# taz.de -- Kunstpreis für Arthur Jafa: „Ein psychopathologischer Befund“ | |
> Der Künstler Arthur Jafa über Schwarze Musik, die Schwächen der Oper und | |
> Kompromisslosigkeit in der Kunst. | |
Bild: Der US-Künstler Arthur Jafa im Palazzo Madama in Turin | |
taz: Herr Jafa, Sie haben kürzlich den Prix International d’Art | |
Contemporain für Ihr Video „Love Is the Message, the Message Is Death“ | |
(2016) erhalten. Viel zitiert ist Ihre Forderung nach einem Schwarzen Kino, | |
„mit der Kraft, der Schönheit und Entfremdung Schwarzer Musik“. Was macht | |
„Love Is the Message …“ zu einem Beispiel dafür? | |
Arthur Jafa: Manchmal fragen mich Leute, was ich mit meiner Kunst sagen | |
möchte. Ich habe darauf nie eine Antwort. Ich möchte nichts sagen, nichts | |
erklären. Man malt auch kein Bild, um etwas zu sagen. Wenn man etwas sagen | |
möchte, stellt man sich hin und sagt es oder schreibt es auf. Malerei | |
schafft Bedeutung auf eine andere Weise, durch Verkörperung. Das ist bei | |
mir ähnlich. | |
Ich versuche ein komplexes Modell dessen zu erschaffen, was mich ausmacht, | |
als Mann, als Schwarzer, als Amerikaner, als Person des 21. Jahrhunderts, | |
die in einer ländlichen Gegend aufgewachsen ist, die aus der Arbeiterklasse | |
stammt. Ich versuche das, damit Menschen, die meine subjektive Position, | |
meine Erfahrungen nicht teilen, dennoch verstehen können, wie ich die Welt | |
sehe. | |
Schwarze Musik ist ein Modell für mich, weil sie die Kunstform par | |
excellence ist, die Schwarze geschaffen haben, um darzustellen, was es | |
heißt, Schwarz zu sein. Ich betrachte das als ein Modell dafür, wie Kunst | |
sein könnte, aber ich schaue auch auf spezifische formale, technische | |
Aspekte, mit denen ich untersuche, wie man das Kino transformieren könnte, | |
so dass es besser geeignet wäre, zu verkörpern, was Schwarzsein bedeutet. | |
„Love Is the Message …“ versucht genau das. Es ist nicht glücklich, es i… | |
nicht traurig, es ist nicht nihilistisch, es ist nicht optimistisch. Es ist | |
eine Menge Dinge zur selben Zeit. Das ist eine Qualität, die Schwarze Musik | |
ausmacht. | |
Wie äußert sich das konkret? Woran lassen sich die Unterschiede zwischen | |
Schwarzer und weißer Ästhetik festmachen? | |
Nehmen Sie zum Beispiel die Oper: Leontyne Price ist eine großartige | |
Opernsängerin, sie ist eine Schwarze Frau, aber sie macht Oper, keine | |
Schwarze Musik. Möglicherweise könnte man sagen, dass sie eine Art von | |
Schwarzer Sensibilität in die Oper bringt. Oper ist jedoch eine Kunstform, | |
die über die Jahrhunderte als Antwort auf die Sehnsüchte einer bestimmten | |
Gruppe von Menschen aus Europa entstanden ist. Wer fundamental andere | |
Erfahrungen gemacht hat, braucht eine andere Kunst. | |
Sie meinen mit Schwarzsein verbundene Erfahrungen? | |
Schwarz zu sein, ist eng damit verknüpft, was es nach sich zieht, wenn | |
einem gesagt wird, man sei kein Subjekt, sondern ein Objekt ohne | |
Handlungsfähigkeit. Daraus folgt ein profund anderes Verständnis von Welt, | |
dem die Oper gar nicht entsprechen kann. Schwarze Musik kann das auf eine | |
akkuratere, kraftvollere Art und Weise. | |
Leontyne Price zuzuhören kann schön sein, aber es ist etwas ganz anderes, | |
Aretha Franklin zuzuhören, weil man bei ihr nicht nur ihren individuellen | |
Gesang wahrnimmt. Man hört eine künstlerische Ausdrucksweise, die sich über | |
die Generationen hinweg entwickelte und in welcher die Idee mitschwingt, in | |
aller Komplexität zu artikulieren und darzustellen, was es bedeutet, ein | |
menschliches Wesen zu sein, dem gesagt wurde, es sei ein Tier. | |
Inwiefern spiegelt sich das in bestimmten Kulturtechniken wider? Ich denke | |
zum Beispiel an Sampling oder an Improvisation im Jazz. | |
Auch Improvisation hat mit der Erfahrung zu tun, als Objekt zu gelten. Wer | |
keine Handlungsfähigkeit besitzt, kann kein Autor sein. Wenn man dennoch | |
