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# taz.de -- Antilleninsel Guadeloupe: Feilschen um ein Foto der Schönen
> Die Karibik ist im Trend, Guadeloupe ist längst in. Von klugen
> Marktfrauen und einem großartigen Museum zur Aufarbeitung der Sklaverei.
Bild: Grafitti auch zu Ehren der Marktfrau
Die Händlerin mit den auffallend orangeroten Lippen und Fingernägeln,
passend zum orangegelb-karierten Kleid – die einheimische Tracht –, schaut
unter ihrem knallgelben Turban streng auf das Touristenpaar. Bewaffnet mit
einer Kamera stehen sie vor ihrem Stand und betteln um ein Foto. Nein, kein
Foto! Dabei sieht die Händlerin aus, als habe sie fürs Fotoshooting
aufgerüstet und damit das ohnehin farbenfrohe Ambiente des Markts Saint
Antoine mit ihrem Outfit getoppt.
Die Hände auf den ausladenden Hüften fordert sie das französische
Touristenpaar fast aggressiv zum Kauf von Vanille, Ingwer, Kakao auf. Und
obwohl diese sehr wahrscheinlich „all inclusive“ unterwegs sind, nehmen sie
schließlich selbst die Yamswurzel in Kauf, zu der sie die resolute
Marktfrau überredet. Als Gegenleistung gibt es ein Foto der Schönen. Eine
gute Geschäftsidee – so bleibt auch von den Tausenden rundum versorgten
Kreuzfahrttouristen, die sich auf Guadeloupe für vier Stunden die Beine
vertreten, Geld im Land.
Pointe-à-Pitre, die guadeloupische Hafenstadt, ist touristischer Hotspot.
Hier legen die fetten Kreuzfahrtschiffe an. Und hier auf dem Inselteil
Grande-Terre baden französische Familien neben Deutschen und anderen
europäischen Touristen an den weißen Stränden mit ihren Resorts und Clubs.
Die Karibikinsel Guadeloupe ist für Franzosen Heimspiel, denn Guadeloupe
gehört zu Frankreich. Ein Departement wie das Jura. Teil der Europäischen
Union inklusive Euro, aber ohne Schengen-Abkommen und EU-Verbrauchsteuer.
## Rum unter echten Palmen
Ein Flug nach Guadeloupe ist nicht viel teurer, wenn auch sechsmal so weit,
als ans Mittelmeer. Die Krisen rund ums Mittelmeer fördern den
Karibiktourismus. 2016, so die Prognose des Deutschen Reiseverbands (DRV),
werde bei den Deutschen das Jahr der Karibik.
Weiße Strände, grüne Hügel, satte Palmen, das sanfte karibische Klima,
starker Rum und rhythmische Musik – Guadeloupe erfüllt alle
Karibikklischees: abhängen in gepflegten Resorts, sich mit Rum high
trinken, die Küche, kreolisch-französisch, goutieren. Paradiesfeeling und
Traumurlaub, wie es die Reiseprospekte versprechen, unter echten Palmen und
mit hartem Euro.
Der Markt Saint Antoine in Pointe-à-Pitre zwischen Place Victoire und Rue
Peynier ist die Touristenattraktion der Kleinstadt. Ein paar Bürgerhäuser,
Altbauten in französischer Kolonialarchitektur, in denen kleine Museen
oder die Verwaltung untergebracht sind, eine renovierte Kathedrale, viele
heruntergekommene Häuser, Billigläden. Pointe-à-Pitre ist unspektakulär,
provinziell, langweilig. Das Leben tobt etwas weiter, nachts, im
Ausgehviertel Le Gosier.
## Ein Museum zur Geschichte der Sklaverei
Zwischen dem Markt und Le Gosier, völlig losgelöst vom Rest der Umgebung,
steht direkt am Hafen ein 4.350 Quadratmeter großes Gebäude. Riesig und
silbern glänzend mit seiner Hülle aus Aluminiumgeflecht. Am 10. Mai 2015,
dem internationalen Gedenktag an die Opfer der Sklaverei, weiht der
französische Staatspräsident François Holland das Mémorial-ACTe-Museum in
Pointe-à-Pitre ein. Es erinnert an das Schicksal der Millionen Sklaven, die
in die Karibik verschleppt wurden. Es erzählt die kriminelle Geschichte der
Sklaverei bis in die Gegenwart.
Die schwarze Fassade des Gebäudes ist eine großer Gedenkstein für das
menschliche Drama des Sklavenhandels. Das silberne Aluminiumgeflecht, das
die Fassade umschließt, hat eine filigrane Netzstruktur, die an die Wurzeln
des wilden Feigenbaums erinnern soll. Der wilde Feigenbaum mit seinem
expansiven Wurzelwerk überwuchert noch die geschichtsträchtigsten Gemäuer.
