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# taz.de -- Ausstellung auf Flensburger Museumsberg: Wenn Schweine die Grenze s…
> Von dänischen Freikorps und lebensfeindlichen Einöden: Eine
> grenzüberschreitende Gruppenausstellung widmet sich den Daseinsformen von
> Grenzen.
Bild: Sucht Rekruten für ihren satirischen Schweinegrenzschutz: das dänische …
Hamburg taz | Irgendwann im Sommer 1965 war es, da stand der Großvater von
Anke Müffelmann, Jahrgang 1963, in Hitzacker an der Elbe und fotografierte:
die Elbe, die [1][Hinweisschilder, auf denen „Halt! Hier Zonengrenze“]
stand, die zerstörten Elbbrücken, auch Christine und Dodo, wie er hernach
zu den Fotos notierte.
Nun hat die Enkelin die analogen Farbfotos ihres Großvaters Johannes
hervorgeholt, präsentiert sie neu und bespielt so mit Aussichten auf eine
Grenzwelt, die uns heute so unendlich weit weg vorkommt, den letzten Raum
der aktuellen [2][Ausstellung „Grenze, Graense, Granitsa“] auf dem
Flensburger Museumsberg.
Dabei belässt es Anke Müffelmann nicht mit einem dokumentarischen Blick
zurück, sondern sie flankiert die nicht nur im technischen Sinne leicht
unscharf gewordenen Familienausflugsbilder mit auf Dauerhaftigkeit
angelegten Arbeiten: Blech-Embleme, die man sich einst an den hölzernen und
polierten Wanderstock nagelte, um zu demonstrieren, wo überall in der Welt
man schon seinen Fuß aufsetzte („Bad Tölz“, „Oker Talsperre“, „Rhei…
hat sie zum Vorbild genommen, um daraus stark vergrößerte Keramik-Embleme
zu brennen, die je der Name „Zonengrenze“ ziert – heute leicht altbacken
wirkendes Synonym einer ja tatsächlich rigorosen Grenzziehung.
Anke Müffelmann ist Gast, denn ausgerichtet hat die Ausstellung die Gruppe
„Graenselandsudstillingen“: ein Zusammenschluss deutscher und dänischer
Künstler und Künstlerinnen und entsprechend im dortigen Grenzgebiet
beheimatet. Regelmäßig lädt die Gruppe ihre Mitglieder zu thematischen
Ausstellungen in verschiedene Kunsthäuser ein, juriert die eingereichten
Arbeiten, gewichtet sie also – und holt ergänzend Gäste dazu, wie eben die
Kieler Künstlerin Anke Müffelmann.
Naheliegend sind das auch diesmal weitere Künstler aus den beiden Ländern,
doch wurden diesmal – wie um gleich eine bisher gültige Grenze zu sprengen
– auch drei Künstler aus der russischen Enklave Kaliningrad hinzugeladen;
was wie die ganze Ausstellung überhaupt an zwei Jubiläen liegt: an der
20-jährigen Partnerschaft sowohl der Regierungen Schleswig-Holsteins und
Kaliningrads als auch des Schleswig-Holsteinischen Landtages und der
Gebietsduma von Kaliningrad.
Und dann schaut man auf das kommende 100. Jubiläum der Grenzziehung
zwischen dem Königreich Dänemark und dem Deutschen Reich im Frühjahr 1920
in Folge der Versailler Verträge und der sie begleitenden
Volksabstimmungen. Letzteres wird demnächst ausgiebig gefeiert, begangen
oder erst mal historisch eingeordnet werden – je nach Haltung.
## Satirischer Selbstschutz
In diesem Sinne ist die Flensburger Ausstellung als Vorspiel für Größeres
zu verstehen. Entsprechend knackig startet die Ausstellung – mit einem Mix
aus Rauminszenierung und Realsatire und einer multimedialen Schau des
dänischen Künstlerduos Herschbach & Møller: denn die widmet sich dem
sogenannten Schweinezaun. Dieser ist mittlerweile entlang der dänischen
Seite auf- und fertiggestellt und soll – so die offizielle Lesart –
dänische Schweine vor der sich nach Norden ausbreitenden Schweinepest
schützen.
Doch nicht wenige Grenzlandbewohner misstrauen dieser veterinärmedizinisch
ausgerichteten Argumentation: Handelt es sich nicht um eine erste, spärlich
getarnte Maßnahme, sich von Europa im Allgemeinen und Deutschland im
Speziellen abzugrenzen? Geht es überhaupt um Schweine? Oder geht es nicht
wie so oft um das Fremde, das Andere, das fernzuhalten ist?
