# taz.de -- Sinnvoller Karibikurlaub: Aufräumen im Dschungel | |
> Die Karibikinsel Dominica wurde vom Hurrikan „Maria“ zerstört. | |
> Freiwillige können nun beim Wiederaufbau helfen und dabei günstig | |
> urlauben. | |
Bild: Der Indian River floss vor dem Sturm unter einem dichten Laubdach, teilwe… | |
Kurze Tropenschauer bremsen den Aufbaueifer der Frauen am Hafen von Roseau. | |
Sie stellen knallbunte Baumwoll-Strandtücher an ihren Ständen aus, | |
Muschelketten und -armbänder, Rastamützen, Fahnen, T-Shirts und geflochtene | |
Körbe. Blau, gelb, grün, rot gestreifte Sonnenschirme schützen die Ware vor | |
den Schauern. Auch die Bars und Restaurants von Roseau sind heute am | |
Sonntag geöffnet. Rumpunsch im Angebot! | |
Endlich wieder Business-Time auf der Karibikinsel Dominica: Nach | |
viermonatiger Pause legt erstmals wieder ein Kreuzfahrtschiff an. Fast | |
2.000 deutschen Touristen auf der TUI-Cruise könnten sich heute unter die | |
11.000 Einwohner der Stadt mischen. | |
Roseau präsentiert sich ihnen im Shabby-Look: schiefe Holzhütten, große | |
Pfützen auf dem aufgerissenen Asphalt, mit blauem Plastik abgedeckte | |
Dächer, von denen der Sturm das Wellblech gerissen hat. Häuser wurden | |
beschädigt, zerstört, Straßen überflutet. | |
## Maria tobte | |
Eine lange Reihe von Taxis steht für Ausflüge bereit: zum Fresh Water Lake | |
hoch oben in den Bergen, zum Emerald Pool, einem leicht zu erreichenden | |
Wasserfall, oder zur Bootsfahrt auf dem Indian River im Norden der Insel. | |
Sehenswürdigkeiten, die trotz der Zerstörungen des Hurrikans „Maria“ wied… | |
begehbar sind. | |
Der Hurrikan „Maria“ fegte in der Nacht des 19. 9. 2017 mit 260 km/h über | |
die kleine Karibikinsel Dominica. Von einem Tropensturm entwickelte er sich | |
zur höchsten Kategorie 5, solch ein Sturm hat seit 80 Jahren nicht mehr | |
dort gewütet. Die naturbelassene grüne Insel mit den üppigen tropischen | |
Wäldern glich danach einer Öde. | |
„Alles war braun, keine Blätter auf den Bäumen, die Stämme wie geschält, | |
selbst das Gras war weg“, erzählt immer noch fassungslos Samantha Letang. | |
Sie arbeitet im Tourismusministerium und wird uns die nächsten Tage | |
begleiten. „Es war unfassbar. Ein bösartiges, lautes Grollen, ein | |
wahnsinniger Lärm, fast acht Stunden lang. Wir hatten panische Angst. Ich | |
möchte das nie wieder erleben!“ | |
Kommt das Thema auf „Maria“, hat jeder seine traurige Geschichte zu | |
erzählen. Der Hurrikan hinterließ 50 Tote, abgeknickte Telegrafen- und | |
Strommasten, zerstörte Häuser, kaputte Straßen, traumatisierte Menschen. | |
„Und viele Menschen, vor allem ältere, starben nach dem Hurrikan an | |
Stress“, sagt Samantha. | |
Roosevelt Skerrit, der Regierungschef von Dominica, äußerte sich nach | |
„Maria“ in einem Interview: „Jedes Dorf in Dominica, jede Straße, jeder | |
Winkel, jede Person wurde vom Hurrikan getroffen.“ Die Karibikstaaten, | |
allen voran die Kubaner, aber auch internationale Hilfsorganisationen haben | |
auf Dominica Aufräumarbeiten geleistet, die schlimmsten Schäden sind | |
behoben. | |
Kurz vor der Dämmerung kehren die Landgänger zurück an Bord. Die hell | |
beleuchte TUI Cruise im Hafen von Roseau sieht nun in der Abenddämmerung | |
aus wie eine verheißungsvolle Glitzermetropole aus einer anderen Welt. Die | |
Hauptstadt Dominicas, wo viele Haushalte immer noch nur mit Generatoren | |
Strom haben, wirkt dagegen wie ein halb verlassenes Dorf. | |
## Eine klimaresistente Insel | |
Die verheerenden Folgen der wütenden „Maria“ sind überall sichtbar. „Ma… | |
