# taz.de -- Deutsch-dänische Nachbarschaft: „Ein Vorbild für Europa“ | |
> 100 Jahre nach der Abstimmung über den Grenzverlauf ist das Verhältnis | |
> zwischen Deutschland und Dänemark überwiegend erfreulich. | |
Bild: Insgesamt positiv: deutsch-dänisches Zusammenleben wie hier in Sonderbur… | |
NEUMÜNSTER taz | Deutschland oder Dänemark? Im Frühjahr 1920 stimmten die | |
Menschen in Flensburg und Sonderburg, auf Sylt und in Apenrade ab, zu | |
welchem Staat sie künftig gehören wollten, und legten damit den heutigen | |
Grenzverlauf fest. Das Jahrhundert-Jubiläum wird mit zahlreichen | |
Veranstaltungen im Grenzgebiet begangen. Parallel feiern Dänemark und | |
Deutschland ein „kulturelles Freundschaftsjahr“, das bereits im Herbst | |
begonnen hat und das Ausstellungen, Konzerte und Veranstaltungen von | |
München über Berlin bis Kopenhagen und Pattburg umfasst. Aber wie sieht es | |
aus mit dem Verhältnis zwischen den Nachbarn, deren Geschichten so eng | |
verflochten sind? | |
Es war einmal eine Prinzessin, die hieß Thyra. Ein fremder Prinz wollte sie | |
freien, doch da er unglaublich hässlich war, brachte Thyra den ungeliebten | |
Bewerber kurzerhand mit seinem eigenen Schwert um. So lautet eine mündlich | |
überlieferte Legende aus der Nähe von Schleswig. In der „Dänischen Chronik… | |
aus dem 12. Jahrhundert rühmt der Autor Sven Aggesen die Königin Thyra | |
Danebod, die um das Jahr 900 lebte und die „die herrliche Wehr, die die | |
Dänen eingezäumt und ihnen den besten Schutz gegen deutsches Wüten geboten | |
hat“, errichtet haben soll. Auch diese Geschichte ist ein Märchen. Die so | |
genannte „Thyraburg“, ein rechteckiges Plateau an der Ringwallanlage des | |
Danewerks und nahe der Wikinger-Metropole Haithabu, ist deutlich vor Thyras | |
Lebzeiten entstanden. Doch die Botschaft ist klar: Aus Deutschland kommt | |
nichts Gutes, und es ist dänische Tradition, sich den Nachbarn vom Leib zu | |
halten. | |
Vor Kurzem hat Dänemark wieder eine Hürde zwischen sich und | |
Schleswig-Holstein errichtet: [1][einen Zaun gegen Wildschweine], die den | |
gefährlichen Erreger der Afrikanischen Schweinepest einschleppen könnten. | |
Über 70 Kilometer führt der Zaun an der Grenze entlang, ein sichtbares | |
Signal der Abgrenzung. | |
„Den Zaun liebt keiner in der Region“, sagt Lars Erik Bethge, Sprecher des | |
Sydslesvik Forening (SSF), des Kulturvereins der dänischen Minderheit in | |
Schleswig-Holstein. Mit „Region“ meint er hüben und drüben der Grenze. Der | |
Zaun trennt nicht nur Menschen, er schneidet auch durch Naturschutzgebiete. | |
„Rehe verenden am Zaun“, sagt Bethge düster. Er bedauert die psychologische | |
Wirkung des Bauwerks und der Grenzkontrollen, die Dänemark wieder | |
eingeführt hat: „Wie viel Schaden das anrichtet, ist noch nicht abzusehen. | |
Das Gefühl des Zusammenwachsens, das früher deutlich war, ist nicht mehr so | |
stark.“ | |
Also ein schlechtes Fazit für die aktuellen Beziehungen? Nein, sagt | |
Flemming Meyer, Landeschef der Minderheitenpartei SSW: „In Dänemark | |
kritisiere ich den Zaun – in Deutschland mache ich deutlich, dass Dänemark | |
mehr ist als das.“ Das Verhältnis sei auf vielen Ebenen gut, die | |
Grenzregion sei ein Vorbild für Europa: „In der EU gehört jeder Siebte | |
