# taz.de -- Otello-Remake-Oper in Dortmund: Partitur im Abgrund | |
> In Dortmund ist die Oper „Der Hetzer“ mit Musik von Bernhard Lang zu | |
> sehen. Er überschreibt Verdis „Otello“ nach Shakespeares Drama. | |
Bild: Álfheiður Erla Guðmundsdóttir (Desirée) und Mandla Mndebele (Joe Col… | |
Philipp Armbruster, Dirigent der Dortmunder Philharmoniker, steht vor einem | |
leeren Orchestergraben. Das bleibt so während der gesamten Uraufführung von | |
„Der Hetzer“. Weil die Oper ursprünglich für diesen März angesetzt war, | |
sind coronabedingt Chor und Orchester vorher aufgenommen worden und | |
schallen jetzt als Konserve aus den Boxen. Das Ensemble singt dazu live auf | |
der Bühne. | |
Die Oper ist eine Überschreibung von [1][Verdis „Otello“,] beziehungsweise | |
dem gleichnamigen [2][Shakespeare-Drama]. Damit will die Oper Dortmund den | |
alten Stoff für die heutige Zeit adaptieren. Das Stück hält sich weitgehend | |
an die Handlung, ändert aber die Namen: Aus Otello wird Joe Coltello, ein | |
Schwarzer Hauptkommissar. | |
Der Intrigant Jago heißt in dieser Oper Jack Natas. Er kann es nicht | |
verputzen, dass ein Schwarzer schneller Karriere macht als er selbst und | |
treibt Coltello durch fiese Spielchen in den Wahnsinn. Wie der | |
personifizierte Teufel stolziert er auf der Bühne in roten Stöckelschuhen, | |
Lackkorsett und Zylinder umher (Kostüm: Hedda Ladwig) und stiftet, wo | |
er:sie nur hinkommt, Unheil an. | |
## Für einen Countertenor | |
Anders als in der Vorlage ist er die Hauptperson, der „Hetzer“. Die Rolle | |
ist komponiert für einen Countertenor, was für eine moderne Oper | |
ungewöhnlich ist. Jack zählt damit zu einer Minderheit genau wie der Mann, | |
den er zerstören will. David DQ Lee gibt einen perfide-penetranten | |
Bösewicht und meistert die schwierigen Intervallsprünge in seinen Arien, | |
die immer wieder an Purcells berühmten „Cold Song“ erinnern. | |
Die Musik von Bernhard Lang orientiert sich stark an Verdi, klingt aber | |
insgesamt viel kleinteiliger. Der Komponist hat viel Erfahrung mit dem | |
Überschreiben von Musik: Er hat nicht nur [3][Wagners „Parsifal“] und eine | |
Bruckner-Sinfonie überschrieben, sondern auch eine 40-teilige | |
Überschreibungsserie komponiert. Lang arbeitet wie ein Maler, der über ein | |
schon vorhandenes Bild malt. Er trägt mal mit dickem Pinsel und kräftigem | |
Strich, mal ganz zart und fein, neue Schichten auf: Akkorde, komplizierte | |
Schlagzeugrhythmen oder eine andere Besetzung. | |
Die Vorlage scheint aber immer durch das Neue hindurch. In „Der Hetzer“ | |
sind Arien und Zwischenspiele deutlich kürzer als bei Giuseppe Verdi. Die | |
Harmonik folgt größtenteils dem Original, allerdings hat Lang oft | |
Dissonanzen und Reibungen mit eingebaut. | |
## Zermürbende Loops | |
Ein weiteres Stilmittel sind Loops: Einzelne Klangfiguren, Phrasen und | |
Liedzeilen werden ständig wiederholt und zermürben so langsam, aber sicher | |
Coltellos Verstand. Anders als man es vermuten könnte, klingen diese | |
Wiederholungen immer sehr ähnlich. Es wird nicht versucht, jede | |
Wiederholung anders klingen zu lassen. Das ist gewollt. Denn es ist ja auch | |
die immer gleiche Dauerschleife von Jacks schlechtem Zureden, die am Ende | |
zu einem tödlichen Resultat führt. | |
Die Oper spielt aber auch mit musikalischen Gegensätzen: Wenn Coltello | |
seine Frau Desirée aus Eifersucht ermorden will, weil Jack ihn davon | |
überzeugt hat, dass sie ihn mit seinem Kollegen und Ex-Junkie Kessler | |
betrügt, begleitet die Hassszene ein verräterisch weicher Streicherteppich. | |
Am krassesten ist der Bruch aber in eingeschobenen Szenen, in denen | |
Doppelgänger von Jack und Coltello auftreten. | |
Sie performen Deutschrap. Die Texte stammen aus einer Kooperation der Oper | |
mit dem Planerladen e. V. in der Dortmunder Nordstadt: In einer | |
Schreibwerkstatt haben 16 Jugendliche Texte zu den Themen der Oper wie | |
Hass, Eifersucht oder Manipulation verfasst. Auf deren Basis haben die | |
Dortmunder Rapper IndiRekt und S.Castro zu Beats des Komponisten ihre Lines | |
geschrieben. Diese eingeschobenen Teile sollen bei jeder Aufführung in | |
einer anderen Stadt neu entstehen. | |
## Das Böse steckt in Jack | |
Und das ist ironischerweise das Aktuellste an dieser Oper. Die Rapper | |
sprechen nicht nur von der Bundestagswahl, die am Sonntagabend gerade | |
stattgefunden hat, sondern auch davon, dass das Böse nicht nur in Jack | |
steckt: „Der Hetzer steckt in euren Reihen. Sag mir, wann du handeln | |
willst.“ Diese Ebene fehlt im sonstigen Libretto und in der Regie (Kai Anne | |
Schuhmacher). Der Hetzer ist eben nicht nur Jack, sondern auch das System, | |
das in sich selbst rassistisch und misogyn ist. | |
Das System der Mehrheitsgesellschaft in unserem Land. Schwarzsein wird in | |
dieser Oper immer als etwas Fremdes, Andersartiges behandelt und | |
reproduziert damit gängige Stereotype. Dass Coltello selbst ein | |
Geflüchteter ist, wird zwar angedeutet, beispielsweise in der Sturmszene am | |
Anfang der Oper, aber nicht weiter thematisiert. | |
## Altbackenes Frauenbild | |
Hier wäre mehr Distanz zum Gegenstand wünschenswert gewesen – über die | |
Umbenennung der Figuren hinaus. Auch das Frauenbild wirkt nicht zeitgemäß: | |
Desirée wird von Coltello als Nutte und Hure beschimpft. Sie liegt ihm | |
buchstäblich zu Füßen oder wird auf den Boden gestoßen und singt selbst | |
danach noch über ihren Ehemann: „He was born for glory, I was born for | |
love.“ | |
Am Ende der Oper verlangt Coltello Transparenz: „Sprecht von mir, wie ich | |
bin.“ Sein Schlussplädoyer singt er auf Deutsch, Italienisch und Englisch. | |
Dazu hält er die Partitur von „Otello“ in den Händen und schleudert sie am | |
Ende in den Abgrund. Ein vieldeutiges Zeichen, das auch den gängigen Kanon | |
infrage stellt. | |
28 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Sophie Emilie Beha | |
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