# taz.de -- Die Karibikinsel Dominica: Wege entstehen, wenn man sie geht | |
> Der Waitukubuli National Trail führt durch tropische Schönheit und die | |
> Tücken der Natur. Besuch bei den letzten Indianern der Karibik inklusive. | |
Bild: Dominica, behaupten die Einheimischen, wäre die einzige Karibikinsel, di… | |
Ever since I know myself … Seit ich mich erinnern kann“, so leitet Marcel | |
Durand fast jede Unterhaltung ein. „Seit ich mich erinnern kann“, erzählt | |
er gerade, „gab es immer schwere Hurrikane auf Dominica. Doch ‚Erika‘ war | |
einer der heftigsten.“ | |
Marcel ist unser ständiger Begleiter und Fahrer auf der Karibikinsel | |
Dominica. The Big Easy, so nennen die Dominicaner ihren Lebensstil. The Big | |
Easy passt auch zu ihm. Groß und massig, höflich und zugänglich, Sinn für | |
Humor. Wandern sei zu zurzeit nicht einfach, sagt Marcel. Der Hurrikan | |
„Erika“ hat im September 2015 die Berghänge der Karibikinsel Dominica ins | |
Rutschen gebracht. Auch viele Wege des Waitukubuli National Trail, unser | |
Ziel, seien weggerutscht und noch nicht wiederhergestellt. | |
Auf unseren Wanderungen begleitet uns Derrick Joseph, staatlich geprüfter | |
Wanderführer, Musiker aus Passion, vom Stamm der Kalinago. Er wartet am | |
Straßenrand und trommelt auf der Wasserflasche. Das dichte, lange schwarze | |
Haar hat der 37-Jährige zu einem Zopf zusammengebunden, das T-Shirt lässig | |
um den Hals geknotet. Seinen nackten, muskulösen Oberkörper setzt er | |
schamlos der Sonne aus. Unser gemeinsames Ziel: die Jacko Steps. | |
## Ein schwieriges Unterfangen | |
Völlig unvorbereitet durchwaten wir den Layou River über rutschiges Geröll. | |
Auf der anderen Seite liegt das Grundstück eines Rastapärchens. „Hey“, ru… | |
die grauhaarige Mary mit ihren Rastalocken von der Terrasse. Smalltalk. | |
„Ja, wir leben seit dreißig Jahren hier. Hier wächst alles, was wir | |
brauchen. Drei unserer fünf Kinder haben sich unten am Hang Hütten gebaut. | |
Wir sind glücklich. Und es macht 10 Dollar pro Person.“ | |
Mit Weggebühr zu den Jacko Steps hatten wir nicht gerechnet. | |
„Der Weg muss gepflegt werden“, sagt Mary. | |
Wir zahlen die Transitgebühr. Von Pflege ist wenig zu spüren. Matsch, | |
rutschiges, abschüssiges Gelände, keine Wegbegrenzung, manchmal gar kein | |
Weg, dann wieder ein verwitterter Holzpfahl. Es regnet immer wieder. Wir | |
steigen den Regenwald hoch. Der Boden ist feucht, glitschig, für Ungeübte | |
und trotz Profilsohlen schwer zu gehen. | |
„No woman, no cry“, trällert Bandleader Derrick während er wie eine | |
Bergziege lässig die tiefsten Schlammlöcher überspringt. „Es ist ein alter | |
Weg“, erklärt er in Englisch mit kreolischem, das heißt französisch | |
anmutendem Einschlag. Der Weg wurde von entlaufenen Sklaven – den Maroons – | |
angelegt. „Sie flüchteten vor der brutalen Sklavenarbeit in den Plantagen | |
an der Küste hier hoch in die dicht bewaldeten Berge. Mehr als 40 Jahre | |
lebten sie hier. Ihr Anführer war Jacko.“ | |
Sie müssen groß gewesen sein. Denn die in den Fels geschlagenen Jacko | |
Steps, die auf der anderen Seite des Bergs zum Fluss hinunterführen, sind | |
fast ein Meter hohe Stufen. Dort holten Jacko und seine Leute Wasser vom | |