ist das Thema auf Dominica, auch in fast allen Songs des diesjährigen | |
Calypso Wettbewerbs geht es um sie. Jetzt zur Karnevalszeit wird den ganzen | |
Tag Calypso auf Radio Dominica gespielt. Calypso ist die kollektive | |
Verarbeitung des Traumas, ein Stück Normalität und der ironische Umgang mit | |
den Widersprüchen dieser Welt. Der Song der Saison steht jetzt schon fest: | |
„The Looter“ – der Plünderer. | |
Eine Anspielung auf die Plünderung von Geschäften nach dem Hurrikan, aber | |
auch auf die Plünderung in großem Stil durch Politiker und Bosse. Ein Pass | |
der Steueroase Dominica kostet gerade mal 100.000 Dollar. „Ich möchte | |
meinen Teil davon“, singt ein anderer Calypsonien beim verregneten | |
Wettbewerb auf dem matschigen Veranstaltungsfeld, gleich hinter Fort Young, | |
dem repräsentativsten Hotel von Roseau. Die Menge tobt. Dominica feiert | |
seinen Karneval, allen Widrigkeiten zum Trotz. | |
Das Hotel Fort Young, ganz nah am Meer gebaut, wurde durch den Sturm stark | |
zerstört. Die Terrassen eingerissen, Stockwerke überflutet, nur ein Drittel | |
der 72 Zimmer sist nutzbar. Nun wird Tag und Nacht gehämmert, gesägt, | |
gemauert – man kann dem Fortschritt zusehen. Vor „Maria“ waren bei der | |
Discover Dominica Authority (DDA) 73 Unterkünfte registriert. | |
27 davon wurden schwer beschädigt oder völlig zerstört wie Rosaly Bay an | |
der Atlantikküste der Insel. Andere, wie der bunkerähnliche moderne | |
Betonbau des Pagua Bay House nördlich davon, haben den Sturm fast | |
unbeschadet überstanden: „Wir haben nach Auflagen des US-amerikanischen | |
Bundesstaates Florida für die höchste Hurrikan-Gefahrenzone gebaut“, sagt | |
die Besitzerin Sheldon Bruno, die ursprünglich aus Ohio kommt. | |
## Beton statt Holz | |
Um Gebäudeschäden vorzubeugen, wurden in Florida die Bauauflagen | |
verschärft: Fenster, Veranda- und Schiebetüren müssen gegen durch die Luft | |
fliegende Trümmer durch Hurrikan-Rollladen oder bruchsicheres Glas | |
geschützt werden und Windgeschwindigkeiten von mindestens 130 Meilen pro | |
Stunde standhalten. Eine weitere Schutzmaßnahme gegen Hurrikans sind | |
Betonstein-Häuser. Wände aus Betonstein können fliegenden Trümmern bei | |
Hurrikans standhalten. | |
Doch der verbreitete Baustoff auf Dominica ist Holz. Regierungschef | |
Roosevelt Skerrit verspricht nun, nach der großen Katastrophe eine | |
klimaresistente – „climat recilient“ Insel aufzubauen. Denn über eins ist | |
man sich einig auf Dominica: Der Klimawandel ist Teil der Katastrophe. „Es | |
hat zwar immer schwere Hurrikans gegeben, aber die Stärke und Intensität | |
hat eindeutig zugenommen“, sagt der dominicanische Historiker Lennox | |
Honychurch. | |
Sein Wissen soll helfen, einen „klimaresistenten Weg einzuschlagen. „Nach | |
Abschaffung der Sklaverei haben die Menschen auf dem wenigen Land gebaut, | |
das nicht im Besitz der Kolonialherren und Großgrundbesitzer war: in den | |
Flusstälern und direkt am Meer. Das sind bei einem Hurrikan nun die am | |
stärksten gefährdeten Orte“, sagt Honychurch. „Die Ärmsten sind die | |
Verletzlichsten, wenn es um die Folgen des Klimawandels geht.“ Sie bauen in | |
ungünstigen Lagen, einfacher und sind oft nicht gegen die Schäden | |
versichert. | |
Es ist eine große politische Herausforderung, hier auf lokaler und | |
nationaler Ebene Unterstützung zu leisten. Klimaresistenz bedarf hoher | |
Investitionen in die Infrastruktur, Stadtplanung, der Entwicklung von | |
nachhaltigen Energiequellen. „Wir haben keine andere Chance“, sagt | |
Tourismusminister Robert Tonge, „sonst wird das, was wir uns aufbauen, | |
