# taz.de -- Regisseurin Andrea Breth über "Wozzeck": "Das Ding knallt einem um… | |
> Eine der schönsten Inszenierungen an der Staatsoper Berlin ist Alban | |
> Bergs "Wozzeck". Ein Gespräch mit der Regisseurin Andrea Breth über | |
> Büchners Wortkompositionen und Inszenierungsklippen. | |
Bild: Szene aus Andrea Breths "Wozzeck". | |
taz: Frau Breth, Roman Trekel, der Wozzeck der Premiere, ist krank | |
geworden. | |
Andrea Breth: Das heißt, dass wir seit Dienstagabend klotzen wie die | |
Wahnsinnigen. | |
Was ist denn so schwer an dieser Figur? | |
Sie ist mental, aber vor allem psychisch sehr anstrengend, wenn man sie | |
ernst nimmt. Dann geht das sehr tief an die Gefühle, und wenn man sich auf | |
die einlässt, ist es nicht angenehm. Man kann es natürlich auch lassen und | |
einfach schön singen, aber das ist weder im Sinne von Büchner noch im Sinne | |
von Berg. | |
Der will das ja nicht immer nur schön gesungen zu haben. Das unterscheidet | |
sich gar nicht so sehr vom Schauspiel - und insofern ist eine | |
Schauspielregisseurin vielleicht ganz nützlich für die Sänger. Ich würde | |
den Wozzeck auch gar nicht "Oper" nennen. Es ist Musiktheater. | |
Das ist in ein stark ideologisch belastetes Wort. Warum ist "Wozzeck" keine | |
Oper? | |
Ich hab davon eine andere Vorstellung - und ich kann das gar nicht! Ich hab | |
die Vorstellung, dass man in der Oper nur mit Stand-bys arbeitet, weil | |
diese Superstars mal vier Tage vorher vorbeikommen und meinen, die Sache | |
sei damit erledigt. Wahrscheinlich interessiert die gar nicht, worum es | |
inhaltlich geht, und außerdem sitzen diese raffgierigen Agenturen dahinter, | |
die wollen, dass ihr Sänger in der Zeit, in der die anderen ackern, | |
vielleicht auch noch eine Modenschau macht. | |
Das ist der Opernbetrieb. Reden wir über das Stück von Alban Berg. Warum | |
ist das keine Oper? | |
Es gibt nur zwei Arien. Beide hat die Marie. Die anderen haben keine Arien. | |
Wenn nun auch noch der erste Handwerksbursch schön singt, ist alles kaputt. | |
Warum sollte der schön singen? Diese Figur ist so was von betrunken, der | |
Sänger muss das in die Stimme hineinnehmen - und es ist auch so komponiert. | |
Büchners Theaterstück haben Sie nie inszeniert. | |
Es hat mich nicht interessiert, weil ich die Oper kannte. Berg hat ein so | |
tiefes Verständnis für Büchner, und seine Fassung des Textes ist die beste, | |
die es gibt. Sie ist genial, und ich hab mir gesagt, wenn ich "Wozzeck" | |
überhaupt mache, dann nur die Oper. Diesen Wunsch hat mir Daniel Barenboim | |
freundlicherweise erfüllt. | |
Beklagen können Sie sich ja nun wirklich nicht. | |
Nein, keine Sekunde. Es ist wundervoll mit diesen Sängern und Daniel | |
Barenboim. | |
Ihre Inszenierung hat Pausen, in denen die Bühne schwarz ist und nur das | |
Orchester spielt. | |
Das steht bei Berg so. | |
Zu sehen war das bisher nie. | |
Das halte ich für einen absoluten Fehler. Auch ich habe das Stück ohne | |
Vorhang zwischen den Szenen gesehen, den Berg vorschreibt, und fand, dass | |
es lang wird und an Aggressivität verliert, weil man irgendetwas stumm | |
dazwischen inszeniert. Aber was soll das sein? | |
Ich habe alles Mögliche versucht, fand es blöd und hab dann noch mal genau | |
nachgeschaut: Der schreibt das Tempo für den Vorhang vor! Und wenn man das | |
macht, dann knallt einem das Ding um die Ohren. Was soll man denn zum | |
Beispiel am Schluss zu diesen 3 Minuten 24 Sekunden wunderbarer Musik | |
machen? Man nimmt sie nicht zur Kenntnis, wenn ich dazu irgendwelche | |
Schmonzetten inszeniere. Nicht dass ich das nicht kann, aber das ist schon | |
bei Büchner fast geschrieben wie eine Filmdramaturgie. Ein Stationendrama, | |
sehr holzschnittmäßig. | |
Das hat es vorher nicht gegeben, das ist eine Erfindung von Büchner, und | |
Berg war ja ein Filmfreak, der ging dauernd ins Kino und hat diese | |
Dramaturgie sehr trickreich übernommen. Die Dauer des Vorhangs ist | |
sekundengenau angegeben. Für mich war das eine richtige Beglückung: Dann | |
machen wir das doch genau so! | |
"Der Mensch ist ein Abgrund", singt Wozzeck, "es schwindelt einen, wenn man | |