Fluss. Für kurze Beine ein schwieriges Unterfangen. | |
Der Rückweg, bergabwärts, ist schlimmer als der Aufstieg, eine | |
Schlitterpartie im Regen. Klatschnass, von oben bis unten mit Lehm | |
bespritzt, kommen wir wieder zum Fluss. Nur Derrick ist völlig unbeschadet. | |
Dieses Mal schwimmen wir hinüber. Warum er uns gleich am ersten Tage auf | |
so eine schwierige Etappe mitgenommen hat , fragen wir Derrick. „Das war | |
eine der einfachsten. Eine kleine Einübung auf den Trail.“ | |
## Die unzugängliche Insel | |
Der 115 Kilometer lange Waitukubuli National Trail auf Dominica wurde 2011 | |
mithilfe der EU fertiggestellt. 184 Kilometer verläuft er in vierzehn | |
Abschnitten von Süd nach Nord, von Scotts Heads an der südlichsten Spitze | |
der Insel zum Cabrits Nationalpark. Er geht über bewaldete Berge im | |
Inselinneren, durch den Morns Trois Pitons Nationalpark, der zum | |
Weltkulturerbe gehört. Er führt die Höhen des dampfenden Regenwalds hinauf | |
und durch dramatische Schluchten. Überquert unzählige Flüsse, vorbei an | |
spektakulären Wasserfällen und Schwefelquellen. Er durchquert verlassene | |
Plantagen, schlängelt sich an der Steilküste entlang, mäandert durch | |
fruchtbares Farmland und kleine Dörfer. | |
„Keine giftigen Schlangen, keine fiesen Spinnen, keine gefährlicheren Tiere | |
als ein Guinea-Schwein.“ | |
„Aber die können beißen.“ | |
„Seit ich mich erinnern kann, wurde noch niemand davon getötet.“ Marcel | |
grinst, während er die Vorzüge Dominicas anpreist. | |
Etappe sechs des Waitukubuli Trail liegt in Kalinago-Land. Waitukubili | |
bedeutet „Groß ist ihr Körper“. So tauften die Ureinwohner, Karib-Indiane… | |
die sich selbst Kalinago nennen, einst ihre Insel. Die Vorfahren der | |
Kalinago kamen vor Jahrhunderten hierher. Sie sind die letzten Indianer der | |
Karibik. Die Unzugänglichkeit der Insel war ihr Glück. Rund 3.500 von ihnen | |
leben bis heute im Nordosten Dominicas in einem Reservat, dem Kalinago | |
Territory. | |
Auch Derrick Joseph, unser Wanderführer, wohnt hier. Er wartet auch heute | |
auf uns im Besucherzentrum des Dörfchens Barana Autê, einer Art | |
Freilichtmuseum zur Kultur der Kalinago. Im Besucherzentrum, einer | |
repräsentativen Hütte mit Palmdach, wird die Geschichte der Kalinago | |
erzählt. Der Minister für Angelegenheiten der Kalinago auf Dominica, Cozier | |
Frederick, führt uns durch die kleine Ausstellung. | |
Sie beginnt mit der Besiedlung der Kleinen Antillen rund 700 Jahre vor | |
Christus durch die Kariben, ein kriegerisches Volk aus Guayana und Surinam. | |
Sie verdrängten die Taino. Dann kamen die spanischen Eroberer. Sie waren an | |
Dominica nicht weiter interessiert. Die Verdrängung der Kalinago schafften | |
englische und französische Kolonisatoren. Geblieben ist ihnen das Land im | |
Reservat. | |
„Arbeit ist ein großes Problem für die Kalinago. Die Landwirtschaft reicht | |
nicht, der Bootsbau funktioniert als Geschäft schon lange nicht mehr“, | |
erzählt Frederick. Inzwischen habe sich hier ein Zusatzgeschäft durch | |
Gemeindetourismus entwickelt: Reisende können bei Kalinago-Familien leben. | |
Er zeigt uns ein „Home Stay“: eine schlichte Hütte, selbst gebaut aus | |
