# taz.de -- Chef der Wahrheitskommission über Mali: „Bereit für Verzeihen u… | |
> In Mali werden Menschenrechte von ganz verschiedenen Akteuren verletzt. | |
> Wichtig sei zuerst, das Leid der Opfer anzuerkennen, sagt Ousmane Sidibé. | |
Bild: Flüchtlinge aus Mali im mauretanischen Camp M'bera | |
taz: Herr Sidibé, wie ist es um die Menschenrechte in Mali bestellt? | |
Ousmane Sidibé: Das Land befindet sich in einer Krise, und die | |
Menschenrechte werden massiv von verschiedenen Akteuren verletzt. Das muss | |
immer wieder angesprochen werden, da Gewalt nur neue Gewalt erzeugt. | |
Sie sind Vorsitzender der Wahrheits- und Versöhnungskommission Malis, die | |
Menschenrechtsverletzungen seit der Unabhängigkeit 1960 aufarbeitet. Welche | |
Ergebnisse hat die Kommission seit ihrer Gründung erzielt? | |
Opfer von Menschenrechtsverletzungen können zu uns kommen und eine Aussage | |
machen. Bis heute haben wir mehr als 16.000 aufgezeichnet. Wir sind im | |
ganzen Land präsent. Wir waren auch in Kidal, bevor die Regierung dort | |
wieder präsent war. Die Opfer vertrauen uns. Im Flüchtlingscamp M’bera in | |
Mauretanien haben wir beispielsweise 500 Aussagen aufgenommen. | |
Was passiert mit den Aussagen, die Sie aufzeichnen? | |
Nach der Erfassung haben wir mit einer Untersuchung begonnen und die | |
sinnbildlichsten Vorgänge ausgewählt, die sich in Kidal, Gao, aber auch im | |
Süden seit der Unabhängigkeit zugetragen haben. Geholfen hat uns dabei eine | |
„Kartografie der schweren Menschenrechtsverletzungen“, die wir gemeinsam | |
mit Avocats Sans Frontières aus Kanada erstellt haben. So haben wir die | |
Dynamik der Konflikte erfasst. | |
Was bekommt die Öffentlichkeit davon mit? | |
Im vergangenen Dezember haben wir die erste von fünf öffentlichen | |
Anhörungen organisiert. Thema war das Recht auf Freiheit. Inhaltlich ging | |
es um willkürliche Verhaftungen und Untersuchungshaft. Das ist sehr gut | |
angenommen worden. Weitere Veranstaltungen sollen die Rechte der Frauen, | |
Kinder oder das Verschwinden von Menschen behandeln. Das ist ein sehr | |
wichtiger Schritt. | |
Wird es auch Entschädigungen für Opfer geben? | |
Es wird unterschiedliche Arten der Wiedergutmachung geben. Es kann eine | |
symbolische Wiedergutmachung sein, bei der ein Opfer um Entschuldigung | |
gebeten wird. Möglich sind auch materielle Entschädigungen, etwa nach dem | |
Tod eines Menschen oder der Zerstörung der Lebensgrundlage. Über die Höhe | |
wird aktuell aber noch mit den unterschiedlichen Akteur*innen diskutiert. | |
Eins ist allen klar: Es handelt sich immer um eine symbolische | |
Wiedergutmachung. Ein Leben lässt sich nicht bezahlen. | |
Warum ist Wiedergutmachung zentral? | |
Durch sie werden die Opfer tatsächlich als Opfer anerkannt. Bevor wir 2015 | |
unsere Arbeit aufnahmen, haben wir im ganzen Land Opfer gefragt, ob sie | |
bereit für Verzeihen und Vergeben seien. Das haben alle bejaht. Die erste | |
Bedingung lautete für alle: Das malische Volk muss ihr Leiden anerkennen, | |
egal [1][ob ihnen das nun von Malis Armee], von Selbstverteidigungsmilizen | |
[2][oder bewaffneten Gruppierungen] zugefügt wurde. | |
Wie sieht es mit strafrechtlichen Konsequenzen aus? In Mali gibt es wie in | |
anderen Sahel-Staaten auch eine lange Tradition der Mediation, viele | |
Einigungen werden außergerichtlich erzielt. | |
Viele Opfer haben sich entschieden, nicht vor Gericht zu ziehen. Sie sind | |
mit der Anerkennung als Opfer und der Wiedergutmachung zufrieden. Wer eine | |
Strafverfolgung fordert, dem steht das Rechtssystem jedoch offen. Das | |
widerspricht sich nicht. | |
26 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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