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# taz.de -- Riexinger und die Folgen: Gegen die Wand
> Ein schlechter Scherz auf einer Konferenz der Linken hat ein Gutes: Er
> zeigt, wie weit die Partei davon entfernt ist, eine Alternative zu sein.
Bild: Vorwärts Genossen, aber Vorsicht mit dem Humor!
Ein Mitglied der Linkspartei macht in einer Diskussion einen, nun ja,
robusten Scherz, und Tage später muss sich der Parteivorsitzende für sein
wenig nachdrückliches Eingreifen rechtfertigen, [1][sieht sich gar mit
Rücktrittsforderungen konfrontiert.] „Und auch wenn wir das eine Prozent
der Reichen erschossen haben, ist es immer noch so, dass wir heizen wollen,
wir wollen uns fortbewegen“, hieß es in einem Diskussionsbeitrag auf der
Linken-Strategiekonferenz in Kassel am vergangenen Wochenende. Parteichef
Bernd Riexinger reagierte seinerseits ironisch: „Wir erschießen sie nicht,
wir setzen sie schon für nützliche Arbeit ein“.
Die Bild wittert schon eine „blutige Revolution“. Richtige
Journalist*innen sehen zwar auch einen „Skandal“, tafeln aber insgesamt
etwas weniger üppig auf und sprechen von einer weiteren in der Reihe
diverser „Verrücktheiten“.
Dass der laxe Umgang mit Gewaltrhetorik überhaupt ein Unding sei und nicht
zuletzt die Regierungsfähigkeit der Linken infrage stelle, sehen nicht nur
Beobachter*innen so, sondern auch Parteiprominenz. Bodo Ramelow zum
Beispiel distanzierte sich zügig in sehr deutlichen Worten: „Wer Menschen
erschießen will und von einer Revolution mit oder durch Gewalt
schwadroniert“, habe nichts mit seinem Wertekanon gemein.
Dass die namenlose Genossin tatsächlich Menschen erschießen will, ist eher
unwahrscheinlich. Ihre Entschuldigung wirkt ehrlich zerknirscht. Dass sie
ihrer Sache, dem Klimaschutz wohlgemerkt, mit ihrem „Statement keinen
Dienst erwiesen“ hat, ist jedoch zurückhaltend formuliert. Dass hier Futter
für politische Gegner ihrer Partei produziert wird – geschenkt. Dass nicht
nur die radikale Linke sich durchaus mit der Frage beschäftigen sollte, was
mit all den schönen Umverteilungsideen eigentlich passiert, wenn das
reichste Prozent nicht freiwillig teilen möchte, ebenso.
## Brutale Gewalt
Dass wir jetzt über geschmacklose Witzchen reden statt über die brutale
Gewalt gegen Menschen an den Außengrenzen der EU oder den tödlichen rechten
Terror in ihrem Zentrum, ist sicher nicht die Schuld von Riexinger und
seiner Genossin. Aber sie machen es jenen, die über die Blutspur des
Rassismus und, ja, auch des Kapitalismus lieber schweigen wollen, leider
ein kleines bisschen zu leicht.
Und doch müssen wir darüber reden, über diese sprichwörtliche Wand, an die
die Feinde der Revolution dereinst gestellt werden sollen. Die
Beiläufigkeit, mit der Riexinger, selbst sicher kein Barrikadenbauer,
sondern eher ein bräsiger Gewerkschaftssekretär, über diese rhetorische
Figur linksradikaler Sekten hinweggeht, [2][offenbart nämlich wirklich ein
großes Problem der Linkspartei.]
Das aber ist nicht eine tatsächliche Nähe zu politischer Gewalt. Dieser
Vorwurf ist schlicht Blödsinn. Das wirkliche Problem der Linkspartei ist
hingegen die große Distanz zu jeglicher Gestaltungsmacht und das Fehlen
einer verbindenden politischen Vision. Die unmittelbare Abrufbarkeit jener
Fantasie einer in ferner Zukunft liegenden gewaltsamen Auflösung
gesellschaftlicher Konflikte ist deutliches Symptom heutiger Ohnmacht.
Deshalb muss diese rhetorische Exekutionswand eingerissen werden. Nicht um
der Bild-Zeitung zu gefallen oder auch nur den prospektiven
Koalitionspartner*innen in SPD und Grünen. Sie muss eingerissen werden
um der Zukunft einer linken Alternative willen.
Einer Alternative, die mit Selbstvertrauen und Offenheit an der Entwicklung
und Verwirklichung einer Utopie arbeitet; einer Zukunft, die nach aktuellem
Stand überhaupt nur existieren wird, wenn jetzt, heute, hier eine
ökologische und soziale Wende eingeleitet wird. Und zwar für alle
Menschen, auch für das eine Prozent.
4 Mar 2020
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bernd-riexinger-wegen-aeusserung…
[2] /Gespaltene-Linkspartei/!5650401
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
## TAGS
Die Linke
Bernd Riexinger
Gewalt
Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen
Rechter Terror
Die Linke
Susanne Hennig-Wellsow
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