Für Herschbach & Møller ist das keine Frage, denn sie rufen mit ihrem
inszenierten Rekrutierungsbüro zum Selbstschutz auf, sind auf der Suche
nach Freiwilligen für einen ganz eigenen Schweinegrenzschutz unter den
Ausstellungsbesuchern. Und dazu kann man probeweise schon mal in eine
Uniformjacke schlüpfen, kann sich auch eine Schweinemaske aus entsprechend
fügsamen Latex überziehen und so dem Hinweis „Selfie opportunity“ folgen …
kann kurzum zum Schwein werden, das es zu schützen gilt, das aber auch
seine Angelegenheiten selbst in die Hand nimmt.
## Grenzlebkuchenherzen
Mit Fotos von Patrouillenfahrten im Privat-PKW entlang der Grenze wird
geworben, martialisches Gerät in Form von mit Messern gespickten Mistgabeln
steht bereit. „Wir sind da, wo andere versagen“, heißt es im Aufruf, sich
als Freiwilliger der Grenzwacht anzuschließen. Denn: „Wir wollen eine
Grenze, die den Namen Grenze verdient.“ Und überhaupt gelte: „Dänemark den
Dänen!“
Böse der Titel der geplanten Freiwilligentruppe: „Frikorps Dannebrog“
nämlich – wozu man wissen muss, dass „Frikorps Dannebrog“ die offizielle
Bezeichnung für das Korps der dänischen Freiwilligen war, die unter der
Fahne der SS für Hitlerdeutschland kämpften und wüteten. Etwa 6.000 Dänen
sollen es gewesen sein, in Dänemark spricht man darüber nicht so gern.
Geht es also zunächst unmittelbar zur Sache (das dänische Fernsehen war
gleich da, der NDR auch), wird es in den folgenden Räumen erkennbar ruhiger
und das Spektrum öffnet sich: Grenze wird in vielen Arbeiten eher
spielerisch formal und abstrakt gesehen: Eva Ammermann zeigt uns lineare
Zeichnungen auf Karopapier; Kaare Golles setzt sich in seinen
bildhauerischen Arbeiten mit Mythologischem auseinander und der Fuß des
über alle Grenzen leichthin hinwegfliegenden Götterboten Merkur wird
seltsam schwer und verschraubt.
Immer wieder aber kehrt die Ausstellung ins Unmittelbare zurück: Dan
Thuesen hat kaum zu bemerkende Grenzübergänge in kleinen Dörfern
fotografiert; Morten Krogsgaard hat in einem der Räume eigenhändig eine
Mauer gezogen: Auf der Rückseite locken Lebkuchenherzen mit von Oblaten
umrahmten Grenzmotiven. Jacob Tækker wiederum hat Schüler einer achten
Klasse die Frage gestellt: „Wärst du ein Land, wie würde deine Fahne
aussehen?“
Beeindruckend ist der Besuch eines Filmraums, in dem der Kaliningrader
Fotograf Dmitry Vyshemirsky in mehreren Slideshows seine assoziativ
angelegten Bilderschätze präsentiert. Die Serie „Post“ kreist um das
ehemalige Hauptpostamt, als Kaliningrad noch Königsberg hieß und preußisch
war. Heute ist die einstige Kommunikations- und damit Machtzentrale ein
schlichtes Wohn- und Geschäftshaus, in einigen Teilen gut erhalten, in
anderen sehr heruntergekommen.
Die Serie „Waiting for Mercy“ wiederum erzählt von tödlichen Ein- und
Ausgrenzungen: Vyshemirsky hat verlassene Arbeits- und Gefangenenlager des
ehemaligen Sowjetreichs in den lebensfeindlichen Einöden bei Murmansk und
Archangelsk aufgesucht, die über Jahrzehnte hermetisch abgeriegelt und
schwer bewacht waren. Heute zeigen sich ihre Überreste bis hin zu den
unbeerdigten Gebeinen der Opfer von Verfolgung und Ausgrenzung, die
zwischen den Mauerresten liegen und über die nun seit Jahren der eiskalte
Wind auch des bewusst herbeigeführten Vergessens weht.
Es wird spannend werden, welche Impulse dieser Vorab-Ausstellung die
kommende Hauptausstellung zu 100 Jahren deutsch-dänische Grenzziehung
aufgreifen oder auch vernachlässigen wird. Deren Titel lautet zunächst
einmal recht nüchtern „Perspektivwechsel 2020“. Der Museumsberg wird einer
der Austragungsorte sein, das Flensburger Schifffahrtsmuseum, die dänische
Bibliothek in der Flensburger Fußgängerzone. Am 14. März geht es los.
14 Jan 2020
## LINKS
[1] /Ehemalige-deutsch-deutsche-Grenze/!5635335
[2] https://www.museumsberg-flensburg.de/de/ausstellungen/details/grenze-graens…
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Ausstellung
Dänemark
Grenzkontrollen
Flensburg
Grenzzaun
Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2022
Kunst
Europa
Wildtiere
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