# taz.de -- Macht das Sinn?: Im Urlaub rackern | |
> Zum Erhalt der Wanderwege werden auf den Färöer-Inseln Pflöcke | |
> einschlagen und Wege markiert. Ist ein freiwilliger Einsatz der bessere | |
> Urlaub? | |
Bild: Auf der Insel | |
Wie Watte hängt der Nebel vom Himmel, wie eine halb heruntergezogene | |
Jalousie, die nur die Sicht auf den Boden frei lässt. Selbst die knallrote | |
Outdoorjacke meines Teamkollegen bleibt nur auf wenige Meter Entfernung zu | |
sehen. Ist das der Moment, in dem wir einfach aufgeben sollten? | |
„Jedes Kind auf den Färöern lernt: Wenn der Nebel kommt, setzt man sich hin | |
und wartet, bis er weg ist“, hatte Tordis K. á Rógvi Simonsen von der | |
Touristeninformation der Insel Sandoy am Vortag erklärt. TouristInnen wie | |
wir wissen das natürlich nicht und laufen weiter. Bis sie womöglich eine | |
Steilklippe herunterstürzen. | |
Die mahnenden Worte klingen mir in den Ohren, als ich mich keuchend | |
weiterschleppe. Immerhin haben wir an diesem feuchtkalten Tag realistische | |
Bedingungen, um unseren Job zu erfüllen: die Strecke von Dalur nach | |
Skarvanes markieren, damit andere TouristInnen hier auch bei Dunst auf dem | |
richtigen Weg bleiben. | |
„Closed for Maintenance“ – mit diesen Worten hatte das Färöer Tourismus… | |
geworben: Ein Wochenende im April wollten die 18 zu Dänemark gehörenden | |
Inseln im Nordatlantik ihre Hauptsehenswürdigkeiten schließen. Aber rund | |
100 Freiwillige sollten trotzdem hinkommen dürfen – wenn sie gegen Kost und | |
Logis auf den Inseln arbeiten. Deswegen wandern ich, eine Schwedin, ein | |
Brite und eine US-Amerikanerin, die Arme voll mit Hinweisholzstecken, | |
gerade einen Hügel hinauf, langsam hinter einem älteren Färinger her, der | |
uns den Weg weisen soll und bisher noch nicht vor dem Nebel kapituliert | |
hat. | |
## Gegentrend und postindividuelle Gesellschaft | |
Wir sind „Team Green“, zu erkennen an dunkelgrünen Wollmützen. 14 Menschen | |
sind allein in unserer Gruppe, die an verschiedenen Projekten auf Sandoy, | |
der fünftgrößten und flachsten Insel der Färöer, arbeiten. | |
Es mag die flachste sein, trotzdem bringen uns die Berge hier ganz schön | |
aus der Puste. Wie muss es erst meinen KollegInnen auf der anderen Seite | |
der Hügel gehen, die einen schmalen Weg mit Gesteinsbrocken ausbessern – | |
direkt am Abhang, von dem aus es viele Meter hinuntergeht, und unten wartet | |
nur das Gischt sprühende Meer. | |
Im Urlaub rackern – warum tut man sich das an? „Wir haben eben | |
festgestellt, dass in unserer eigentlich postindividuellen westlichen | |
Gesellschaft wieder so ein Gegentrend einsetzt in Form des Bedürfnisses | |
nach Verankerung, nach einer gewissen Sinnhaftigkeit“, erklärt die | |
Trendforscherin Christiane Varga vom Zukunftsinstitut in Wien. Die | |
Färöer-Tourismusdirektion benutzt für den Arbeitseinsatz den Begriff | |
„Voluntourism“. | |
Die Soziologin und Germanistin Varga würde es als „Resonanztourismus“ | |
bezeichnen. Der Begriff greift zurück auf ein Buch des Soziologen Hartmut | |
Rosa, erklärt Varga. Es gehe darum, „sich selbst in Beziehung zu bringen zu | |
etwas anderem, also in einer Weltbeziehung zu sein“ – mit anderen Menschen, | |
einer Idee, mit Kunst, Kultur, Natur. | |
Am einfachsten bringt man sich hier wohl in eine Beziehung zu den Tieren: | |
Das Leben auf den Färöern ist schafzentriert. Auf 50.000 Einwohner kommen | |
auf den Färöern 70.000 Schafe. Jetzt im April ist Lämmersaison, und sie | |
sind tatsächlich überall. Immer wieder schaue ich in die Weite und sehe | |
vermeintliche weiße Steine im Grün – aber dann steht der große Stein auf | |
und rennt davon. | |