Das Museum wurde von einem lokalen Architektenteam entworfen. Es steht
symbolträchtige auf dem Gelände, wo sich einst die größte Zuckerrohrfabrik
der Insel befand. Einer der größten Sklavenbetriebe.
Mehr als 85 Millionen Euro hat der futuristische Bau in Hafennähe gekostet.
Eine Riesensumme für die wirtschaftlich schwer gebeutelte Antilleninsel.
Die Hälfte der Summe hat Guadeloupe aufgebracht, die andere haben sich
Frankreich und die EU geteilt. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit von 26
Prozent – die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 60 Prozent – ist das teure
Museum umstritten. „Ein Luxusprojekt in den Augen vieler. Einheimische
kommen nur selten“, sagt die Frau an der Rezeption.
## Erzählte Geschichte
Die großen, hohen Räume des Mémorial ACTe, die mit nur wenigen Objekten
ausgestatten sind, haben eine fast sakrale Wirkung. Gleich zu Beginn der
Dauerausstellung werden über Videoinstallationen die Lebensgeschichten der
ersten Schwarzen auf Guadeloupe vorgestellt: Jean le Portugais Noir und
Juan Garrido, zwei Schwarze im Heer der Konquistatoren, Louis le Marron,
ein verkaufter Mulatte aus Sevilla und Francis le Wolof, der entlaufene
Sklave.
Sie erzählen ihre Leben auf einer großen Leinwand. Gesprochene Geschichte,
filmreif präsentiert und personalisiert – dieses Konzept ist im Mémorial
ACTe Programm. Es nimmt für sich ein, entführt ganz in die ungeheuerlichen
Geschichte und Geschichten der Sklaverei.
Fotos, Archivauszüge, Multimedia-Installation, moderne Kunst und Filmcomics
geben in ungefähr dreißig Sälen einen vielseitigen historischen Einblick.
Unterhaltsam wie der Comic der jungen Sklavin, die in den begehrten Status
der Haussklavin aufsteigt, die harte Plantagenarbeit hinter sich lässt,
dafür den sexuellen Annäherungsversuchen des Plantagenbesitzers und den
neidischen Attacken seiner eifersüchtigen Frau ausgesetzt ist. Brutal wie
die Züchtigungsinstrumente, die Peitschen, Stöcke und Ketten der
„Bastiaans“, der schwarzen Aufseher, die sich in den Dienst der
Sklavenhändler stellten.
## 12 Millionen verschleppte Afrikaner
Der Sklavenhandel war die größte Menschenverschleppung aller Zeiten. Im 16.
Jahrhundert etablierte sich ein ausgeklügeltes Handelsnetz, mit dessen
Hilfe die europäischen Seemächte systematisch die Versklavung von Millionen
Schwarzafrikanern betrieben, zur Bewirtschaftung der Kolonien in der Neuen
Welt. In den fast 400 Jahren der atlantischen Sklaverei kamen etwa 10 bis
12 Millionen verschleppte Schwarzafrikaner lebend in Amerika an. 4 bis 5
Millionen Sklaven wurden auf die Inseln der Karibik gebracht, 3,5 bis 5
Millionen nach Brasilien, und eine halbe Million Sklaven wurde in die USA
verkauft. Doch die Dunkelziffer der systematischen „Deportationen“ ist
erheblich höher.
Der Fokus des Mémorial ACTe liegt auf der Karibik und der speziellen
Alltagskultur, die sich hier entwickelt hat. Beispielsweise der kreolische
Garten, der den Sklaven zur Ernährung nach mitgebrachter Tradition, aber
auch als kleines Refugium diente. Oder der karibische Karneval mit seinen
Ritualen, Geistern, seiner Ausgelassenheit und Rebellion, seinen schwarzen
Rhythmen. Immerhin sind heute 90 Prozent der Einwohner von Guadeloupe
Schwarze oder Mulatten.
Pflichtgemäß hat Staatspräsident François Hollande bei der Einweihung der
Gedenkstätte die „irreparablen Verbrechen der Sklaverei“ angeprangert und
sich auch der Schuld Frankreichs gestellt. Doch das Mémorial ACTe bleibt
nicht bei der Opferrolle, beim Anprangern der Verbrechen der Sklaverei
stehen. Es gibt den Millionen, denen ihre Geschichte geraubt wurde, ein
Gesicht und zollt den Widerstandskämpfern, den entlaufenen Sklaven und
Aufständischen Tribut. Und es dokumentiert die internationalen Bewegungen
gegen Rassismus und Sklaverei von Paris bis Washington. Das Museum ist
vielfältig, global, überraschend, großartig.
