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# taz.de -- Premiere an der Komischen Oper Berlin: Schlechte Diagnose
> Nicola Raab hat an der Komischen Oper Berlin Verdis „La Traviata“ neu
> inszeniert. Was sie damit sagen wollte, ist nicht zu erkennen.
Bild: Szene mit Natalya Pavlova (Violetta Valéry)
Die Bühne ist eine Wand aus Glasfenstern und Aluminiumleisten. Rechteckig,
regelmäßig, ein Krankenhaus vielleicht oder auch nicht. Nichts daran ist
interessant, aus unsichtbaren Lautsprechern kommt leise Streichermusik, die
Tonqualität ist miserabel. Eine Frau, schwer beladen mit Taschen, tritt
auf. Ablegen, Schuhe ausziehen. Unter der Kostümjacke trägt sie ein fest
geschürtes Mieder, schaltet den Computer ein, schlägt einen Aktenordner
auf, blättert in Papieren. Der Arzt hat ihre eine schlechte Diagnose
mitgegeben: Tuberkulose.
Im Saal zu sehen ist das nicht, der Bildschirm des Computers ist viel zu
klein dafür. Aber man weiß es, weil „La Traviata“ auf dem Programmzettel
steht. Keine Oper von Giuseppe Verdi ist bekannter. Violetta Valéry wird
auch heute Abend wieder an Tuberkulose sterben, Alfredo, den sie liebt,
wird klagen, sein Vater wird ihr verzeihen, und danach wird im Saal der
Applaus aufbrausen, selbst dann noch, wenn die Aufführung dem Publikum gar
nicht gefallen hat. Niemand, absolut niemand kann der suggestiven Macht
dieser Musik widerstehen.
Auch Nicola Raab kann das nicht, die Regisseurin, 1972 in Regensburg
geboren. Sie hat inzwischen umfangreiche internationale Erfahrungen
gesammelt und ist nun zum ersten Mal in Berlin zu Gast. Seltsam ist nur,
was sie daraus macht. Gar nichts, um es gleich zu sagen. Sie bleibt bei
ihrer namenlosen Frau im Mieder vor dem Computer. Kostüm und Situation
lassen einen keineswegs zwingenden Schluss auf Sexarbeit zu, womöglich
online angeboten.
Ist nicht schön (wenn es so ist), und dann auch noch diese Diagnose.
Offenbar fällt ihr dabei Verdis Violetta ein. Die Kostümbildnerin Annemarie
Wodds hat einen sehr schönen weiten Reifenrock entworfen, den sie nun
überziehen kann, um in diese Rolle zu schlüpfen.
## Kurtisanen musste man sich leisten können
Ist sie jetzt Violetta Valéry? Nein, um es gleich zu sagen. Violetta ist
eine „Kurtisane“, heißt es. Das Wort hat heute keine Verwendung mehr, es
bezeichnet eine für die Herrschaftsklasse im Frankreich des 19.
Jahrhunderts typische patriarchale Konstruktion der verführerischen
Geliebten. Kurtisanen musste man sich leisten können, wichtiger als der Sex
war, dass sie im Mittelpunkt von Festen und gesellschaftlichen Anlässen
standen. Die Männer lagen ihnen zu Füßen und waren stolz darauf.
Das stellt jede neue Inszenierung vor die Frage, wie eine solche Figur
heute gespielt werden könnte. Verdis Musik hilft sehr beim Versuch einer
Antwort, aber Nicola Raab hat sich diese Frage gar nicht gestellt.
Stattdessen lässt sie ihre Namenlose immer weiter träumen. Die Männer
tragen jetzt den Zylinder der Uraufführungszeit (1853) auf dem Kopf, die
Frauen den Reifrock um den Leib, aber alles ist in weite Ferne gerückt,
abgeschirmt durch die raumfüllende Fensterwand der Gegenwart, die sich
Madelaine Boyd, die Bühnenbildnerin, ausgedacht hat.
Verdi wird trotzdem gesungen. Natalya Pavlova als Violetta und Ivan Magrí
als Alfredo machen das sehr ordentlich. Pavlovas manchmal hörbarer Kampf
mit den hohen Lagen stört den Ausdruck ihrer Stimme nicht, Magrís sicher
intonierender kräftiger Tenor allerdings kommt hin und wieder etwas zu
grob heraus. Wie immer ganz wunderbar klingt dafür Günter Papendells
Bariton in der Rolle des Vaters Germont, des Patriarchen, der sich rühren
lässt.
## Chor und Orchester tun ihre Pflicht
Im Saal jedoch kommt keine Rührung an. Chor und Orchester unter dem
Chefdirigenten Ainars Rubikis singen und spielen ihre Noten brav vor sich
hin. Sie tun ihre Pflicht, was viel zu wenig ist für ein Werk, das wahre
Stürme an Gefühlen auslösen könnte. Hier findet es nicht statt, es ist
weder zu sehen noch zu hören.
Sogar der Applaus, der unvermeidliche, klang am Sonntag der Premiere nach
gar nichts: abgestuft dankbar für Papendell, Pavlova und Magrí, gleichmäßig
höflich für Statisten, Chor, Dirigent und Regisseurin, kein einziges Buh.
Schlechte Diagnose halt, was soll man dagegen machen?
4 Dec 2019
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
## TAGS
Komische Oper Berlin
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