| # taz.de -- Berlins Kultursenator Klaus Lederer: „Ich mache wohl nicht alles … | |
| > Der beliebteste Politiker des Landes über eintrittsfreie Museen, die | |
| > Förderung von Frauen, Kultur als sozialen Kitt und die Kritik der Freien | |
| > Szene. | |
| Bild: „Kultur hat einen größeren Stellenwert gewonnen für den sozialen Zus… | |
| taz: Herr Lederer, laut Umfragen sind Sie schon seit einiger Zeit der | |
| beliebteste Landespolitiker Berlins … | |
| Klaus Lederer (lacht) | |
| Wie fühlt sich das an? | |
| Es freut mich, denn das heißt ja wohl, ich mache nicht alles falsch. | |
| Fragen Sie sich manchmal, wie Sie es geschafft haben, so beliebt zu werden? | |
| Ja. | |
| Und finden Sie darauf eine Antwort? | |
| Keine eindimensionale. Vielleicht ist es auch eine Frage meines politischen | |
| Stils: kommunikativ gemeinsam zu Lösungen zu kommen und dabei eine gewisse | |
| Verbindlichkeit an den Tag zu legen. | |
| Als Kultursenator haben Sie einen unauffälligeren Job als viele andere | |
| Senatorinnen und Senatoren. | |
| Früher war das sicher so. Aber mein Ziel war schon, mit meiner Arbeit dem | |
| Kulturbereich insgesamt mehr Bedeutung zu verschaffen. | |
| Und ist Ihnen das gelungen? | |
| Berlin ist Kulturhauptstadt Deutschlands, vielleicht sogar Europas, und da | |
| ist mein Bereich sehr relevant. Vor allem hat Kultur aber einen größeren | |
| Stellenwert gewonnen für den sozialen Zusammenhalt. | |
| Kultur als Kleister der Gesellschaft? | |
| Jedenfalls als eine Möglichkeit, sich zu fragen, wie es eigentlich | |
| gesellschaftlich weitergehen soll. Und Alternativen zu denken – mit | |
| künstlerischen Mitteln. In der Frage, wo wir als Gesellschaft heute stehen | |
| – es gibt ja durchaus krisenhafte Entwicklungen – und wie wir das | |
| Miteinander regeln: Dafür haben Kunst und Kultur eine große Relevanz. | |
| Ihre Partei betont immer wieder, dass die soziale Schere auseinandergeht. | |
| Natürlich ist die soziale Frage zentral in dieser Debatte, aber es ist | |
| nicht die einzige Frage. Die vergangenen Jahrzehnte haben Spuren | |
| hinterlassen; der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt. Es wurde immer | |
| wieder betont, dass sich jeder selbst der Nächste sei; es galt der | |
| Anspruch, dass der Markt alles regelte und der Staat sich weitestgehend | |
| heraushalten solle aus den sozialen Bereichen. Wir müssen auch in Berlin – | |
| trotz bemerkenswerter Leistungen in den vergangenen drei Jahren – immer | |
| noch erhebliche Leistungen erbringen, um Sozialstaatlichkeit anders zu | |
| definieren und zu revitalisieren. | |
| Was meinen Sie damit? | |
| Die Frage, wie wir in zehn oder zwanzig Jahren leben wollen, wird noch | |
| wesentlich entlang von Kriterien wie Eigenverantwortlichkeit einerseits und | |
| staatlicher Alimentierung andererseits diskutiert und weniger als | |
| gesamtgesellschaftliche Herausforderung mit Bindekraft. Dabei muss doch die | |
| Debatte über die Herausforderungen durch die Klimaveränderungen verbunden | |
| sein mit einer anderen Art zu arbeiten und zu leben. | |
| Sie klingen jetzt schon so ein bisschen wie ein Regierender Bürgermeister. | |
| Üben Sie manchmal? | |
| Mein Anspruch war und ist, nicht in Ressortdenken zu verharren, sondern | |
| gesellschaftliche Fragen als das zu betrachten, was sie sind: Das eine | |
| hängt mit vielem anderen zusammen. | |
| In [1][Umfragen lag die Linkspartei in Berlin] lange vor den Grünen. Wollen | |
| Sie der nächste Regierende Bürgermeister werden? | |
| Ich denke über diese Frage nicht nach: nicht vor dem Schlafen und nicht | |
| danach. Aber jeder, der sich in eine politische Funktion begibt, und jeder, | |
| der wie ich mit dem Gedanken spielt, sich in zwei Jahren wieder zur Wahl zu | |
| stellen, muss die Konsequenz im Hinterkopf haben, dass die eigene Partei | |
| die stärkste wird und man am Ende auch so ein Amt wahrnehmen muss. | |
| Unabhängig von der Frage vermute ich, dass der Wahlkampf erst 2021 anfängt. | |