Die Wege markieren wir auch, damit die Tiere auf den Wiesen nicht von wild | |
umherwandernden Menschen gestört werden oder diese aus Versehen in die | |
Herden hineinlaufen, während die BesitzerInnen die Schafe zusammentreiben. | |
Und deswegen lernen wir, die Wegmarker mit einem dicken Hammer möglichst | |
tief in den Boden zu rammen; die Schafe würden sich sonst gemütlich ihre | |
Hintern daran reiben. | |
Deshalb baut meine Gruppe am zweiten Arbeitstag auch eine kleine | |
Holztreppe, damit man beim Wandern über den flachen Zaun kommt, ohne den | |
Draht beim Hinüberklettern mit der Hand herunterzudrücken – andernfalls | |
könnten die Schafe ausbüxen. | |
Ein Schaffell hätte ich eigentlich auch ganz gerne, als wir auf | |
Materialnachschub für die Treppe warten und in einer flachen Kuhle kauern, | |
damit die eisigen Böen des Färöer Windes uns nicht erwischen. Ich trage | |
wärmende Leggins, darüber Outdoorhosen, ein Thermoshirt, zwei Fleecejacken | |
übereinander, eine Regenjacke, eine Wollmütze und Arbeitshandschuhe. | |
Es sei „interessant“, dass wir alle eigentlich eher Schreibtischjobs haben, | |
bemerkt die 27-jährige Esther, die als Tochter eines Landwirts, auf dessen | |
Land unsere Gruppe arbeitet, aushilft. Esthers Vater etwa besitzt ungefähr | |
200 Schafe. | |
Recht hat sie. Ich erkenne die Fehlplatziertheit meines Bürokörpers bei | |
körperlicher Arbeit unter freiem Himmel durchaus an. Als ich mit meinen | |
schlaffen Journalistenärmchen einmal den Hammer schwinge, um einen | |
Holzpflock einzuschlagen, schaut Landwirt Fróðin auf meine Finger und sagt | |
sachte spöttelnd: „Ooooh, red nails …“ Dann versenken seine vor Kälte | |
geröteten Pranken den nächsten Wegweiser mit einem einzigen Hammerhieb im | |
Boden, und ich verstecke meine Tippfingerhändchen wieder in den | |
wasserfesten Aqua-Anti-Rutsch-Spezial-Arbeitshandschuhen. Selten | |
standen tatsächliche Kompetenz und Ausrüstung in solch einem | |
Fehlverhältnis. | |
Die Bergwiesen, auf denen die Schafe grasen– und über die TouristInnen | |
trampeln, sie sind seit Längerem Gegenstand von Diskussionen auf den | |
Färöern. Etwa im vergangenen Jahr, als die Färinger vor ihrer | |
Parlamentswahl im August 2019 Diskussionen darüber führten, wie man damit | |
umgehen solle.„Denn einige Landwirte sind nicht besonders glücklich mit den | |
Leuten, die in den Bergen herumlaufen, und sie sagen, das störe die Schafe | |
oder die Vögel“, sagt Tourismusdirektorin Guðrið Højgaard. | |
Dabei spielt auch die Besorgnis eine Rolle, dass einfach zu viele Menschen | |
kommen könnten – und nicht die richtigen. Viele Färöer wollen vor allem | |
eines verhindern: wie Island zu werden. Die etwa 500 Kilometer entfernte | |
Nachbarinsel gilt als überlaufen, als schlechtes Beispiel für overtourism, | |
wie der Massenansturm der Reisenden genannt wird.„Wir sind nicht an so | |
viele Touristen gewöhnt“, sagt Tordis einmal, als wir zum Essen | |
beisammensitzen, und fügt hinzu: „Die Schafe sind nicht daran gewöhnt.“ | |
Anders wollen es die Reisenden im Resonanztourismus schon machen, sie | |
wollen keinen Urlaub im klassischen Sinn, sagt etwa die Trendforscherin | |
Varga: Es sei den Reisenden wichtig, „einzutauchen in das Lokalkolorit, | |
sich unter die Leute vor Ort zu mischen.“ | |
Die Touris wollen eintauchen – aber die Locals eigentlich nur ihre Ruhe? | |
Das bestätigt sich auf den Färöern jedenfalls nicht. Die InselbewohnerInnen | |
sind in das Arbeitswochenende eingebunden, der Einsatz ist von Anfang an | |
nicht an TouristInnen gerichtet, sondern auch an die Bevölkerung, die davon | |
profitieren sollte: Die Projekte helfen ihr zum Teil direkt, weil sie auf | |
