| # taz.de -- Heinz Bierbaum über Europas Linke: „Wir brauchen einen neuen Auf… | |
| > Heinz Bierbaum ist der neue Präsident der Europäischen Linken (EL). Der | |
| > Nachfolger Gregor Gysis sieht das linke Parteienbündnis in keinem guten | |
| > Zustand. | |
| Bild: Die europäische Linke sieht manchmal vor lauter Sternen Europa nicht | |
| taz: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl zum neuen Präsidenten der | |
| Europäischen Linken. Sind Sie der Generationswechsel, [1][den Ihr Vorgänger | |
| Gregor Gysi angekündigt hat]? | |
| Heinz Bierbaum: Nein, das bin ich mit meinen 73 Jahren sicherlich nicht. | |
| Ich hatte mir das ja auch eigentlich etwas anders vorgestellt. Aber nun ist | |
| es eben so gekommen. | |
| Wie hatten Sie sich das denn vorgestellt? | |
| Na ja, wir hatten aus Deutschland einen anderen Vorschlag gemacht. Doch der | |
| war leider nicht durchsetzbar. | |
| Die Linkspartei hatte sich für eine geschlechterquotierte Doppelspitze | |
| stark gemacht. Woran ist dieser Vorschlag gescheitert? | |
| Das ist nicht an prinzipiellen Differenzen gescheitert, sondern ganz | |
| konkret: Die mögliche Kandidatin hat nicht den Konsens gefunden, der | |
| notwendig gewesen wäre. Es gab eine große Zustimmung für die Doppelspitze. | |
| Aber dann konnten sich die Vorsitzenden der Mitgliedsparteien im Vorfeld | |
| nicht über die personelle Besetzung einigen. Das wäre jedoch nötig gewesen. | |
| So bin ich dann als alleiniger Kandidat übriggeblieben. | |
| Warum ist die Wahl ausgerechnet auf Sie gefallen? | |
| Das kam von mehreren Parteien, weil ich wohl als jemand gelte, der | |
| integrierend wirken kann. | |
| In welchem Zustand befindet sich aus Ihrer Sicht die EL? | |
| Die Europäische Linke befindet sich in keinem besonders guten Zustand. Um | |
| zu diesem Befund zu kommen, reicht alleine schon [2][ein Blick auf die | |
| Europawahlen im Mai]. Nicht alle, aber doch viele unserer Mitgliedsparteien | |
| haben herbe Verluste erlitten. Wir haben es nicht geschafft, als starke | |
| alternative politische Kraft gegenüber den neoliberalen Parteien und der | |
| extremen Rechten sichtbar zu sein. | |
| Wie erklären Sie sich das? | |
| Gegenwärtig ist die Europäische Linke eher eine Koordination der einzelnen | |
| Parteien, die sich in ihr zusammengeschlossen haben. Das ist eines der | |
| grundsätzlichen Probleme, die wir haben. Um effektiver zu werden, muss sich | |
| die Struktur der EL verändern. Wir müssen ein stärkeres politisches Profil | |
| entwickeln, ohne unsere Pluralität und Breite aufzugeben. Wir müssen auch | |
| wieder aktionsfähig werden. Die letzte gemeinsame Kampagne war die gegen | |
| das Freihandelsabkommen TTIP. Das ist schon einige Zeit her. Wir brauchen | |
| einen neuen Aufbruch. | |
| Aber wie soll das gehen, wenn es in zentralen Fragen wie der Haltung zur | |
| Europäischen Union fundamentale Differenzen gibt? | |
| Ich halte die Frage, ob die EU reformierbar ist oder nicht, für keine | |
| besonders wichtige Frage. | |
| Das sehen viele der EL-Mitgliedsparteien anders. | |
| Das widerspricht sich nicht. Es stimmt, dass das einer der großen | |
| Konfliktpunkte ist, den wir haben. Doch ich halte das nicht für besonders | |
| zielführend. Ob die EU reformierbar ist oder nicht, ist letztlich eine | |
| abstrakte Frage. Zentral ist doch etwas anderes: Wir treten alle gemeinsam | |
| für ein demokratisches, soziales, ökologisches und friedliches Europa ein. | |
| Dass die Verträge von Maastricht und von Lissabon keine gute Grundlage für | |
| das Europa sind, das wir anstreben, darüber sind wir uns auch einig. | |
| Nun muss es doch ersteinmal darum gehen, dass sich das politische Klima | |
| verändert. Es geht also darum, politische Prozesse einzuleiten, die eine | |
| Veränderung der europäischen Politik in unsere Richtung möglich machen. Da | |
| hilft eine abstrakte Grundsatzdebatte nicht weiter, die nur trennend wirkt, | |
| aber die Lebenssituation der Menschen nicht verbessert. Wenn wir uns auf | |
| unsere Gemeinsamkeiten konzentrieren, dann können wir auch mit einer | |
| unterschiedlichen Positionierung im Hinblick auf die EU leben. | |
| Sie meinen, Konflikte einfach ausklammern zu können? | |
| Keineswegs. Ich finde aber, dass wir unsere internen Diskussionen deutlich | |
| besser führen müssen. Das Ausklammern von Konflikten ist keine Lösung. Aber | |
| es sollte konstruktiv solidarisch mit ihnen umgegangen werden und nicht | |
| denunziatorisch. Sonst werden wir keinen Ausweg aus der Krise finden. | |
| Von den 24 Mitgliedsparteien sind gerade noch sechs überhaupt im | |