immer wieder zerstört.“ | |
## Mitten im Wiederaufbau | |
„Aktuell geht es aber um die konkrete Beseitigung der Schäden, den | |
Wiederaufbau“, sagt Colin Piper, Direktor der Tourismusbehörde. Seine | |
Behörde propagiert deshalb zusammen mit touristischen Privatunternehmen | |
Voluntourismus, also Reisen und Helfen, um die Zerstörung des Hurrikans zu | |
beseitigen: „Wir bieten bis zu 40 Prozent vergünstigte Packages an, wenn | |
die Besucher beim Wiederaufbau der touristischen Infrastruktur mithelfen“, | |
sagt Piper. | |
Der Kleinveranstalter Cobra Tours in Portsmouth säubert zusammen mit | |
Volunteers den Indian River, dessen Regenwalddach vom Sturm völlig | |
zerrissen wurde. Nun müssen Äste und große Bäume für die River Tour | |
beseitigt werden. Der Veranstalter Cool Breeze Tours bietet Packages zum | |
Säubern von Abschnitt 10 des Waitukubuli National Trail. Hotels, wie das | |
Fort Young oder das Tamarin Tree Hotel, haben die Patenschaft für den | |
Abschnitt des Fernwanderwegs vor ihrer Haustür übernommen. | |
Der 184 Kilometer lange Waitukubuli National Trail wurde 2011 mithilfe der | |
EU fertiggestellt. Er verläuft in vierzehn Abschnitten von Süd nach Nord, | |
von Scotts Heads an der südlichsten Spitze der Insel zum | |
Cabrits-Nationalpark. Er geht über bewaldete Berge im Inselinneren durch | |
den „Morns Trois Pitons“-Nationalpark, der zum Weltkulturerbe gehört. Er | |
führt die Höhen des dampfenden Regenwalds hinauf und durch dramatische | |
Schluchten. Überquert unzählige Flüsse, vorbei an spektakulären | |
Wasserfällen und Schwefelquellen. Er durchquert verlassene Plantagen, | |
schlängelt sich an der Steilküste entlang, mäandert durch fruchtbares | |
Farmland und kleine Dörfer. Waitukubili bedeutet „Groß ist ihr Körper“. … | |
tauften die Ureinwohner, Karib-Indianer, die sich selbst Kalinago nennen, | |
einst ihre Insel. | |
Abschnitt 11 des Weges betreuen der Deutsche Stefan Lörner und die | |
Schweizerin Annette Peyer-Lörner. Das Paar lebt seit 1997 auf Dominica und | |
führt das Tamarin Tree Hotel an der Karibikküste in Salisbury. Annette ist | |
genauso engagiert wie geschäftstüchtig: Für die Wiederherstellung des | |
Waitukubuli National Trail hat sie zehn Kettensägen und andere Materialien | |
von einem Schweizer Großhändler besorgt und diese durch Fundraising | |
bezahlt. Die Materialien gehören von nun an zur regulären Ausstattung der | |
Trail Organisation. | |
## Voluntourismus-Packages | |
Wir fahren mit Annette und Jilliane Robinson, den „trail operation | |
officers“, zu Abschnitt 11 des Trails. Ein umgestürzter Tropenriese | |
versperrt gleich zu Beginn den Weg. Noch schlimmer sieht es bei Abschnitt | |
12 aus: Der Weg liegt völlig verschüttet unter umgefallen Bäumen. Annette | |
und Jilliane sind geschockt. Die optimistischen Aktivistinnen würden am | |
liebsten gleich anfangen mit dem Aufräumen. | |
„Wir bieten diese Volunteers-Packages zur Wiederherstellung des Weges in | |
Zusammenarbeit mit dem Forstamt an. Interessierte Volunteers werden von | |
ausgebildeten Forstleuten begleitet, die den Umgang mit den schweren | |
Kettensägen gelernt haben“, sagt Jillianne Robinson.“Es wird dauern, wir | |
müssen den Weg frei räumen und wieder befestigen. Das ist verdammt viel | |
Arbeit. Eigentlich“, überlegt sie laut, „könnte man Voluntourismus als | |
System etablieren, denn es bedarf beständiger Wiedererrichtung der Wege, | |
die durch das feuchte Klima leicht abrutschen.“ | |
Überall an den verschütteten Wegen grünt es wieder, die Natur kommt | |