etwas über die Welt ausdrücken will, landet man bei Ausdrucksformen, die | |
außerhalb des klassischen Verständnisses von Autorenschaft positioniert | |
sind. Ob man sich eine Note vorstellt und einfach spielt oder sich | |
hinsetzt, sie sich vorstellt und aufschreibt, ist letztlich kein großer | |
Unterschied. | |
Komposition bedeutet aber, dass man ausreichend Zeit und Muße hat, darüber | |
nachzusinnen, ob es diese oder jene Note sein soll. Schwarzsein bedeutete | |
in der westlichen Zivilisation lange Zeit das Gegenteil von Müßiggang. Man | |
musste also schnell sein, im Moment reagieren, aufstehen und die eigene | |
Idee präsentieren. Das ist der Grund, warum Improvisation so wichtig ist, | |
nicht weil es ein überliefertes Erbe ist. Mehr als alles andere ist die | |
Bedeutung von Improvisation eine soziophänomenologische. | |
Im Gegensatz zu „Love Is the Message …“ widmen Sie sich in „White Album… | |
der Arbeit, mit der Sie bei der Biennale von Venedig [1][mit dem Goldenen | |
Löwen ausgezeichnet] wurden, den Weißen. In einem Interview haben Sie | |
einmal gesagt, Sie wollten Weißsein abschaffen. Wie meinen Sie das? | |
Weißsein ist ein psychopathologischer Befund. Wenn ich sage, Weißsein müsse | |
abgeschafft werden, meine ich dasselbe, wie wenn jemand sagt, er oder sie | |
wolle das Patriarchat abschaffen. Es bedeutet nicht, Männer abzuschaffen, | |
sondern lediglich bestimmte Strukturen von Privilegien. | |
Männer, die sich nicht von Misogynie abgrenzen können, oder weiße Menschen, | |
die sich vom Weißsein nicht abgrenzen können, könnten sich angegriffen | |
fühlen, aber ich halte es für sehr wichtig, diese Dinge zu sagen, sodass | |
die Menschen es in ihren Kopf bekommen, dass es zwei unterschiedliche Dinge | |
sind. Europäische Herkunft und Weißsein sind nicht dasselbe, auch wenn | |
beide Dinge auf sehr komplizierte Weise aufeinander übergreifen. | |
Glauben Sie, dass Kunst in der Lage ist, Weißsein tatsächlich abzuschaffen? | |
Ich bezweifle es. | |
Wie steht es überhaupt um Ihr Verhältnis zur Kunst? Seit 2016, seit „Love | |
Is the Message …“ haben Sie eine kometenhafte zweite Karriere in der Kunst | |
hingelegt. Sie haben wichtige Preise gewonnen, hatten überall auf der Welt | |
große Ausstellungen. Zuvor hatten Sie die Kunstwelt hingegen für lange Zeit | |
gemieden … | |
Ich würde nicht sagen, dass ich sie gemieden habe. Ich habe zunächst | |
Architektur studiert, dann zog es mich zum Kino. Als ich Mitte 30 war, ließ | |
der Zauber des Kinos für mich nach, also ging ich in die Kunst. Ich hatte | |
schnell Erfolg, doch die Kunst war damals nichts für mich. Ich kehrte zum | |
Kino zurück. Vor knapp vier Jahren machte ich „Love Is the Message…“, me… | |
heutiger Galerist, Gavin Brown, sah die Arbeit in Basel, spürte mich auf | |
und hier bin ich. | |
Wieso mochten Sie eigentlich die Kunstwelt damals nicht? Inwiefern hat sie | |
sich inzwischen verändert? | |
Sie hat sich sogar radikal verändert. Heute gibt es sehr viel mehr Schwarze | |
in der Kunst, sehr viel mehr Schwarze Kunst. | |
Dennoch scheinen es noch mehr Weiße zu sein, die davon profitieren. | |
Ja, und? | |
Haben Sie eine Strategie entwickeln können, um zu vermeiden, von der doch | |
immer noch weiß dominierten Kunstwelt zu sehr absorbiert zu werden? | |
Im Gegenteil. Ich habe eine Strategie, von ihr absorbiert zu werden. Ich | |
möchte absorbiert werden. | |
Könnten Sie im Kino nicht aber viel leichter ein größeres Publikum | |
erreichen als in der Kunst? | |
Für mich steht eindeutig fest, dass ich mit meiner Art des Kinos in der | |
Kunst mehr Menschen erreiche als im eigentlichen Kino. – Obwohl ich in | |
meiner Kunst keinerlei Kompromiss eingehe. Ich tue exakt das, was ich tun | |
will. Ich denke im Kontext eines Kinos, das Massen erreicht, wäre das kaum | |
möglich. | |
6 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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