hinabschaut." Bei Ihnen hat es mich nicht geschwindelt … | |
… dann habe ich etwas falsch gemacht! | |
Nein, im Gegenteil. Ihre klar abgegrenzten Einzelszenen schaffen Distanz | |
und zwingen zu einem sehr genauen Blick. Es sind schockierende | |
Beobachtungen, aber es geht nicht um moralische Urteile, auch der Hauptmann | |
und der Doktor sind nicht nur böse. | |
Aber was macht der Doktor mit Wozzeck? Berg wusste aus dem Krieg, was es | |
bedeutet, wochenlang nur Bohnen zu essen. Das ist doch furchtbar, das ist | |
Mengele, der KZ-Arzt! | |
Was macht Wozzeck mit Marie? | |
Ja, was macht er mit ihr, kurz vor dem Mord? Es ist die längste Szene, sie | |
braucht sehr viel Zeit, und ich finde, es ist der Versuch einer | |
Liebesszene. Würde sie doch sprechen! Er macht ihr dauernd Angebote. Man | |
kann das natürlich spielen wie einen Hitchcock: "Na, wie lang ist es denn | |
her, dass wir uns kennen?" | |
Aber das fände ich langweilig. Er gibt ihr Chance für Chance, und ich | |
glaube nicht, dass er sie abholt im Bewusstsein, sie umbringen zu wollen. | |
Dann müsste er nicht so viel mit ihr reden. Er würde mit ihr in die Ecke | |
gehen. Das kann man wunderbar inszenieren: Sie ist tot, er sagt etwas oder | |
auch nicht und geht ab. Aber warum nimmt sich Büchner - wie auch Berg - so | |
irrsinnig viel Zeit? Es ist sehr, sehr zart. "Was hast du, Franz?" "Nix" - | |
dann eine lange Pause - und dann erst ist Schluss. | |
Genau das ist bei Ihnen überaus klar zu sehen und zu hören. Trotzdem fehlt | |
die sonst übliche Anklage gegen die Gesellschaft. Der Hauptmann und der | |
Doktor sind lächerliche arme Teufel, die keinen vernünftigen Satz zustande | |
bringen. | |
Ich wollte keine Karikaturen haben, aber ich habe wirklich bis heute nicht | |
begriffen, warum Büchner den beiden einen solchen Raum gibt. Der Hauptmann | |
ist ein Hypochonder, aber auch wirklich krank, und der Doktor hat seine | |
fixen Ideen. Es sind traumatische Bilder. Gießen, dieses kleinkarierte | |
Deutschland mit seinen Grenzen. Das dreht sich alles im Kreis. Warum sagt | |
der Hauptmann dauernd: "Langsam"? Weil er niemanden zum Reden hat, außer | |
dem Wozzeck. All diese Gemeinheiten sind minim, und ich glaube, dass es die | |
Aufgabe des Theaters ist, gerade das zu zeigen. | |
Ihre Inszenierung ist so logisch zwingend, als hätten Sie dieses Stück | |
unbedingt auf die Bühne bringen müssen. Warum? | |
Es war nicht nur die liebenswürdige Frage von Daniel Barenboim, was ich | |
denn nach "Eugen Onegin" mit ihm gerne machen möchte. "Wozzeck", habe ich | |
gesagt, obwohl er den mit Patrice Chéreau schon gemacht hatte. Er war | |
trotzdem einverstanden. Das war vor vier Jahren, aber der Wunsch ist noch | |
älter. Das eine ist diese Geschichte einer grauenhaften Welt, die für mich | |
übertragbar ist als Lebensgefühl. | |
Der Kosmos eines so großen Kunstwerkes ist immer gültig. Man kann auch | |
nicht fragen, warum man den "Don Giovanni" macht. Man kann es ein Leben | |
lang versuchen und wird es nie erreichen. Das andere ist eine formale, | |
ästhetische Frage. Wie erwischt man das, was da sprachlich wie musikalisch | |
komponiert ist? Ich habe den Sängern heute gesagt, dass es die Noten auch | |
im Text gibt. Wie oft kommt das Wort "glänzend" vor? Oder "Stille": Erst | |
ist es "kurios still", dann "ganz still". Das sind schon bei Büchner | |
Wortkompositionen. | |
Die Sprache interessiert mich sowieso schon unglaublich, und wenn nun noch | |
ein Komponist wie Alban Berg diese Sprache so tief empfindet und | |
auskomponiert, habe ich das Gefühl, dass ich mit Sprechtheater nicht so | |
weit kommen kann. An diesen Miniaturen könnten wir jetzt noch wochenlang | |
herumdoktern. Aber dafür haben wir keine Zeit. | |
Nein, auf dem Spielplan steht schon "Lulu". Ist das auch so ein Wunsch von | |
von Ihnen? | |
Das hat mit der Freundschaft zu Daniel Barenboim zu tun. Er hat mir | |
großzügigerweise den "Wozzeck" geschenkt und möchte nun selber sehr gerne | |
"Lulu" mit mir machen. Das wird sehr schwierig, aber ich werde mir etwas | |
einfallen lassen. | |
26 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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