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# taz.de -- Opernfestspiele in München: Opulenz fürs Nachdenken
> Zum Abschluss der Opernfestspiele in München gelingt Barrie Kosky eine
> überraschend nüchterne und analytische Inszenierung von „Agrippina“.
Bild: Alle lachen im Spiel der Intrigen, in der Mitte Nero neben Agrippina
Thomas Manns Zitat „München leuchtet“ ist zum Motto eines positiven
Selbstbildes der Bayernmetropole geworden. In Sachen Oper stimmt das
allemal. Zum Ausklang der Spielzeit funkelt sogar ein wahres Feuerwerk. Mit
ihren bis auf 1875 zurückgehenden Opernfestspielen startet die Stadt noch
mal richtig durch, wenn sich die anderen Häuser längst in die Sommerpause
verabschiedet haben.
Von Ende Juni bis Ende Juli gibt es an der Isar Oper, Ballett, Konzerte,
Schlag auf Schlag, auf ortsüblich hohem Niveau. In dem Kaliber ist das
konkurrenzlos. Damit auch das Premierenabo etwas davon hat und wohl auch
damit das Ganze beim auf Neuigkeiten fixierten Feuilleton nicht durchs
Raster fällt, gibt es stets zum Auftakt und gegen Ende eine Premiere.
Diesmal war es erst eine „Salome“ in der etwas rätselhaften Verortung von
Regisseur Krzysztof Warlikowski und als musikalisches Prunkstück mit dem
Nochgeneralmusikdirektor und designierten Chef der Berliner Philharmoniker,
Kirill Petrenko, am Pult. Jetzt – zum Abschluss – war es Georg Friedrich
Händels „Agrippina“ in der Regie von Barrie Kosky. Das Bayerische
Staatsorchester dirigierte im Prinzregententheater der in München auf
Barock abonnierte und bewährte Brite Ivor Bolton. Es ist eine Koproduktion
mit Covent Garden in London, und den Opern in Amsterdam und Hamburg.
## Powerfrau spielt auf Risiko
Das zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaute Prinzregententheater bezieht
seinen Charme aus seiner Ähnlichkeit mit Wagners Festspielhaus in Bayreuth.
Nachdem diverse Schäden am Bau behoben wurden, ist das Haus seit 1996
wieder im aktiven Dienst. Barock macht sich gut hier. Und da die Sitze zum
Glück menschenfreundlicher als in Bayreuth sind, hält man auch einen
Händel-Vierstünder wie „Agrippina“ aus dem Jahre 1709 durch.
Kaisergattin (und -mutter) Agrippina ist bei Alice Coote eine Powerfrau.
Sie hat die Fäden in der Hand und spielt auf Risiko. Als die Falschmeldung
über den Tod ihres Mannes Claudio (mit vokaler Kraft als Mann im Schatten
seiner Frau: Gianluca Buratto) eintrifft, handelt sie sofort, um ihren Sohn
Nero auf den Thron zu hieven.
Ihre Verehrer Pallante und Narciso sorgen für die entsprechende Stimmung.
Und der völlig abgedrehte Sohnemann in Jeans, mit Tattoo auf der Glatze und
geradezu inzestuöser Mutterfixierung wechselt die Klamotten und gibt sich
als Freund der Armen. Der argentinische Counterstar Franco Fagioli macht
daraus im direkten Spiel mit dem Publikum ein Kabinettstück von
Scheinheiligkeit.
## Eine Ahnung von Palast
Als Claudio zurückkommt, seinen Retter Ottone (mit überraschend klarem und
schönem Counterton: Iestyn Davies) zum Kaiser machen will, zieht Agrippina
alle Register. Sie nutzt die von Ottone und ihrem Gatten begehrte Poppea
(mit perlendem Koloraturcharme: Elsa Benoit) als Joker in ihrem
Intrigenspiel. Die erweist sich aber als ebenbürtig. Für ein barockes
Libretto ungewöhnlich „modern“, bekommen die Frauen am Ende beide ihren
Willen: Poppea ihren Ottone und Agrippina hievt, obwohl ihre Intrigen
entlarvt wurden, ihren Nero ganz legal auf den Thron.
Rebecca Ringst hat eine nüchterne Riesenbox aus drei Elementen auf die
Bühne gesetzt. Eine Ahnung von Palast – mehr nicht. Mit einer Treppe im
Inneren und einem aufklappbaren Apartment für Poppea ganz in Weiß. Mit
Slapstickpotenzial, hier „empfängt“ sie ihre Verehrer gleichzeitig, ohne
dass diese einander sehen können.
Musikalisch hält Bolton die Zügel straff in der Hand, setzt auf Verve und
Transparenz, zelebriert das melodische Leiden und Zweifeln ebenso wie er
das Perlen der Koloraturen unterstützt. So trägt er sein spielfreudiges und
stimmstarkes Ensemble durch den langen Abend.
Als Regisseur lässt [1][Barrie Kosky] vor allem in der Operette bekanntlich
gerne mal die Puppen tanzen, spart nicht mit Glanz und Glamour und lässt
keine Federboa aus. Diesmal überrascht er mit geradezu analytischer
Nüchternheit. Umso mehr besticht er mit gewohnter, körperlich packender
Personenregie. Opulenz fürs Nachdenken liefert er also. Mit der fürs Auge
hält er sich zurück.
Bei einem Vollblutkomödianten wie Franco Fagioli ist das schnuppe. Der
imaginiert den Prinzenglanz auch so, wenn er an der Rampe seine Koloraturen
ins Publikum feuert. Das eigentlich vorgesehene lieto fine – Ende gut,
alles gut – unterläuft Kosky durch einen sehr elegischen Nachsatz aus einem
Händel-Oratorium. Alle haben Agrippina verlassen. So hat sie sich ihren
Triumph wohl nicht gedacht. Auf den „anderen“ Kosky darf man für Salzburg
wetten. Für die Festspiele inszeniert er dort gerade „Orphée aux enfers“
von Jacques Offenbach!
25 Jul 2019
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## AUTOREN
Joachim Lange
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