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# taz.de -- Linkspartei und das Klima: „Wohlstand anders definieren“
> Wie hält es die Linkspartei mit dem Klimaschutz? Bernd Riexinger im
> taz-Interview über seine Vorstellung von einem „Green New Deal von
> links“.
Bild: Grüner als die Grünen? Für den Linkspartei-Vorsitzenden Riexinger ist …
taz: Herr Riexinger, welches Auto fahren Sie?
Bernd Riexinger: Ich fahre immer noch einen Ford Fiesta. Inzwischen ist er
etwas in die Jahre gekommen.
Und wie ist dessen CO2-Bilanz?
Vermutlich nicht so hoch. Aber sie könnte sicherlich besser sein.
Darf man Mitgliedern der Linkspartei überhaupt eine Frage nach dem privaten
ökologischen Verhalten stellen oder lenkt das nur von der Systemfrage ab?
Damit habe ich keine Probleme. Mein Lebensstil entspricht ohnehin nicht dem
eines Menschen, der viel Wert auf Konsum legt. Ich brauche weder eine große
Wohnung noch einen ganzen Schrank voller Anzüge und auch kein teures Auto
als Prestigesymbol. Allerdings ist es schon so, dass man die Klimafrage
nicht in erster Linie über das individuelle Konsumverhalten wird lösen
können. Dazu bedarf es klarer politischer Entscheidungen für ein generelles
Umsteuern.
Die Linksfraktion im Bundestag [1][hat kürzlich einen Klimaaktionsplan
verabschiedet] und fordert eine Verkehrswende. So sollen fossile
Verbrennungsmotoren ab 2030 nicht mehr zugelassen werden. Kein neuer Fiesta
für Sie.
Für den Klimaschutz ist ein solches Verbot sinnvoll. Aber
Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren zu ersetzen ist noch keine Lösung
für das Verkehrsproblem. Dazu bedarf es eines massiven Ausbaus der Bahn und
des öffentlichen Personennahverkehrs. Die Stadt der Zukunft ist
fußgängerfreundlicher, ist fahrradfreundlicher, verfügt über einen gut
ausgebauten ÖPNV. Das heißt eben auch, dass die autofreien Zonen größer
werden.
Ihr Partei will, dass die Leute künftig aufs Auto verzichten?
Wir wollen nicht Verzicht predigen. Aber wir wollen Wohlstand anders
definieren. Wenn man auch ohne Auto künftig mobil sein kann, wenn man statt
Parkplätzen Grünflächen anlegt, dann ist das doch am Ende ein Gewinn an
Lebensqualität und kein Verlust.
Mit der Veränderung der Automobilindustrie können nach Berechnungen des
BUND 360.000 Arbeitsplätze verlorengehen. Muss die Sicherung von
Arbeitsplätzen für eine linke Partei nicht Vorrang haben?
Die IG Metall geht ungefähr von einer Größenordnung von 100.000 aus.
Einigen wir uns [2][auf eine sechsstellige Zahl].
Ja, aber diese Jobs gehen allein durch die Elektromotorisierung verloren.
Das hat erst mal gar nichts mit unserem Konzept zu tun. Außerdem nutzen die
Manager die Gunst der Stunde, um Kosten einzusparen und die Beschäftigen zu
erhöhen.
Und nimmt die Linke den Verlust von Arbeitsplätzen in Kauf, um das Klima zu
schützen?
Nein. Es geht darum, Arbeitsplätze zu sichern oder zu schaffen und trotzdem
Klimaschutz zu machen.
Wie das?
Wir müssen die Automobilindustrie umbauen zu einer Mobilitätsindustrie.
Und wir brauchen ein großes Investitionsprogramm in die Gemeingüter, also
in Bildung, Erziehung, Gesundheit, ÖPNV, bezahlbares Wohnen und vieles
andere mehr. Da werden Millionen von Arbeitsplätzen entstehen in diesen
Bereichen. Das wäre ein Green New Deal von links. Ein Wohlstandsmodell für
die Zukunft.
Wie wollen Sie die Unternehmen dafür gewinnen, dass sie umsteuern, dass sie
Arbeitsplätze nicht abbauen, sondern erhalten oder sogar ausbauen?
Das geht nur über staatliche Vorgaben und Eingriffe über den Ausbau der
Mitbestimmung in den Betrieben bis hin zur Wirtschaftsdemokratie.
Sie stellen die unternehmerische Freiheit in Frage?
Klar ist doch: Wir können so nicht weitermachen. Wir brauchen einen
radikalen Umbau der Wirtschaft, um zu verhindern, dass die Erde sich
stärker erwärmt als 1,5 Grad.
Ihr Parteifreund Oskar Lafontaine hat sich über den Begriff des Green New
Deal lustig gemacht, der [3][parlamentarische Geschäftsführer der
Bundestagsfraktion Jan Korte] warnt, die Linkspartei dürfe nicht grüner
werden als die Grünen.
Grüner als die Grünen – das halte ich für kein Schimpfwort. Das heißt, wir
nehmen den Klimaschutz ernst und besetzen das Thema von links.
