| # taz.de -- Oper „Pénélope“ in München: Im Museum der Erinnerungen | |
| > Gabriel Faurés selten gespielte Oper „Pénélope“ wird zum | |
| > Überraschungserfolg. Dank der Regisseurin Andrea Breth und ihrer Feier | |
| > der Langsamkeit. | |
| Bild: Odysseus badet, die Konkurrenten hängen am Haken (v. l. n. r.: B. … | |
| Die Münchner Opernfestspiele gibt es schon 150 Jahre. Für diesen | |
| sommerlichen Marathon fährt die Bayerische Staatsoper nicht nur alles auf, | |
| was sie im Repertoire (und an Stars) zu bieten hat. Es gibt dazu auch noch | |
| zwei Premieren. Von den beiden in diesem Sommer wurde das | |
| Nummer-sicher-Stück „Don Giovanni“ dank Regisseur David Hermann zumindest | |
| szenisch eher zum Eröffnungsärgernis. Die selten zu sehende „Pénélope“ … | |
| [1][Gabriel Fauré] (1845–1924) hingegen zu einem Überraschungserfolg. | |
| Musikalisch ist die Musik des Franzosen, die von den Heroen Wagner und | |
| Debussy profitiert und sich zugleich zu emanzipieren versucht, von | |
| überwältigender Suggestivkraft. Kann gut sein, dass sie auch vom Genius | |
| loci des Prinzregententheaters profitiert, das ja vom Festspielhaus in | |
| Bayreuth inspiriert ist. | |
| In erster Linie sind es aber die finnische Dirigentin Susanna Mälkki, das | |
| Bayerische Staatsorchester und die exzellenten Protagonisten, die mit ihrer | |
| Prachtentfaltung für musikalische Überwältigung sorgen. | |
| ## Zehn Jahre im Krieg | |
| Die aktuelle Neuproduktion ist aber nicht nur ein musikalisches Plädoyer | |
| für dieses selten gespielte Werk, sondern dank [2][Regisseurin Andrea | |
| Breth] auch ein szenisches. Trotz oder besser wegen ihrer ganz eigenen | |
| Sicht, mit der sie sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit begibt. | |
| Verloren ist sie für Pénélope, aber im Blick auf ihre Beziehung auch für | |
| ihren Mann Odysseus. | |
| Erst ist er zehn Jahre im Krieg, dann noch mal so lange auf Irrfahrt. Das | |
| verändert den Helden und König so, dass ihn seine Frau nicht mehr gleich | |
| erkennt. Für diese Geschichte eines schier endlosen Wartens erweist sich | |
| die Regie-Meisterin der Präzision und Freundin gedämpfter Grautöne sowie | |
| karger Räume als genau richtig. | |
| Bei ihr gibt es natürlich kein turbulent blutiges Gemetzel, wenn der nach | |
| zwanzig Jahren zunächst als Bettler verkleidet heimkehrende Hausherr sein | |
| Inkognito lüftet und die fünf lästig parasitären Freier niedermetzelt. Das | |
| nicht. | |
| ## An der Narbe erkannt | |
| Was Breth bietet, ist nicht Aktion im klassischen Sinne, sondern es sind | |
| [3][Denk- und Assoziationsräume.] Man sieht, was man hört. Oder besser | |
| noch, was die Akteure auf der Bühne hinter dem ersten Anschein zu sehen | |
| meinen. Die Amme etwa, die ihren Herrn als erste an der Narbe, die er von | |
| Kindheit an hat, erkennt, sieht dann, so wie auch wir im Saal, den jungen | |
| Odysseus von damals auf der Bühne. | |
| Odysseus hat noch einen weiteren, nur imaginierten Doppelgänger, der halt | |
| zwanzig Jahre jünger daherkommt als der reale Heimkehrer mit dem grauen | |
| Bart. Es ist ein faszinierendes Spiel, was die Regisseurin hier nicht | |
| treibt, sondern oft in Zeitlupenbewegungen geradezu zelebriert. | |
| Diese Denkräume sind nicht nur metaphorisch, sondern auch ganz real auf der | |
| Bühne von Raimund Orfeo Voigt. Zunächst sieht man im leeren Raum nur ein | |
| paar griechische Helden-Torsi. Zwischen ihnen schlendert Odysseus langsam | |
| wie in einem Museum seiner Erinnerungen, während eine alte Frau im | |
| Rollstuhl ganz langsam vorbeigeschoben wird. Sorge, ja Angst um seine | |
| verlassene Frau werden hier zum Bild. Und die dann durchdeklinierte Methode | |
| des Abends quasi eingeführt. | |
| ## Freie Haken im Schlachthaus | |
| Nach diesem Entree ziehen meistens diese Denk- und realen Räume kaum | |
| merklich von links nach rechts über die Bühne. Man sieht die Mägde des | |
| Hauses wie zu einem Berg Lumpen gehäuft. Penelope beim Weben. Die | |
| ehrgeizigen Freier. Ein Schlachthaus mit baumelnden Tierhälften und freien | |
| Haken für die Großmäuler. Auch hier die szenische Vorwegnahme: Sie hängen | |
| schon dort, während sie noch die Königin zu einem Jawort für einen aus | |
| ihren Reihen bringen wollen. | |
| Einen hübschen, stark bejubelter Gag gönnt sich Andrea Breth: Um die | |
| Leichtigkeit zu demonstrieren, mit der es Odysseus als Einzigem gelingt, | |
| seinen Bogen zu spannen, nimmt eine kopfstehende Akrobatin den Bogen und | |
| einen Pfeil mit den Füßen auf, schießt und trifft. Sie wird genauso | |
| bejubelt wie die mezzoeloquente, gefühlvolle Victoria Karkacheva als | |
| Pénélope, Brandon Jovanovich als Ulysse und durchweg alle anderen | |
| Protagonisten. | |
| Es ist ein Theater, bei dem sich szenisches Denken entfaltet und dabei | |
| zugleich nach innen, in die Vergangenheit oder eine erwünschte Zukunft | |
| blickt. Und das Faurés Musik genau den Raum lässt, um sich zu entfalten. | |
| Großartig. | |
| 21 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Joachim Lange | |
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