drängend zurück. „Jetzt nach vier Monaten treiben alle Pflanzen wieder“, | |
sagt Annette. „Und manchmal kommen ganz andere als zuvor. Das ist ein echt | |
spannender Prozess.“ Fachleute wissen, dass es 40 Jahre dauern wird, bis | |
der tropische Wald vor allem auf den Höhen seine alte Pracht zurückhat. | |
## Doktor Birdy | |
Und die Vögel der Insel? In der Abgeschiedenheit der Insel Dominica | |
überlebten einzigartige Arten wie der Nationalvogel, die Kaiser-Amazone, | |
hier Sisserou genannt. Er ziert die Flagge der einstigen britischen | |
Kronkolonie. Der ehemalige Verwaltungsangestellte Bertrand Jno Baptist hat | |
sein Leben dem Schutz des Sisserou gewidmet. In den Wipfeln des | |
Nationalparks Morne Diablotin hat er die Vögel jahrelang beobachtet, | |
gezählt und beschützt. Auf der Insel ist er als Doktor Birdy bekannt. | |
„Nach dem Hurrikan war kein Vogel zu hören. Inzwischen habe ich sie alle | |
bis auf einen wieder gehört und gesehen. Sie haben sich bei dem Hurrikan im | |
Unterholz versteckt, aber sie sind sehr stark dezimiert“, sagt Doktor | |
Birdy. Er führt Besuchergruppen zur Vogelbeobachtung in den Wald. Doch die | |
Besucher lassen auf sich warten. „Wir hatten ein grünes, zu zwei Dritteln | |
von Regenwald bedecktes Paradies, das sich fast völlig intakt in die | |
Neuzeit retten konnte“, erzählt er. „Der Hurrikan hat uns schwer geschadet. | |
Und die Wege, die mühsam in die Berge geschlagen wurden, sind verschüttet.“ | |
Doktor Birdy findet die Idee des Voluntourismus gut. „Vergünstigt urlauben | |
und dafür in der Natur aufräumen – großartig! Ich gehe mit auf | |
Vogelsuche.“ | |
3 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
## TAGS | |
Hurrikan | |
Wiederaufbau | |
Tourismus | |
Karibik | |
Dänemark | |
Puerto Rico | |
Ozonloch | |
Paradise Papers | |
Hurrikan | |
Wandern | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Macht das Sinn?: Im Urlaub rackern | |
Zum Erhalt der Wanderwege werden auf den Färöer-Inseln Pflöcke einschlagen | |
und Wege markiert. Ist ein freiwilliger Einsatz der bessere Urlaub? | |
Papageien-Import nach Brandenburg: Ausgeflogen aus der Karibik | |
Auf Dominica ist eine Papageienart vom Aussterben bedroht. Ein Verein | |
bringt zwei Tiere nach Deutschland. Vogelschützer verlangen den Rückflug. | |
Die Papageien-Retter aus Brandenburg: Merkwürdiger Zoo in der Provinz | |
Der Verein ACTP holte Papageien aus Dominica in ein deutsches Dorf. | |
Transparenz zeichnet ihn nicht aus, die Finanzierung bleibt unklar. | |
Hurrikansaison in Puerto Rico: Schocktherapie für eine Geschundene | |
Zu Beginn der Hurrikansaison laboriert Puerto Rico noch an den Folgen von | |
Wirbelsturm „Maria“. Die Insel fühlt sich von Washington missachtet. | |
Neue Studie zur Ozonschicht: Das Ozonloch ist zurück | |
Die Schutzschicht dünnt sich aus. Forscher suchen noch nach einer | |
Erklärung. Die US-Regierung zögert ihre Zustimmung für ein Abkommen hinaus. | |
Finanzskandal „Paradise Papers“: Paradiesisch legale Briefkästen | |
Der neue Finanzleak zeigt: Anlegern wird es viel zu leicht gemacht, ihr | |
Geld in Steuerparadiesen vor den Finanzämtern zu verstecken. | |
Schwerer Wirbelsturm in der Karibik: „Maria“ tobt | |
Hurrikan „Maria“ erreicht am späten Montagabend die Karibik-Insel Dominica. | |
Dabei kämpft die Region noch mit den verheerenden Folgen von Wirbelsturm | |
„Irma“. | |
Die Karibikinsel Dominica: Wege entstehen, wenn man sie geht | |
Der Waitukubuli National Trail führt durch tropische Schönheit und die | |
Tücken der Natur. Besuch bei den letzten Indianern der Karibik inklusive. |