# taz.de -- An der Grenze zu Dänemark: Symbolischer Wildschweinzaun | |
> Seit 2015 wird die Grenze zwischen Dänemark und Deutschland immer | |
> sichtbarer. Das einst so hyggelige Nachbarland hat sich verändert. | |
Bild: Wildschweine und andere Grenzgänger unerwünscht: Dänemarks Grenzzaun | |
GRæNSLAND taz | Anfang der 1990er Jahre schmuggelte ich einen Sowjetbürger | |
über die deutsch-dänische Grenze. Er war nervös, ich gelassen: Als | |
Grænslandkind war ich überzeugt davon, dass der Schlagbaum sich für mich | |
hob. Außerdem ging es um Eis. | |
In Dänemark gab es fantastisches Eis, zum Beispiel eine Waffel, in der | |
kopfüber ein Schokokuss steckte. Überhaupt war das Dänemark meiner Kindheit | |
ein Ort voller Überraschungen, Legoland und Zukunftsland zugleich. Der | |
Verkehr floss durch Kreisverkehre, statt sich an Ampeln zu stauen, die | |
Menschen duzten sich und im Parlament regierten Minderheiten. Das heutige | |
Zeitschriften-Modewort „hygge“ benutzte noch niemand, aber das Hygge-Gefühl | |
lag über dem Dänemark meiner Kindheit wie der Geruch von Sonnenmilch und | |
Pusteblumen. | |
War natürlich alles Quatsch. Die dänisch-deutsche Geschichte ist lang und | |
streckenweise blutig. Die Fürstentümer Schleswig und Holstein sollten zwar | |
laut einem Vertrag von 1460 „up ewich ungedeelt“ in Frieden zusammenleben, | |
wurden aber von verschiedenen Herren regiert und waren Teil des Staates | |
Dänemark. | |
Der war eine Großmacht und ständig in Konflikte verstrickt, die unter dem | |
Sammelbegriff Nordische Kriege mit Unterbrechungen und in wechselnden | |
Bündnissen von 1554 bis 1721 dauerten. Die letzte Auseinandersetzung drehte | |
sich um die „Gottorfer Frage“: Welche Teile des heutigen | |
Schleswig-Holsteins hielten zu welcher Großmacht? Dänemark siegte, bis es | |
1848 zur Schleswig-Holsteinischen Erhebung kam. Preußen-Österreich mischte | |
sich ein, und 1866 wurden Schleswig und Holstein nicht frei, sondern zu | |
preußischen Provinzen. Bis heute stehen Steine mit den Buchstaben DR und P | |
für Deutsches Reich und Preußen an der Grenze. | |
## Volksabstimmung über den Grenzverlauf | |
Deren Verlauf kam – ziemlich einmalig zwischen Staaten – per | |
Volksabstimmung zustande. 1920 durfte die Bevölkerung wählen, ob sie | |
dänisch oder deutsch sein wollte. Die neue Linie durchtrennte gewachsene | |
Strukturen: Die deutsch geprägte Stadt Tondern wurde dänisch, das dänische | |
Flensburg wurde Deutschland zugeschlagen. | |
Auf beiden Seiten blieben Minderheiten zurück, die bis heute ihre Sprache | |
und Kultur pflegen. Während der NS-Zeit wurde auch Dänemark besetzt, die | |
Erinnerung daran ist auf dänischer Seite wacher als auf der deutschen. 1955 | |
schlossen das Königreich und die Bundesrepublik das Abkommen, das den | |
Minderheiten in beiden Staaten politische Rechte einräumt. Der SSW vertritt | |
die Interessen der dänischen, die Slesvigsk Parti die der deutschen | |
Minderheit. | |
Die per Wahl bestimmte Grenze war durchlässig. Im Örtchen Rudbøl verläuft | |
sie mitten auf der Straße, gegenüberliegende Häuser befinden sich in | |
verschiedenen Staaten. Mini-Übergänge wie Bögelhuus und Siltoft liegen an | |
Feldwegen, an denen schon immer Sonderregeln für Einheimische galten. Auch | |
an den großen Durchgangsstraßen wurden Wagen mit örtlichem Autokennzeichen | |
meist durchgewinkt. | |
Dieses Grænslandgefühl, dass Grenze nicht Beschränkung, sondern Erweiterung | |
bedeutet, wollte ich 1990 meinem Freund von der Krim zeigen. Ich ließ ihn | |
dänisches Eis probieren und brachte ihm „mange tak“, vielen Dank, bei. Auch | |
auf der Rückfahrt öffnete sich für uns der Schlagbaum umstandslos – für | |
Dima eine ganz neue Grenz-Erfahrung. | |
## Billigparadies Deutschland | |
Nach dem Schengen-Abkommen verschwanden die Uniformierten, die Grenze wurde | |
unsichtbar. Auf deutscher Seite siedelten sich Supermärkte und Tankstellen | |
für dänische Kund*innen an, denn Deutschland ist aus dänischer Sicht ein | |
Billigparadies. | |
Rückblickend ist schwer genau festzulegen, wann sich das hyggelige Legoland | |
zu wandeln begann. Sichtbar wurde der Rechtsruck im Jahr 2015, als syrische | |
Geflüchtete an der Grenze abgewiesen wurden und am Flensburger Bahnhof | |
festsaßen. Als eine „Bürgerwehr“ an der grünen Grenze patrouillierte. Als | |
Parteien mit nationalistischen Tönen in den Folketing einzogen. | |
Seit 2015 finden mit verschiedenen Begründungen [1][Kontrollen an den | |
Grenzübergängen] statt. 2018 beschloss das dänische Parlament zudem, | |
[2][einen Grenzzaun gegen Wildschweine] zu errichten, um die Schweinepest | |
fernzuhalten. Allerdings gibt es im Norden Schleswig-Holsteins kaum | |
Wildschweine, sodass der Zaun vor allem Symbolpolitik darstellt – tödlich | |
für Tiere, die ihn nicht passieren können, traurig für die Menschen hüben | |
wie drüben, denen nun ein Hindernis den Blick über das Grænsland versperrt. | |
Ob mein russischer Freund die Schönheit einer offenen Grenze zwischen | |
gleichberechtigten Ländern wirklich begriffen hat, weiß ich nicht. Wir | |
haben seit 2014 keinen Kontakt mehr, seit Russland die Krim annektierte und | |
Dima das gut fand. | |
8 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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