Palmzweigen. Drinnen eine zusammengenagelte Liegestatt. Ein Plumpsklo im | |
Garten, dazu Hunde, Hühner und ein Schwein. Kalinago ist zwar bis heute | |
eine ethnische Kategorie, aber sie ist vor allem ein Synonym für die | |
Ärmsten der Unterschicht. | |
## Der bedrohte Nationalvogel | |
„Johnny Depp ist cool“, sagt Derrick unvermittelt, als wir uns auf den | |
Trail machen. Er will erzählen, denn er war dabei, als Depp mit seinem | |
Filmteam hier auf Dominica „Fluch der Karibik 2“ drehte, Statist in der | |
Szene, als Depp entführt wird. „Es war eine gute Zeit“, schwärmt Derrick. | |
„Es gab viel Arbeit und viel zu sehen.“ | |
Unsere Wanderung auf Abschnitt sechs des Waitukubuli Trail ist wie die am | |
Tag zuvor anstrengend: die feuchte Erde gefährlich rutschig, die Wege teils | |
zugewachsen, verschüttet, auf jeden Fall kaum abgesichert. Der Waitukubuli | |
Trail ist eine Herausforderung. Eine lohnende: Einsamkeit, überdachter | |
Regenwald, Farne in allen Grünfarben, Orchideen, Ananas- und | |
Kokosnussplantagen und immer wieder der Blick auf den Atlantik oder in | |
tiefe Schluchten. | |
„Seit ich mich erinnern kann, wurde der Sisserou, der Nationalvogel der | |
Insel, gejagt. Heute ist das verboten“, sagt Marcel auf der Rückfahrt aus | |
Kalinago-Land. „Der Papagei ist am Aussterben, aber wir haben immer noch | |
die meisten Vogelarten der Karibik, 162 verschiedene Arten“, behauptet er. | |
„Trinidad und Tobago hat 400 Arten.“ – „Kann sein, aber dort gibt es au… | |
viel Kriminalität.“ | |
In der Abgeschiedenheit der Insel Dominica überlebten einzigartige Arten | |
wie der Nationalvogel, die Kaiseramazone, hier Sisserou genannt. Er ziert | |
die Flagge der einstigen britischen Kronkolonie. Oder der Jacko. Beide | |
Vögel zählen zu den Amazonenpapageien, das Gefieder ist grün, andersfarbig | |
sind Kopf, Flügel und Schwanz. Trotz des absoluten Schutzes beider Vögel | |
durch Gesetz, Behörden und Naturschützer aus aller Welt sind die | |
Überlebenschancen gering. Vom Nationalvogel leben kaum mehr als 600 | |
Exemplare. | |
In Secret Bay, im Norden der Insel, treffen wir Bertrand Jno Baptiste. Der | |
ehemalige Verwaltungsangestellte hat sein Leben dem Schutz des Sisserou | |
gewidmet. In den Wipfeln des Nationalparks Morne Diablotin hat er die Vögel | |
jahrelang beobachtet, gezählt und beschützt. Auf der Insel ist er als Dr. | |
Birdy bekannt. | |
„Nach dem Hurrikan ‚David‘ waren die Kaiseramazonen fast ausgestorben, ab… | |
wir hatten Glück, jetzt leben hier an den Hängen des Diablotin wieder 300 | |
Paare“, sagt Birdy. Er führt Besuchergruppen zur Vogelbeobachtung in den | |
Wald. „Wir haben ein grünes, zu zwei Dritteln von Regenwald bedecktes | |
Paradies, das sich fast völlig intakt in die Neuzeit retten konnte“, | |
erzählt er. „Hierher kommen viele Alleinreisende, Naturliebhaber, Wanderer, | |
aber sie sind eine unsichere Klientel: Ein Hurrikan, und sie bleiben weg. | |
Und die Wege, die mühsam in die Berge geschlagen wurden, verkommen.“ | |
„Wege entstehen, wenn man sie geht“, bestätigt Marcel. Er ist eigentlich | |
Philosoph. | |
27 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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