| So steht uns das Jahr 2020 vielleicht noch zur Verfügung, um die eine oder | |
| andere ungelöste inhaltliche Frage in Berlin zu lösen. | |
| Dann fangen wir doch mal an: Reicht [2][ein eintrittsfreier Sonntag] im | |
| Monat in Museen, um die Spaltung der Gesellschaft aufzuhalten? | |
| Keine einzelne Maßnahme für sich reicht dafür aus. Der eintrittsfreie | |
| Sonntag ist der Versuch, mit den Museen zusammen darüber nachzudenken, wie | |
| man jene Menschen erreicht, die bisher kaum in diese Einrichtungen gehen. | |
| Es geht also nicht nur um den Eintritt allein? | |
| An diesem einen Tag im Monat soll ausdrücklich mehr geboten werden. Da gibt | |
| es die Outreach-Stellen, die im kommenden Jahr endgültig zum festen | |
| Bestandteil der Museen werden. | |
| Was ist deren Aufgabe? | |
| Sie bauen Brücken in die Stadtgesellschaft. Und sie entwickeln das | |
| Ausstellungsprogramm und die Konzepte der Häuser mit. | |
| Sind diese Vermittlerstellen von Dauer? | |
| Ja. Wir haben diese neun Stellen vor zwei Jahren – also mit dem letzten | |
| Doppelhaushalt – eingerichtet, mit diesem kommen sieben weitere dazu. | |
| Grundsätzlich hat jede Einrichtung eine Stelle. Der Bereich der | |
| Vermittlungsarbeit soll zum dauerhaften und stabilen Bestandteil werden. | |
| Deshalb entfristen wir diese Stellen mit dem aktuellen Doppelhaushalt. | |
| Wer macht mit bei den eintrittsfreien Sonntagen? | |
| Sämtliche landeseigenen Museen und jetzt auch jene der Stiftung Preußischer | |
| Kulturbesitz. Darüber bin ich sehr froh. | |
| Und der Umfang? | |
| Ab April je ein Sonntag im Monat in allen Einrichtungen. | |
| Gleichzeitig ist ja im Gespräch, dass das Humboldt Forum und das Museum der | |
| Moderne komplett eintrittsfrei sein sollen. Ist da Ihr Angebot nicht ein | |
| bisschen mickrig? | |
| Prinzipiell, denke ich, dürfen kulturelle Angebote auch Eintritt kosten, | |
| zumindest für jene, die sich das leisten können. Wir haben uns entschieden, | |
| uns mit der Berlin-Ausstellung an der generellen Eintrittsfreiheit für das | |
| Humboldt Forum nicht zu beteiligen – auch weil wir versprochene | |
| Kompensationszahlungen nicht erhalten. Die Berlin-Ausstellung im Humboldt | |
| Forum wird also genau wie die anderen Ausstellungen lediglich einmal im | |
| Monat am Sonntag kostenfrei sein. Sämtliche Museen Berlins komplett | |
| kostenfrei zu machen kann man nicht eben mal so durchsetzen. Das ist eine | |
| Frage des Stellenwerts von Kultur insgesamt. Das würde auch bedeuten, dass | |
| ein Kulturhaushalt nicht wie aktuell bei 2 Prozent des Gesamthaushalts | |
| stehen bleiben kann. Mein Eindruck war übrigens, dass Neil McGregor … | |
| .. der damalige Chefintendant des Humboldt Forums … | |
| … die Eintrittsfreiheit auch verkündet hat, weil die Konzeption für das | |
| Haus seinerzeit nicht so ganz überzeugt hat. | |
| Überzeugt sie jetzt? | |
| (denkt nach) Also ich nehme wahr, wie in der Stiftung Preußischer | |
| Kulturbesitz durchaus darüber diskutiert wird, wie man mit der kolonialen | |
| Hypothek offensiv umgehen soll – das betrifft ja besonders die | |
| ethnologischen Sammlungen. | |
| In den letzten beiden Jahren hat die Freie Szene – also der Verbund der | |
| Kulturschaffenden jenseits der etablierten Häuser – Sie scharf kritisiert: | |
| Sie würden vor allem jene unterstützen, die sowieso schon etabliert seien. | |
| Nun ja. Die Verbände der Freien Szene behandeln jede Nichterfüllung ihrer | |
| Maximalforderungen so, als passiere gar nichts. Es wird ignoriert, dass es | |
| hier in Berlin – und das gibt es in keiner anderen Stadt in Deutschland – | |
| Mindeststandards gibt bei allen Förderinstrumenten der freien Kultur, der | |
| freien Kunstproduktion und -präsentation. Es wird ignoriert, dass wir für | |
| die freien und darstellenden Künste in der Konzeptförderung 5,5 Millionen | |
| Euro mehr allein für Orte zur Verfügung stellen werden, auch um die | |