| EU-Parlament vertreten, nur zehn Parteien gehören ihrem jeweiligen | |
| nationalen Parlament an. Ist die EL inzwischen eine Ansammlung von | |
| Splitterparteien? | |
| Nein, das kann man nicht sagen. [3][Die griechische Syriza] ist alles | |
| andere als eine Splitterpartei. Das gilt auch für den Bloco de Esquerda, | |
| der in Portugal eine gewichtige Rolle spielt. Oder nehmen Sie das | |
| Linksbündnis in Finnland, das an der dortigen Regierung beteiligt ist. Wir | |
| haben also schon noch einige größere Parteien an Bord. Dazu gehört im | |
| Übrigen auch meine eigene Partei. | |
| Aber es gibt eben auch viele Gegenbeispiele. Schauen Sie sich nur den | |
| Zustand des [4][Partito della Rifondazione Comunista] an, der einst mit | |
| Fausto Bertinotti den ersten Präsidenten der EL stellte. Heute sind von der | |
| früheren italienischen Regierungspartei nur noch Trümmer übriggeblieben. | |
| Es ist richtig, dass sich die Zusammensetzung und das Gewicht der Parteien | |
| in der EL seit der Gründung 2004 erheblich verändert haben. Das | |
| frappierendste Beispiel haben Sie genannt. Die Situation der linken | |
| Parteien in Italien ist dramatisch, sie existieren ja fast nicht mehr. | |
| Die traditionsreiche Kommunistische Partei Frankreichs, die ebenfalls zu | |
| den EL-Gründerinnen gehörte, fristet heutzutage ebenfalls nur noch ein | |
| Schattendasein. | |
| Auch da will ich nicht widersprechen. Trotzdem sehe ich nicht, dass es | |
| insgesamt einen Niedergang linker Parteien gibt. Was es gibt, ist ein schon | |
| länger zu beobachtender Umgruppierungsprozess. Die traditionellen | |
| kommunistischen Parteien haben nahezu überall deutlich an Gewicht verloren. | |
| Abgesehen von dem Sonderfall Italien sind dafür aber vielerorts neue linke | |
| Parteien oder Bündnisse entstanden, die durchaus erfolgreich sind. Den | |
| Bloco oder Syriza habe ich schon genannt, [5][Podemos in Spanien] oder La | |
| France insoumise in Frankreich gehören auch dazu. Ich bin überzeugt davon, | |
| dass die gesellschaftlichen Umbrüche, die wir gegenwärtig erleben, gerade | |
| für linke Politik eine Chance darstellen. Die müssen wir allerdings auch | |
| ergreifen. | |
| Podemos und La France insoumise gehören nicht der EL an. | |
| Sie sind immerhin Mitglieder der linken Fraktion im EU-Parlament, der | |
| GUE/NGL. Dass sie nicht auch in der EL sind, trifft zu meinem Bedauern zu. | |
| Das gilt ebenso für die schwedische Vänsterpartiet, die Partij van de | |
| Arbeid in Belgien oder die irische Sinn Féin. Tatsache ist, dass die EL nur | |
| noch einen Teil der europäischen Linken repräsentiert. Wichtige Parteien | |
| fehlen leider. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Ich glaube zwar | |
| nicht, dass wir sie jetzt unmittelbar zu einem Eintritt bewegen können. | |
| Auch wenn ich mir das wünschen würde. Aber ich will daran arbeiten, die | |
| Kooperation und den politischen Dialog mit diesen Parteien zu verstärken. | |
| Was heiß das konkret? | |
| Es geht um einen Annäherungsprozess. Dafür gibt es auch schon Ansätze, wie | |
| das jährliche Europäische Forum, das von uns jetzt seit drei Jahren in | |
| Zusammenarbeit mit weiteren progressiven und auch grünen Kräften | |
| organisiert wird. Das letzte Treffen fand Ende November in Brüssel statt. | |
| Aber auch da ist unsere Diskussionskultur verbesserbar. Zu viele | |
| vorbereitete Beiträge machen eine wirklich offene Debatte nahezu unmöglich. | |
| Mein Ziel ist es, die EL zu einem organisierenden Zentrum der europäischen | |
| Linken zu machen. | |
| Glauben Sie, dass die EL eine Zukunft hat? | |
| Sie wird jedenfalls gebraucht. Davon bin ich überzeugt. Der | |
| gesellschaftliche Produktionsprozess ist in einem tiefgreifenden Umbruch – | |
| und zwar europaweit. Das hängt vor allem damit zusammen, dass sich | |
| inzwischen die dramatischen ökologischen Auswirkungen einer auf fossilen | |
| Energien basierenden Industrieproduktion nicht mehr übersehen lassen. Mit | |
| der heutigen Politik und der vorherrschenden Profitlogik kommen wir da | |
| nicht weiter. | |
| Wir brauchen eine sozial-ökologische Transformation.Dafür bedarf es einer | |
| Linken, zu deren Charakteristikum zählt, die ökologische und die soziale | |
| Frage in der Perspektive einer grundlegenden Transformation des | |
| kapitalistischen Systems zu verbinden. Das unterscheidet uns zum Beispiel | |
| von den Grünen. Außerdem: Wer erhebt den sonst noch seine Stimme gegen die | |
| Militarisierung der EU, wenn wir das nicht tun? | |
| 27 Dec 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Pascal Beucker | |
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