# taz.de -- Diskussion mit Linken-Chefin Kipping: Das Unmögliche probieren | |
> Kommt nach Thüringen nun auch Rot-Rot-Grün im Bund? SPD-Generalsekretär | |
> Klingbeil erklärte am Mittwoch in der taz-Kantine seine Bereitschaft. | |
Bild: Klingbeil und Kipping am Mittwoch in der taz-Kantine | |
BERLIN taz | „Nur links der Union können wir sicher sein, dass es nicht zu | |
einer Kumpanei mit der AfD kommt“, sagte Katja Kipping wenige Stunden nach | |
der Wahl von Bodo Ramelow zum Thüringer Ministerpräsidenten durch die | |
Stimmen von Rot-Rot-Grün. Gemeinsam mit dem SPD-Generalsekretär Lars | |
Klingbeil und dem Publizisten Robert Misik diskutierte die | |
Linken-Parteivorsitzende am Mittwochabend in der taz-Kantine über die | |
Möglichkeit eines solchen Mitte-Links-Bündnisses auf Bundesebene. | |
Anlass für den Austausch war die Veröffentlichung von Kippings Buch | |
[1][„Neue linke Mehrheiten – eine Einladung“]. Darin plädiert die | |
Linken-Vorsitzende für einen progressiven Politikwechsel, um die drohenden | |
Krisen durch Klimawandel, soziale Spaltung, Rechtsruck und Militarisierung | |
abzuwenden. Sie ruft Linke, Sozialdemokrat*innen, Ökolog*innen und | |
Sozialliberale dazu auf, gemeinsam eine „sozial-ökonomischen Wende“ | |
voranzutreiben. | |
Und die SPD? „Die Einladung nehme ich gerne an“, sagte Klingbeil zu Beginn | |
der Diskussion. Die wahrscheinlich überraschendste Botschaft des Abends: | |
„Die Bereitschaft in der SPD für ein solches Bündnis war noch nie so groß�… | |
sagte das Mitglied des konservativen Seeheimer-Kreises mit Blick auf eine | |
rot-rot-grüne Koalition, von der trotz der Umfragewerte der Grünen an | |
diesem Abend stets in dieser Reihenfolge die Rede war. | |
Dass ein Mitte-Links-Bündnis „kein Spaziergang“ wird, wie Kipping | |
feststellte, wurde im Laufe des Abends trotzdem deutlich: Insbesondere in | |
Fragen der Außenpolitik zeigten sich die tiefen Gräben zwischen SPD und | |
Linkspartei. Klingbeil sprach in diesem Zusammenhang von „großen Hürden“ | |
und betonte das Bekenntnis der SPD zur NATO. Kipping hingegen forderte | |
einen „Neuanlauf in der internationalen Politik“. Die roten Haltelinien | |
ihrer Partei seien klar: Sozialabbau, Privatisierung, Militarisierung und | |
Kriege – das alles werde es mit der Linken nicht geben. | |
## Ostpolitik wäre leichter | |
Doch auch hier waren von Klingbeil überraschende Töne zu hören: Das | |
ehemalige Mitglied mehrerer Rüstungslobbyvereine forderte internationale | |
Abrüstungsinitiativen sowie eine „neue Ostpolitik“ und ein besseres | |
Verhältnis zu Russland. Mit linken Mehrheiten wären solche Vorhaben | |
leichter umzusetzen, stellte Klingbeil klar. | |
Auch wenn sich die beiden einige Spitzen nicht verkneifen konnten, verlief | |
das Gespräch überwiegend harmonisch und konfliktfrei. Man müsse das | |
Gemeinsame und nicht das Trennende in den Vordergrund stellen, betonte | |
Katja Kipping. Auch der Publizist Robert Misik lobte Kippings Buch als | |
„unglaublich pragmatisch“ und „erfrischend“. Die Rechten bekämpfe man … | |
besten mit Hoffnung, sagte Misik. | |
Wie kann ein linker Politikwechsel nun gelingen? Beide PolitikerInnen waren | |
sich einig, dass die drei Parteien zunächst intern klären müssen, ob sie zu | |
einem solchen Bündnis bereit sind. Von rot-rot-grünen Träumen „reden wir | |
noch lange nicht“, holte Klingbeil die Hoffnung so mancher Anwesenden auf | |
den Boden der Tatsachen zurück. Insbesondere die Grünen, die sich derzeit | |
vor allem mit der Kanzlerfrage beschäftigten, seien hier in der Pflicht. | |
## Der Druck der Straße | |
Eine Frage, die an diesem Abend nur am Rande diskutiert wurde: Wie kann – | |
selbst wenn sich die drei Parteien auf eine Koalition einigen könnten – | |
eine wirklich emanzipatorische Politik gegen den zu erwartenden heftigen | |
Gegenwind aus Wirtschaft, Medien und Politik umgesetzt werden? | |
Kipping setzt hierbei auf die Mobilisierung auf der Straße und | |
gesellschaftliche Mehrheiten. Der Berliner Mietendeckel zeige, dass durch | |
[2][massiven gesellschaftlichen Druck] alle drei Parteien über sich hinaus | |
gewachsen seien und eine wirklich fortschrittliche Politik umgesetzt | |
hätten. | |
Soziale Gerechtigkeit, Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz und | |
Friedenspolitik – für Kipping ist eine rot-rot-grüne Reformagenda | |
verheißungsvoll: „Macht das nicht Lust, dass man das Unmögliche probiert?“ | |
Zumindest SPD-Generalsekretär Klingbeil zeigte sich dafür offen. Ob ein | |
Politikwechsel letztendlich erfolgreich sein kann, wird wohl davon | |
abhängen, ob auch die Grünen Lust auf ein solches Projekt haben. | |
5 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Georg Sturm | |
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