Dahinter steckt doch auch die Frage, für wen die Partei künftig spricht:
für die urbane Mittelschicht, deren Kinder bei Fridays for Future
demonstrieren, oder die prekär Beschäftigten und gesellschaftlich
Abgehängten?
Es wäre schon eine irre und falsche Strategie zu sagen, Klimaschutz ist nur
ein Thema der gehobenen Mittelschicht. Die Ärmsten leiden doch am meisten
darunter, wenn sich nichts ändert. Sie wohnen in den Gegenden mit der
schlechten Luft und an den viel befahrenen Straßen. Wir brauchen ein
Gesellschaftsprojekt, das die Menschen nicht mehr vor die Wahl stellt: die
Zukunft deiner Kinder oder dein Job. Vor diese Entscheidung stellt uns der
Kapitalismus ständig. Die Linke muss diesen Konflikt auflösen, mit einem
radikalen Umbruch der Wirtschaft.
Was unterscheidet den Green New Deal, für den Sie werben, von dem, [4][den
die Grünen schon seit langem fordern]?
Die grüne Logik ist eine andere. Die wollen den Kapitalismus modernisieren
und sagen: Es geht zusammen, dass wir weiterhin hohe Exportüberschüsse
erzielen, wir machen halt Elektromotorisierung und setzen ein bisschen auf
ökologischen und sozialen Ausgleich. Die Linke ist konsequenter, weil sie
auch bereit ist, wirtschaftliche Macht zurückzudrängen. Wir müssen nicht
die Daimler-Vorstände auf unsere Parteitage einladen oder die VW-Vorstände.
Wen möchten Sie denn einladen?
Wir suchen die Debatte mit den Gewerkschaften und mit der
Fridays-for-Future-Bewegung. Wir haben gerade wieder einen
Bewegungsratschlag veranstaltet, auf dem wir mit verschiedenen Gruppen der
sozialen Bewegungen diskutiert haben
Klimaschutz ist schon seit Jahren ein Thema, wieso kommt die Linkspartei
erst jetzt darauf, es ernst zu nehmen?
Wir werden mit diesem Thema generell nicht so sehr in Verbindung gebracht.
Wenn Sie zehn Leute fragen, was verbindet ihr mit der Linken, dann sagen
neun: „soziale Gerechtigkeit“.
Sollte sich die Linkspartei dann nicht strategisch lieber auf das Kernthema
soziale Gerechtigkeit konzentrieren?
Klimaschutz ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Es gibt keinen
Klimaschutz ohne soziale Gerechtigkeit, aber auch keine soziale
Gerechtigkeit ohne Klimaschutz.
Welche Rolle wird der Klimaschutz auf der Strategiekonferenz in Kassel
spielen?
Das wird einer der Bausteine der Debatte sein. Dort werden vier Fragen eine
große Rolle spielen. Die erste: Wie bringen wir soziale Gerechtigkeit,
sozialökologischen Umbau und Klimaschutz in ein gesellschaftliches Projekt?
Die zweite wichtige Debatte wird sein: Wie stellen wir uns auf für die
nächste Bundestagswahl, gibt es eine Option auf linke Mehrheiten? Die
dritte ist: Wie bauen wir die Partei weiter auf? Und natürlich wird es auch
darum gehen, wie gehen wir mit Rechtsradikalismus und Rassismus um.
[5][Im Saarland ist die Linkspartei gegen Windkraft], [6][in Thüringen
dafür.] Wie passt das zusammen?
Solche Widersprüche muss man aushalten, die hat natürlich jede Partei.
Das muss man aushalten?
In einer linkspluralen Partei wird es immer Kräfte geben, die irgendwie
nicht 100-prozentig die Parteilinie befolgen. Aber es geht darum, welche
Mehrheitslinie in der Partei sich durchsetzt und welche die gängige ist.
Ist das Thema Klimaschutz für die Linkspartei eine Überlebensfrage?
Ja, das ist es. Es ist auch eine Überlebensfrage für die Menschheit.
Dann steht die Klimafrage also für Sie auf einer Stufe mit der Frage von
Krieg und Frieden. Wäre es denkbar, dass es einen Landesverband der
Linkspartei gibt, der für Kriegseinsätze ist?
Nein, ich glaube, das wäre auf die Dauer nicht denkbar.
Hat die Debatte über den Klimaschutz das Potenzial, die Partei zu spalten,
so wie vor zwei Jahren die Frage der Migration?
Ich glaube nicht. Der bisherige Strategie- und Debattenprozess hat gezeigt,
dass es der breiten Mehrheit in der Partei beim Klimaschutz um das Wie
geht, nicht das Ob.
28 Feb 2020
## LINKS
[1] /Linke-und-Klimaschutz/!5660658
[2] /Daimler-streicht-10000-Stellen/!5645447
[3] /Linken-Politiker-ueber-sein-neues-Buch/!5665455
[4] /EU-Gruener-ueber-Wachstum/!5092551
[5] /Wahlkampf-der-Linkspartei-im-Saarland/!5391541
[6] /Landtagswahl-in-Thueringen/!5629070
## AUTOREN
Anna Lehmann
Pascal Beucker
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