| # taz.de -- Strategiekonferenz der Linkspartei: Zwischen Ohnmacht und Bewegung | |
| > In Kassel diskutierte die Linkspartei über ihre Rolle und stellte die | |
| > Machtfrage: Wie will sie regieren – und wenn ja: mit wem? | |
| Bild: Um Harmonie bemüht: Jörg Schindler, Susanne Hennig-Wellsow und Bernd Ri… | |
| Kassel taz | Bei der Linkspartei passiert gerade vieles gleichzeitig im | |
| Ungleichzeitigen. In Thüringen wollen sie Bodo Ramelow am Mittwoch im | |
| vierten, fünften oder sechsten Anlauf endlich ins Amt des | |
| Ministerpräsidenten wählen und dessen rot-rot-grüne Regierung für ein Jahr | |
| von der CDU tolerieren lassen. In Kassel traf sich die Basis am Wochenende | |
| zur Strategiedebatte und diskutierte erneut, ob man denn überhaupt mit | |
| prokapitalistischen Grünen und der antisozialen SPD zusammen regieren | |
| wolle. | |
| Die Parteiführung hatte eingeladen, damit man mal in Ruhe miteinander reden | |
| könne, und zwar ohne gleich Beschlüsse fassen oder Entscheidungen treffen | |
| zu müssen. Also kein Parteitag, sondern ein großer Debattierclub. | |
| Anberaumt hatten Katja Kipping, Bernd Riexinger und Co die Strategiedebatte | |
| [1][schon im vergangenen Jahr] nach einer Serie von Wahlniederlagen für die | |
| Linke – [2][in der EU], [3][Brandenburg und Sachsen]. Der Redebedarf ist | |
| seither eher gewachsen, obwohl die Thüringer Regierungskrise und die Krise | |
| der CDU die Krise der Linken gnädig verblassen lassen. | |
| Schnell waren die 480 Plätze im Kasseler Kulturbahnhof ausgebucht, Hunderte | |
| weitere Mitglieder hatten Beiträge eingereicht, die einen knapp 600 Seiten | |
| starken Reader füllen. Sollte Klimaschutz für die Linke ein Kernthema | |
| werden? Welche Milieus will man ansprechen? Wie spricht man die | |
| Arbeiterklasse an? Welche Erzählung bietet man? Diskutiert wurde in Kassel | |
| aber zunächst über die R-Frage: regieren oder nicht regieren? | |
| Seit jeher treibt die Linken die Frage um, ob man den Sozialismus am | |
| effektivsten auf der Straße, gemeinsam mit Bewegungen erkämpft oder in | |
| Parlamenten und an der Regierung. Man könnte meinen, da seien längst Fakten | |
| geschaffen worden – die Linke regiert schließlich derzeit in drei | |
| Bundesländern mit. Doch ein Restunbehagen bleibt, das wurde in Kassel | |
| erneut deutlich. | |
| ## Die R-Frage bewegt weiter die Partei | |
| Der Berliner Ex-Wirtschaftssenator Harald Wolf warf seinen Genossen einen | |
| ziemlichen Brocken hin, als er gleich am Samstag konstatierte, dass die | |
| kommende Bundestagswahl die letzte Möglichkeit für Jahre sein könne, | |
| Weichenstellungen für einen sozial-ökologischen Umbau zu stellen. | |
| Die Linke müsse daher in die Offensive gehen, forderte der heutige | |
| Schatzmeister der Linkspartei: „Wir müssen den Kampf um linke Mehrheiten | |
| aufnehmen.“ Wobei Wolf sofort nachschob, dass es dabei nicht allein um | |
| Mehrheiten im Bundestag, sondern vor allem um gesellschaftliche Bündnisse | |
| gehe. | |
| Die R-Frage stand also im Raum – und wurde erstmal ausgiebig zerpflückt. | |
| Wenn die hessische Fraktionsvorsitzende Janine Wissler in den Saal rief: | |
| „Es rettet uns kein höheres Wesen und schon gar kein linker Minister“, dann | |
| klatschte das Publikum wesentlich begeisterter, als wenn die | |
| [4][Landesvorsitzende der Thüringer Linken Susanne Hennig-Wellsow] mahnte: | |
| „Wir müssen Verantwortung annehmen und das heißt, regieren zu wollen.“ Die | |
| Menschen wählten nicht über Jahre ausschließlich Opposition. | |
| Manch Genossin und manch Genosse stöhnte ob dieser Diskussionen aus den | |
| 1990ern. Doch tatsächlich ist die Partei trotz so einiger folkloristisch | |