## Die Welt kreolisiert sich
Die Welt kreolisiert sich, sagte Edouard Glissant, der Schriftsteller und
Philosoph von der karibischen Nachbarinsel Martinique, der 2011 in Paris
starb. Glissant hatte zu Lebzeiten den Bau des Museums angeregt.
Kreolisierung bedeutet für ihn, Begegnung, Wechselwirkung,
Aufeinanderprallen, Harmonien und Disharmonien zwischen Kulturen. „Die
Kreolisierung ist nicht einfache Rassenmischung, sie geht weiter. Sie
schafft absolut Neues, das unerhört und unerwartet ist“, sagt er in einem
Interview in der taz.
Der karibische Autor sprach in seinen Gedichten, Romanen und Aufsätzen vom
Zusammenprall und von der Durchdringung der Kulturen, vom nivellierenden
Allerweltseinerlei und chaotischen Weltvielerlei. Letzteres hat Glissant
immer propagiert. Auf Guadeloupe herrscht allerdings, zumindest in den
touristischen Resorts, das nivellierende Weltallerlei.
Der Ort Petit-Canal liegt einige Kilometer nördlich von Pointe-à-Pitre.
Abgetretene Steinstufen führen hinauf zu einem Platz, auf dem eine weiß
getünchte Kirche steht. Les marches des esclaves, die Stufen der Sklaven,
wird die Treppe genannt. Auf dem Kirchplatz wurden früher Sklaven für die
Arbeit auf den Zuckerrohr- und Kaffeefeldern der weißen Plantagebesitzer
verkauft.
Petit-Canal ist Teil der Sklavenroute auf Guadeloupe. Hier steht auch das
von einer wilden Feige umwucherte Gemäuer des ehemaligen
Sklavengefängnisses. Von der Kirche aus schweift der Blick auf die kleine
Hafenbucht. Fischerboote schaukeln an den Stegen. Eine Idylle aus
Mangobäumen, roten Bougainvillea und dem glitzernden Meer.
## Die Sklavenroute auf Guadeloupe
Die Route de l’esclave führt auf der Nationalstraße N1 weiter nach
Basse-Terre und über den nur 50 Meter breiten Meeresarm Rivière Salée. Das
Ziel: Fort Louis Delgrès. Es erhebt sich auf einem Felsvorsprung an der
Südspitze von Basse-Terre. Errichtet wurde das massive Bauwerk aus dem 17.
Jahrhundert zur Verteidigung der Franzosen gegen die Engländer. Delgrès ist
der Nationalheld der Insel. Überall stehen Büsten des Widerstandskämpfers,
der gegen die Wiedereinführung der Sklaverei durch Napoléon kämpfte.
Im Zuge der Französischen Revolution 1789 wurde die Sklaverei in den
französischen Kolonien und damit auch in Guadeloupe 1794 aufgehoben.
Napoléon führte jedoch die Sklaverei 1802 wieder ein. Zwei schwarze
Truppenführer, Delgrès und Ignace, stellten sich mit ihren Soldaten
Napoleons Truppen entgegen und starben. Doch die wiederhergestellte
Unterdrückung der Sklaverei bröckelte: Immer mehr Sklaven flüchteten in die
Wälder, es flammten immer wieder Aufstände auf. Nach der Revolution von
1848 wurde die Sklaverei durch das Décret d’abolition de l’esclavage vom
27. April 1848 in allen französischen Besitzungen endgültig abgeschafft.
Die weiße Vorherrschaft ist auf Guadeloupe geblieben, auch wenn die Weisen
nur 5 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie besitzen die Immobilien, das
Land, die landwirtschaftlichen Flächen. Das Lohnniveau in den
Überseedépartements ist im Durchschnitt um 40 Prozent geringer als auf dem
französischen Festland – und das, obwohl die Lebenshaltungskosten höher
sind.
Im April demonstrierte wie im Mutterland Frankreich die Arbeiterpartei
Guadeloupes auf dem Place de la Victoire in Pointe-à-Pitre gegen das Gesetz
El-Khomri der gleichnamigen französischen Arbeitsministerin. Das Gesetz
weicht gewerkschaftliche Standards auf. Das Leben im touristischen Paradies
ist häufig prekär und teuer.
Die Frauen am Markt von Pointe-à-Pitre kämpfen auf ihre Weise. Sie machen
aus jedem fotogenen Lächeln ein kleines Geschäft.
6 Aug 2016
## AUTOREN
Edith Kresta
## TAGS
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Schwerpunkt Rassismus
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