einer Minderheit an, und an vielen Orten gibt es Konflikte. Wir zeigen | |
hier, wie es anders geht.“ | |
Als wichtige Punkte nennt Meyer die politische Mitbestimmung der | |
Minderheiten, die in den Bonn-Kopenhagener Verträgen festgelegt ist. Der | |
SSW ist von der Fünfprozenthürde befreit und kommt daher leichter in den | |
Landtag als andere Parteien. Aktuell gehören drei Minderheiten-Abgeordnete | |
dem Parlament an, darunter Meyer, der sich nach jeder Rede mit „mange tak“ | |
fürs Zuhören bedankt. In Dänemark tritt die Schleswigsche Partei für die | |
deutsche Minderheit an. Sie gehörte zeitweise dem Nationalparlament | |
Folketing an und ist heute in der Region Nordschleswig und in Stadträten | |
aktiv. „Die Minderheiten werden integriert, ohne sie zu assimilieren, sie | |
dürfen ihre Sprache und Kultur pflegen“, sagt Meyer. „Das ist vorbildlich.… | |
Dennoch sei die Zusammenarbeit zwischen deutschen und dänischen Gemeinden | |
schwierig, sagt SSF-Sprecher Bethge. Nicht, weil Verantwortliche | |
unterschiedliche Interessen hätten, sondern wegen der Strukturen: „Im | |
Kulturbereich gibt es ganz viel Begegnung und Kooperation, aber politisch | |
stößt man schnell an die Grenzen der Befugnisse.“ So entscheide ein | |
dänischer Bürgermeister über Themen, die in Deutschland auf Landes- oder | |
Bundesebene geregelt werden. „Das ist nicht kompatibel.“ | |
Trotzdem zieht auch Bethge ein positives Fazit des Zusammenlebens im | |
Grenzland. Den Beweis liefert ausgerechnet die Erinnerung an die wehrhafte | |
Königin Thyra: „Dass wir als Verein die Verantwortung für das | |
Danewerk-Museum bekommen haben, zeigt das Zutrauen, dass die Minderheit | |
fachkundig über die wahre Geschichte aufklärt, statt alte nationalistische | |
Legenden aufzuwärmen.“ | |
Die Geschichte von Dänemark und Schleswig-Holstein verlief lange gemeinsam | |
– das Herzogtum Holstein gehörte zum Deutschen Bund, während Schleswig bis | |
zur Eider dänisch regiert wurde. Im 19. Jahrhundert wurde die | |
„Schleswig-Holstein-Frage“ dann mit Revolution und Krieg entschieden. Als | |
Ergebnis des Deutsch-Dänischen Krieges kam Schleswig 1867 zu Preußen. Die | |
Volksabstimmung über den Grenzverlauf beendete den Streit. | |
Im Zweiten Weltkrieg wüteten die Deutschen auch in Dänemark. 1955 legten | |
die Bonn-Kopenhagener Erklärungen den Grundstein der heutigen | |
Zusammenarbeit. Viele Menschen im Grenzgebiet wechseln heute täglich zum | |
Arbeiten oder Einkaufen von einer Seite zur anderen. Aber die | |
Sprachkompetenz schwindet, beobachtet Bethge: „In Deutschland sind | |
Dänischkurse noch gut ausgelastet, aber in Dänemark ist Deutsch massiv auf | |
dem Rückzug.“ Gerade Jugendliche würden lieber Englisch oder Spanisch | |
lernen. | |
Ein Fehler, findet Bethge: „Sie unterschätzen, dass Deutsch wieder gefragt | |
ist.“ Denn Dänemark schaue unter anderem wegen des drohenden Brexits wieder | |
verstärkt zum Nachbarn direkt im Süden. Projekte wie die | |
Fehmarnbelt-Querung zeigen das Interesse, die Zusammenarbeit zu verstärken. | |
Für die Minderheiten hüben und drüben kann das ein Vorteil sein: „Unsere | |
Jugendlichen aus der Minderheit haben durch ihre Zweisprachigkeit einen | |
Startvorteil“, sagt Bethge. | |
30 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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