission, für ein Problem. „Das beginnt mit der Ausgabe der
Wählerkarten“, sagt Kampo. Nur wer eine besitzt, darf auch wählen. Aber
erst seit 7. März werden die neuen biometrischen Karten an die
registrierten Wähler ausgegeben – ein sehr kurzer Zeitraum in einem so
riesigen und unsicheren Land. Nach amtlichen Angaben wurde bis Dienstag
nicht einmal die Hälfte der Karten verteilt.
## Geht überhaupt jemand wählen?
Eine weitere Frage ist, wie sich die bewaffneten Gruppen am Wahltag
verhalten werden. „Es gibt bereits Menschen, die angekündigt haben, nicht
zu wählen“, sagt Kampo. Ein verstärktes Sicherheitsaufgebot am Wahltag
helfe wenig: Die Angst, dass die Dschihadisten hinterher Anschläge verüben,
sei zu groß.
Auch das zeigt, wie abwesend der Staat ist. Viele Orte werden längst von
anderen Gruppierungen kontrolliert. So sind viele Menschen weit mehr mit
der Sicherheitslage beschäftigt als mit den Wahlen. Mitunter wird
geschätzt, dass die Beteiligung bei rund 20 Prozent liegen wird.
Dazu kommt die steigende Zahl der Binnenflüchtlinge. Laut
UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) liegt sie aktuell bei 218.000 Menschen.
Dazu kehren malische Flüchtlinge aus Burkina Faso zurück, da auch dort die
Gewalt zunimmt. Die Wahlkommission gibt zu: Für sie wird es „extrem
schwierig“ werden, zu wählen.
Viele Menschen sind einfach mit dem Überleben beschäftigt. Selbst in Bamako
wird auf den Straßen nicht über die Wahlen debattiert.
Auffällig ist, dass auf den Wahlplakaten am Straßenrand zahlreiche junge
Politiker*innen zu sehen sind. Der 45-jährige Moussa Mara, 2014/15 Malis
jüngster Premierminister, setzt schon auf die Präsidentschaftswahlen 2023.
Bei der Parlamentswahl wirbt Mara mit der Partei Yéléma für einen
Generationswechsel.
19 Mar 2020
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## AUTOREN
Katrin Gänsler
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