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# taz.de -- Premiere an der Staatsoper Berlin: Unter Kulissen begraben
> Der Regisseur Damián Szifron hat „Samson und Dalila“ von Camille
> Saint-Saëns inszeniert – leider wie uraltes Kino und nicht wie eine Oper.
Bild: Treffen in der Felsgrotte: Elina Granca als Dalila und Brandon Jovanovich…
Camille Saint-Saëns hat jahrelang an seiner einzigen Oper gearbeitet, die
noch heute gespielt wird, wenn auch nicht allzu oft. Man merkt es ihr
manchmal an. Ihre drei Akte scheinen nicht so recht zusammenzupassen.
Große, ins sich verharrende Chorszenen zu Beginn, die den handelnden
Personen kaum Platz lassen, sich zu entfalten. Darauf folgt das solistische
Kammerspiel einer Liebesintrige, am Ende steht ein arabesk eingefärbtes
Fest fürs Ballett samt gewaltig dröhnendem Showdown.
[1][Daniel Barenboim] will daran nichts ändern. Souverän, ruhig und dennoch
leichtflüssig lässt er seine Staatskapelle alle Facetten der gebrochenen
Romantik dieses Werks in makelloser Schönheit der Instrumentalfarben
ausspielen.
Dennoch ist es Salonmusik, durchaus reizvoll im Einzelnen, aber immer
wohlgefällig. Die Gefahr musealer Langeweile ist daher groß, aber nicht,
wenn Elina Garanča singt. Zwar muss auch sie sich am Anfang erst an die
Bühne gewöhnen, aber im zweiten Akt gewinnt ihre Dalila Konturen und
Persönlichkeit. Stets kontrolliert in den tiefsten wie höchsten Tonlagen
zeichnet ihr mächtiger Mezzosopran den unauflösbaren seelischen Konflikt
einer Frau, die den Helden ihrer Feinde zugleich lieben und vernichten
will.
Eine große Schauspielerin ist Garanča freilich nicht. Das vom Textautor
Ferdinand Lemaire durchaus modern interpretierte Psychodrama aus dem Alten
Testament ist kaum zu sehen. Es ist nur zu hören. Denn Saint-Saëns, der
sonst vor allem mit Instrumentalwerken erfolgreich war, hat mit klaren,
singbaren Melodien, feinsinnigen Harmonien und sparsamen Farben ein sehr
dichtes, abgründiges Bild einer tragischen Frau gezeichnet.
## Ein robuster Tenor
Ein großer Schauspieler ist auch der US-Amerikaner Brandon Jovanovich eher
nicht. Er begann seine Laufbahn einst als Football-Spieler und so singt er
auch heute noch: Ein robuster, durchtrainierter Tenor, der überaus
sportlich als Einzelkämpfer in den Fallstricken einer angeblichen Femme
fatale hängen bleibt. Natürlich ist die patriarchale Kastrationsangst des
Textes simpel gestrickt, aber Saint-Saëns hat auch dafür Töne gefunden, die
Jovanovich mit großer Überzeugungskraft glaubwürdig vorträgt.
Am leichtesten hat es Michael Volle, der ohnehin jede Rolle bis zum Rand
ausfüllt, wenn er nur die Bühne betritt. Mit seiner fabelhaft wandelbaren
Stimme singt er jetzt nicht nur, er ist der böse Oberpriester der
Philister.
Modern wird Saint-Saëns damit sicher nicht, aber es lohnt sich sehr, ihm
zuzuhören. Die dekorative Oberfläche aus geschmackvoll drapiertem Samt hat
Tiefen, die viel aussagen über ihre, und damit auch unsere Zeit. Nur ist in
der Staatsoper trotzdem keine große Oper zu sehen. Woran es liegt, kann man
im Programmheft nachlesen.
## Ist nicht jede Oper Film?
Ein argentinischer Episodenfilm unter dem deutschen Titel „Jeder dreht mal
durch“ hat Daniel Barenboim sehr gut gefallen. So erzählt es jedenfalls
[2][Damián Szifron, der Regisseur des Streifens], der es 2014 immerhin zu
einer Oscar-Nominierung brachte. Die Schlussnummer einer katastrophalen
Hochzeitfeier habe sich für Barenboim „wie eine Oper angefühlt“ und so ha…
er, Szifron, „ein Angebot bekommen, das man nicht ablehnen kann“. Danach
sei ihm sofort klar geworden, dass eigentlich jede Oper eine Art Film sei.
Das mag ein Mann des Kinos so sehen. Tatsächlich hat 1949 Cecil B. DeMille
in Hollywood „Samson und Dalila“ zu einem seiner berüchtigten
Monumentalschinken verarbeitet. Nur so ist zu erklären, warum heute auf der
Bühne der Staatsoper eine Wüste, Felsbrocken im Sand und Lehmhütten am Rand
zu sehen sind. Massenauflauf der (vermutlich) barfüßigen Israeliten in
grauen Umhängen, dazu Krieger mit gehörnten Helmen, ein König im
Prachtgewand auf einer Sänfte getragen, schließlich Samson, der einen toten
Stier am Seil hinter sich her schleift. Ein Beweis seiner Kraft, der
nachher im Weg liegt.
Der zweite Akt ist eine vaginale Felsgrotte aus Styropor. Dalila zündet ein
Öllämpchen an, Eisnebel für den Auftritt des Oberpriesters, Blitze am
fernen Himmel für Samson, den Geliebten. Am Ende Köpfen und Hängen im
Tempel, Stuntmen stürzen zu Tode, eine Orgie mit nackten Brüsten, Samson
zerbricht zwei Säulen.
## Die Nahaufnahme fehlt
Nein, nichts stürzt wirklich ein, es ist alles nur ein Filmset. Aber eben
kein Theater. Ein dressierter Wolfshund schnuppert zu Beginn an einem
Bündel an der Rampe. Was es sein könnte, ist nicht zu erkennen, weil die
Nahaufnahme fehlt. Mühsam muss man später raten, dass es wohl ein totes
Kind war. In den vielen Dialogszenen von Saint-Saëns stehen Sänger und
Sängerinnen hilflos gestikulierend nebeneinander, allein gelassen von der
Regie, die mit ihnen in der Totale nichts anfangen kann. Im Film würden sie
in Schnitt und Gegenschnitt miteinander reden.
Ein ironischer Rückblick auf die Frühzeit von Hollywood könnte reizvoll
sein, aber genau dazu kommt es nicht. Die Aufführung stolpert zäh und
sinnlos in den den Kulissen eines uralten Kinos herum, die alles unter sich
begraben, was mal eine Oper war. Nein, nicht ganz: Auch das Publikum der
Premiere hat sich herzlich bedankt für großen Gesang und wundervoll
gespielte Musik. Protest gab es erst, als auch Szifron auf die Bühne kam.
Barenboim hat ihn demonstrativ bei der Hand genommen. Zu spät, er hätte mal
mit ihm reden sollen.
25 Nov 2019
## LINKS
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[2] /Bilanz-der-Filmfestspiele/!5041473
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
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Oper
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