ihrem Land stattfinden. Deswegen sind viele wie Esther und ihr Vater an | |
diesem Wochenende mit von der Partie, sie servieren in ihren Häusern | |
Mittagessen und Feierabendbiere, manche bringen sogar eine Stärkung für die | |
Kaffeepause hoch auf den Berg. | |
So sitze ich zwischendurch auf einem Stein in den blass-grünen Hügeln | |
Sandoys, esse Waffeln mit Rhabarbermarmelade und sehe meiner schwedischen | |
Teamkollegin zu, wie sie das herzförmige Gebäck in ihrer Hand fotografiert. | |
Ich werde es später auf Facebook bewundern können. | |
## Gutes Tourismusmarketing | |
Fotoscheu darf man hier nicht sein. Die Organisatoren lassen einen etwas | |
rührseligen Film entstehen, den sie auf dem Abschlussfest zeigen werden – | |
vielleicht bin ich aber auch nur zynisch, weil mich die Arbeit an der | |
frischen Luft nicht so erfüllt, wie sie sollte. Natürlich werden auch alle | |
Projekte professionell fotografiert – auf Bildern ist später zu bestaunen, | |
wie ich sägeschwingend auf der Zauntreppe stehe, obwohl ich an ebenjenem | |
Arbeitsgerät völlig versagt habe. | |
Schon vorher hatte mich der Gedanke beschlichen, dass wir weniger den | |
Farmern und der Insellandschaft helfen als der Öffentlichkeitsarbeit des | |
Färöer Tourismus. Immerhin dürften etliche Fotos Instagram und Facebook | |
fluten – auch meine, denn natürlich kann ich dem Ausblick auf die See nicht | |
widerstehen, als drei meiner TeamkollegInnen und ich auf der Ladefläche | |
eines Pick-up-Trucks über sich malerisch windende Wege hoch in die Nähe | |
unseres Projekts gefahren werden. | |
Wenn es vor allem um die Arbeit ginge – wäre die nicht schneller ohne uns | |
erledigt? Immerhin ist es ein Riesenaufwand, der hier betrieben wird: Die | |
Freiwilligen müssen untergebracht, verpflegt und, na ja, auch bespaßt | |
werden. | |
Ein bisschen ist es wie Klassenfahrt – alle Programmpunkte stehen fest, | |
morgens steigen wir auf dem Hotelparkplatz in den Bus, abends steigen wir | |
auf dem Hotelparkplatz wieder aus. Rollen bilden sich: Klassenclown Paul, | |
der dauerquatschend alle unterhält. Papa Iain, der dafür sorgt, dass die | |
Gruppe zusammenbleibt. Ich kann wohl davon ausgehen, dass ich die | |
unpünktliche Verweichlichte bin – womöglich auch die Grummelige. Oder | |
warum fragen mich meine TeamkollegInnen immer, ob ich noch gut mithalten | |
kann? | |
Helfen wir in Wirklichkeit den Färöern gar nicht – sondern sind nur | |
Werbefiguren, die in lächerlichen Outdoorhosen Arbeit spielen? | |
## Hilfreicher Arbeitseinsatz | |
Esther sieht das anders, sagt sie: Ihren Vater, der auch als Taucher und | |
Klempner arbeitet, hätten die Projekte sonst viel Zeit gekostet, wenn er | |
immer wieder allein zu den Einsatzorten hätte hochgehen müssen. „Ich | |
glaube, es ist wirklich gut, zwei Tage zu haben, an denen die Sachen fertig | |
gemacht werden – und dann ist die Sache gegessen.“ | |
Für uns geht es nach dem Arbeitseinsatz per Fähre zurück auf die Hauptinsel | |
Streymoy. Ich sitze an Deck, mache ein paar letzte Fotos von den kolossalen | |
Bergen und träume so vor mich hin. Da tritt ein Clown in voller Montur an | |
uns heran, von dem wir dann später lernen sollten, dass es Bubu, der Traum | |
aller färingischen Kinder, ist. | |
Woher wir kommen, fragt er. Wir sind beim Maintenance-Projekt dabei, sagt | |
mein Teamkollege Paul. | |
„Aaaaah“, sagt der Clown. „Ihr seid die Sklaven.“ | |
Ach, Bubu, denke ich, als ich ihn später auf einem Foto entdecke. Wir sind | |
doch nur Resonanztouristen. | |
8 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Eva Oer | |
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