# taz.de -- Neues Stück an der Staatsoper München: Marilyn-Perücke als Reliq… | |
> Alle Vorstellungen der Korngold-Oper „Die tote Stadt“ in München in | |
> diesem Jahr sind schon ausverkauft. Das liegt nicht nur an Simon Stone. | |
Bild: Modernes Paar: Jonas Kaufmann und Marlis Petersen in Wolfgang Korngolds O… | |
Zumindest beim euphorischen Schlussapplaus war der auf vielen Hochzeiten | |
tanzende [1][Regisseur Simon Stone] persönlich zur Stelle. Inwieweit und | |
wie oft er selbst bei der Übertragung seiner drei Jahre alten Basler | |
Inszenierung von Erich Wolfgang Korngolds „Toter Stadt“ an [2][die | |
Bayerische Staatsoper in München] Hand angelegt hat, lässt sich nicht so | |
genau ergründen. | |
Ist im Grunde auch egal. Denn was die mitarbeitende Regisseurin | |
Maria-Magdalena Kwaschik mit dem Ensemble einstudiert hat, funktionierte | |
fabelhaft. Es wirkte sogar konsistenter, als es die Erinnerung an das | |
Operndebüt des damals schon für seine originellen | |
Schauspielüberschreibungen gehypten Regisseurs vermerkt. | |
Im Vorfeld der – für München gänzlich ungewöhnlichen – Übernahme hatte | |
Stone nebenan am Residenztheater die eigentlich geplante | |
Eröffnungsinszenierung abgesagt und sogar am Burgtheater in Wien die | |
Planung wegen eines laufenden cineastischen Großprojekts | |
durcheinandergebracht. | |
Die Filmvorliebe des Regisseurs | |
Auf die Filmvorliebe des Regisseurs verweisen übrigens einige Plakate, die | |
der Bühnenbildner Ralph Myers an den Wänden der betont „normalen“ Wohnung | |
auf der Bühne platziert hat. Eines für Godards „Pierrot le fou“ (1965) od… | |
das für Antonionis „Blow Up“ (1966) geraten öfter in den Blick. | |
Den opulent genialen Jugendwurf von Erich Wolfgang Korngold (1897–1957) | |
nach Georges Rodenbachs Roman „Bruges-la-Morte“ gab es jedenfalls wie | |
geplant. Die Premiere löste ungeteilten Jubel aus, und alle fünf | |
Folgevorstellungen in diesem Jahr ziert der Vermerk „ausverkauft“. | |
Was zuerst an Korngolds Oper liegt, die, 1920 zeitgleich in Hamburg und | |
Köln uraufgeführt, der größte Erfolg seines Lebens war. Mittlerweile ist | |
Korngold dem durch die Nazis erzwungenen Vergessen wieder entrissen. | |
Mindestens ebenso sehr ist die gelungene Inszenierung der Traumbesetzung | |
mit Glamourfaktor zuzuschreiben, wie sie in München unter dem Intendanten | |
Nikolaus Bachler zum Standard gehört. | |
Jonas Kaufmann singt durchgängig in Hochform | |
Jonas Kaufmann in der mörderischen Tenorpartie des trauernden Paul ist | |
nahezu durchgängig in Hochform! Marlis Petersen changiert mühelos zwischen | |
der quicklebendigen Marietta und der erinnerungsblassen Marie. Sie spielt | |
exzessiv und imponiert mit ihrer Wandlungsfähigkeit genauso wie mit ihren | |
betörenden Höhen. | |
Simon Stone entfernt sich mit seiner Inszenierung bewusst von der | |
symbolistischen Düsternis einer Bruges-la-Morte-Atmosphäre und der zur | |
Entstehungszeit allgegenwärtigen Trauer um unzählige Kriegstote. Er fragt | |
nach dem Exemplarischen im individuellen Leid, nach den Gefahren von | |
unbewältigter Trauer heute. | |
Pauls geliebte Marie ist offensichtlich an Krebs gestorben, Paul durchlebt | |
das immer wieder und kommt damit nicht klar. Das spannende Psychogramm des | |
vereinsamten Mannes in einer Lebenssackgasse entfaltet sich in einer | |
nüchternen Erdgeschosswohnung. Hier hat er seine Kirche der Erinnerung | |
eingerichtet; mit unzähligen Fotos und Maries blonder Perücke als | |
Heiligtum. Die quicklebendig zupackende Tänzerin Marietta gewinnt hier | |
Zugang, weil sie rein äußerlich der Toten gleicht. | |
Das Traumbild der Toten | |
Das wird zum Problem, denn Paul versucht, die lebendige Frau seinem | |
Traumbild von der Toten anzupassen, was in einen mörderischen Exzess | |
gipfelt. Der erweist sich jedoch als heilsam schockierender (Alb-)Traum. | |
„Ein Traum hat mir den Traum zerstört. Ein Traum der bittren Wirklichkeit | |
den Traum der Fantasie“, vermag er am Ende immerhin selbst hellsichtig zu | |
resümieren. Im Laufe des jetzt in München mit zwei Pausen auf | |
dreieinviertel Stunden verlängerten Abends löst sich die Wohnung wie ein | |
Labyrinth auf, werden Zimmerboxen zeitweise übereinandergestapelt. | |
Der selbstbewussten Marietta gehört eh die Sympathie. Aber auch das | |
Mitgefühl für Paul wächst. Wenn er schließlich die Reliquien seiner | |
Erinnerung selbst im Papierkorb verbrennt, fragt er: „Wie weit soll unsere | |
Trauer gehen, wie weit darf sie es, ohn’ uns zu entwurzeln? Schmerzlicher | |
Zwiespalt des Gefühls!“ | |
So weit immerhin löst sich Paul aus seiner Trauer, so weit liefert am Ende | |
der Protagonist die Interpretation seiner Geschichte gleich selbst. Um dann | |
noch einmal sein betörendes „Glück, das mir verblieb“ als Abschiedsgruß … | |
im günstigsten Fall ergriffenen Zuschauern zu überlassen. Man möchte die | |
Flasche Bier, mit der er dann den Raum verlässt, als ein Zeichen für seine | |
Rückkehr in die Normalität nehmen. | |
Und [3][Kirill Petrenko, der Dirigent]? Als detailversessener Perfektionist | |
trägt er die Sänger auf Händen. Er beherrscht aber auch den dosierten | |
Rausch am Pult des Bayerischen Staatsorchesters! All das ist kaum irgendwo | |
besser zu haben. | |
21 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Auftakt-des-Berliner-Theatertreffens/!5589455 | |
[2] https://www.staatsoper.de/stueckinfo/die-tote-stadt.html | |
[3] /Schloss-Musik-mit-Kirill-Petrenko/!5527980 | |
## AUTOREN | |
Joachim Lange | |
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