| personelle und soziale Situation in den Einrichtungen zu verbessern. Und | |
| dass wir in den nächsten Jahren rund 1 Million Euro mehr für die gezielte | |
| Förderung des Tanzes bereitstellen, dass wir die Alte Münze zu einem | |
| Kulturort machen, dass wir für die Kinder- und Jugendtheater sehr viel Geld | |
| in die Hand genommen haben. Und nur wer das alles ignoriert, kann mir | |
| ernsthaft zum Vorwurf machen, dass ich die Tariferhöhungen für die | |
| Festangestellten vorgezogen habe. Die Freie Szene ist ein extrem wichtiger | |
| Stützpfeiler für die künstlerische Entwicklung der Stadt. Was mich aber | |
| stört, ist, dass die Freie Szene nicht mit den Institutionen für ein Mehr | |
| an Mitteln kämpft, sondern versucht, eine Privilegierung im Gesamtgefüge | |
| der Kultur sicherzustellen. Das ärgert mich. Gemeinsam ließe sich viel mehr | |
| erreichen. | |
| Ihr Name ist untrennbar mit der Volksbühne verbunden. Wann waren Sie denn | |
| zum letzten Mal dort? | |
| Bei der Revue um den 30. Jahrestag der Maueröffnung. Und das nächste Mal | |
| schaue ich mir das Stück „Legende“ nach Ronald M. Schernikau an. | |
| Hat sich das Haus entwickelt, wie Sie sich das gewünscht haben? | |
| Ich bin Klaus Dörr sehr dankbar, dass er in einer sehr schwierigen Zeit | |
| bereit war, das Haus übergangsweise zu übernehmen und so beherzt ein | |
| Ensemble und Repertoire aufzubauen. Das hat uns genug Zeit verschafft, uns | |
| bedächtig an eine Nachfolgeintendanz heranzuarbeiten. | |
| Ihr Kurs war, im Rückblick betrachtet, waghalsig. | |
| Es war für mich bereits vor Antritt von Chris Dercon erkennbar, dass sein | |
| Konzept mit hohen Risiken behaftet und letztlich finanziell nicht | |
| untersetzt war. Insofern war es nicht waghalsig, sondern notwendig, die | |
| Zusammenarbeit mit Chris Dercon zu beenden. Ich kann doch nicht stillhalten | |
| und zusehen, wie so ein Haus gegen die Wand fährt, nur weil ich mich mit | |
| keinem anlegen will. | |
| Wie steht es jetzt finanziell um die Volksbühne? | |
| Für dieses Jahr war ein Jahresfehlbetrag von 400.000 Euro prognostiziert, | |
| inzwischen sind es nur noch 162.000. | |
| Wir freuen uns ja alle auf den designierten Nachfolgeintendanten an der | |
| Volksbühne, [3][René Pollesch,] aber hätte es nicht auch mal eine Frau sein | |
| können? | |
| Wir versuchen, alle unsere Steuerungsmöglichkeiten zu nutzen, um die | |
| gläserne Decke abzubauen, damit Frauen in der Regie und in der Intendanz an | |
| großen Häusern eine Chance bekommen. Mir scheint René Pollesch ein Garant | |
| dafür zu sein, dass die Zahl der Frauen, die an der Volksbühne Regie führen | |
| werden, dass außerdem die Zahl der Kolleginnen, die in der Leitung | |
| arbeiten, hoch sein wird. Außerdem wirft Pollesch in seinem künstlerischen | |
| Schaffen auch die richtigen Fragen in Bezug auf Geschlechterverhältnisse | |
| auf. Trotzdem haben wir ein Problem. Ich habe mir viele Absagen eingeholt, | |
| als ich auf Frauen zugegangen bin und sie gefragt habe, ob sie sich | |
| zutrauen würden, ein solches Haus zu führen. | |
| Es gab zu wenige Bewerberinnen? | |
| Ja, das muss man ganz klar sagen, und ich finde, es ist eine Katastrophe. | |
| Was kann man denn da machen? | |
| Wir versuchen, Konzeptionen zu befördern, die eine Sensibilität für dieses | |
| Thema haben. Oder bei personellen Entscheidungen darauf zu gucken, ob mein | |
| Gegenüber gewillt ist, hier beherzt etwas zu tun. Wir haben es mit einem | |
| strukturellen Problem zu tun, dessen Überwindung noch eine gewisse Zeit in | |
| Anspruch nehmen wird. Da kann man nicht einfach den Schalter umlegen – | |
| leider. | |
| Wie wäre es mit einer Quote von, sagen wir, 35 oder 40 Prozent? | |
| Es gibt eigentlich nur eine Quote, die akzeptabel wäre, und zwar 50 Prozent | |
| plus. | |
| 13 Dec 2019 | |
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| Bert Schulz | |
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