| wirkender Debatten weiter als vor 30 Jahren. Und das war auch in Kassel zu | |
| spüren. So bestreitet kaum noch jemand, dass es kein Widerspruch sein muss, | |
| regieren zu wollen und gleichzeitig der Straße verpflichtet zu bleiben. | |
| Hennig-Wellsow konnte sich da unwidersprochen selbst als bestes Beispiel | |
| zitieren: Die Immunität der Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag | |
| [5][ist gerade erneut aufgehoben worden]. Gegen sie ermittelt die | |
| Staatsanwaltschaft, weil sie sich am 1.Mai an einer Sitzblockade gegen die | |
| AfD beteiligt. | |
| Und sollte Bodo Ramelow am Mittwoch ins Amt gewählt werde, dann natürlich | |
| auch mit Hilfe der sozialen Bewegungen, betonte Hennig-Wellsow. Nach | |
| [6][der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich] mit den Stimmen der AfD | |
| am 5. Februar waren tausende Menschen spontan dagegen auf die Straße | |
| gegangen. | |
| ## Regierungs- und Bewegungslinke nähern sich an | |
| „Es gibt heute eine größere Hinwendung zu den Bewegungen bei denen, die | |
| aufs Regieren fixiert sind, und gleichzeitig ist das Regieren bei den | |
| Bewegungsorientierten akzeptierter geworden“, resümierte Lucy Redler von | |
| der Antikapitalistischen Linken. | |
| Die AKL gilt gleichwohl weiterhin als Gegnerin von Regierungsbeteiligungen. | |
| Besonders im Bund: „Wenn wir in einer Bundesregierung sind wird die | |
| Bewegungsorientierung Makulatur sein“, warnte Redler. | |
| Erstaunlich verhalten fiel hingegen die Kritik an der mit der CDU | |
| getroffenen Vereinbarung in Thüringen aus. Artikuliert wurde sie etwa vom | |
| nordrhein-westfälischen Landessprecher Christian Leye: Die CDU dürfe nicht | |
| Teil einer antifaschistischen Einheitsfront sein, forderte er. | |
| Auch Lucy Redler glaubt, dass es falsch sei, politische Bündnisse mit der | |
| CDU zu schmieden. Sie sagte jedoch auch: „Aber wenn CDU Ramelow mitwählt, | |
| ist das ok.“ Verglichen mit [7][den Debatten, die derzeit in der CDU | |
| geführt werden], erscheint die Linkspartei in dieser Frage geradezu als ein | |
| Hort der Einigkeit. | |
| ## Breiter Forderungskatalog | |
| Die Frage, wie man die Macht nutzen will, so man sie hat, kann die Linke | |
| ziemlich flüssig beantworten: Schuldenbremse weg, keine Kriegseinsätze der | |
| Bundeswehr, keine Privatisierungen und deutliche Verbesserungen bei Löhnen | |
| und Sozialleistungen, nannte die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Amira | |
| Mohamed Ali, einige Punkte. | |
| Für Anna Westner von der Linksjugend gehört auch dazu dass, die Linke | |
| Abschiebungen aussetzt und den Paragrafen 219a, der „Werbung“ für | |
| Abtreibung verbietet, abschafft. | |
| Die vom Bundesvorsitzenden Riexinger gemeinsam mit den KlimapolitikerInnen | |
| als [8][neues Großthema eingebrachte Liaison von Klimaschutz und sozialer | |
| Gerechtigkeit] wird es wohl ebenfalls in den Leitantrag für den Parteitag | |
| schaffen. Ob nun unter dem Namen „Green New Deal“ oder „Ökosozialismus�… | |
| Spannend bleibt vor allem die Frage, wie es die Linke schafft, so mächtig | |
| zu werden, dass sie tatsächlich auch Regierungsmacht erlangt. Ein | |
| zweistelliges Ergebnis bei der Bundestagswahl sei schon mal ein gute | |
| Voraussetzung, meinte Mohamed Ali. | |
| Parteichefin Katja Kipping, die derzeit auf allen Ebenen für neue linke | |
| Mehrheiten wirbt, sah ihre Partei in der Verantwortung dafür, Begeisterung | |
| zu stiften und zu sagen: „Leute, es kann besser werden.“ Und der aus | |
| Thüringen angereiste Bodo Ramelow ermunterte seine Partei, „mehr das | |
| ‚Wofür‘ zu buchstabieren und nicht immer, wogegen wir sind“. | |
| 1 Mar 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
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