# taz.de -- Uraufführung der Oper „M“ in Berlin: Vorsicht, spielende Kinde… | |
> Der Mörder kann jetzt auch singen. Der Filmklassiker „M – eine Stadt | |
> sucht einen Mörder“ als Musiktheater an der Komischen Oper Berlin. | |
Bild: Die Kinder verfolgen ihn: „M“ in der Komischen Oper Berlin | |
Die drei Berliner Opern haben in dieser Saison vier Uraufführungen | |
produziert. Darüber hat die New York Times einen Artikel auf ihre erste | |
Seite gesetzt. Es begann mit Musik, die wirklich neue Horizonte hören ließ, | |
nämlich mit „Violetter Schnee“ von Beat Furrer. Leider hat der taube Claus | |
Guth das Werk an der Staatsoper mit einer Regie von vorgestern erstickt. | |
„Babylon“ am selben Haus war danach nur noch so neu wie der Leitartikel von | |
gestern. | |
Etwas besser erging es Theodor Fontane und seiner „Oceane von Parceval“ an | |
der Deutschen Oper. Hans-Ulrich Treichel hat aus der nie ausgeführten | |
Skizze des 200 Jahre alten Realisten ein gutes Theaterstück gemacht, aber | |
Detlev Glanert wollte mit seiner Musik einfach nur mindestens so laut sein | |
wie Richard Strauß. | |
Wenig Neues also. An der Komischen Oper stand mit „M – Eine Stadt sucht | |
einen Mörder“ das Denkmal des Tonfilms von Fritz Lang aus dem Jahr 1931 | |
bevor. Es klang eher nach einer Drohung als einem Versprechen. Aber es kam | |
anders. | |
## Oper, Revue, Singspiel? | |
Der Rückgriff auf die längst kanonische Klassik der Moderne war produktiv. | |
Am Sonntagabend, (4. Mai) war etwas zu hören und zu sehen, das es bisher | |
nicht gab. Ein Film wird zum Theater, das zunächst verwirrt und ratlos | |
macht, weil es so schwer einzuordnen ist. Ist es eine Oper, eine Revue, ein | |
Singspiel? Alles trifft ein wenig zu und passt doch nicht ganz. | |
Ungewohnt ist schon die Art und Weise, in der das Werk entstand. Moritz | |
Eggert hat etliche Opern geschrieben, außerdem Lieder, Ballett- und | |
Kammermusik. Aber Barrie Kosky hat keine neue Oper des 54 Jahre alten | |
Professors für Komposition an der Münchner Hochschule für Theater und Musik | |
inszeniert. Er hat sie mit ihm zusammen geschrieben. Sein Chefdramaturg | |
Ulrich Lenz half mit, und nur so wurde ein Kunstwerk möglich, das die | |
Konventionen des Geschäfts von Anfang an hinter sich ließ. | |
## Unbändige Theaterfantasie | |
Der Austausch von Ideen und Korrekturen muss intensiv gewesen sein. Dafür | |
sorgt sowieso die unbändige Theaterfantasie des studierten | |
Musikwissenschaftlers und Pianisten Kosky. Aber auch Eggert ist kein Freund | |
subventionierter Elfenbeintürme. Im Internet polemisiert er munter gegen | |
die Attitüden der Avantgarden. Selber hat er mit Jazz und Rock angefangen, | |
bevor er sich das große Ganze der übrigen Tonkunst angeeignet hat. | |
Melodien, Beats und Sounds sind seine Welt. | |
Das Problem, vor dem die drei Männer standen, war eigentlich unlösbar. Wer | |
den Film auch nur einmal gesehen hat, wird das Gesicht des jungen | |
Schauspielers Peter Lorre nie vergessen. Selber kindlich und sanft sieht | |
uns der Kindermörder an. Langs Kamerafahrten verlagern das Grauen, das von | |
ihm ausgehen sollte, in die Gesellschaft, die ihn umgibt, ihn hasst und | |
jagt bis hinunter in die Wirtshäuser der Ganoven. | |
Nichts, aber auch gar nichts davon ist auf einer Opernbühne vorstellbar. | |
Ist es doch, nur eben nicht als Film. Als Erstes musste Lorre singen | |
lernen. Bei Lang spricht er nur wenige Sätze. Kosky hat ihm Gedichte von | |
Langs Zeitgenossen Walter Mehring und Kinderlieder ausgesucht. Eggers hat | |
daraus kleine Balladen gemacht, die als Ruhepunkte das sonst unerbittlich | |
vorantreibende Verhängnis gliedern. Der Bariton Scott Hendricks singt sie | |
in der Rolle des M nicht nur sehr gut, er kann sie auch sehr gut spielen. | |
## Ein hilflos staunender Mann | |
Zu sehen ist ein hilflos staunender, einfacher Mann, der gar nicht zu | |
wissen scheint, was er getan hat. Vielleicht ist es ja auch nur eine | |
Einbildung, eine Art Albtraum, ausgelöst von den unzähligen Kindern, die | |
überall sind. Junge Kinder hüpfen herum, die „Himmel und Hölle“ spielen, | |
alte Kinder in Masken und Kleidern von Greisen und Müttern gehen vorbei, | |
Kinder tragen Polizeiuniformen, auch die ehrbaren Gangster, die das Monster | |
auf ihre Weise beseitigen wollen, sind nur Kinder. | |
Es ist immer noch Langs Unterwelt der Großstadt, nur hat sie jetzt andere | |
Bilder gefunden. Die Grundidee ist so einfach wie effektiv. Der | |
Kindermörder wird von Kindern gejagt, denn das lässt sich im Theater sehr | |
wohl spielen. Kosky läuft einfach nur zu seiner Normalform auf. Die Bühne | |
lebt, alles stimmt, auch das wildeste Geschrei und Getrampel hat seinen | |
genau ausgemessenen Platz. | |
Klaus Grünberg hat dazu ein minimalistisches Bühnenbild aus faltbaren | |
Wänden entworfen, die auf einem Laufsteg eine konstruktivistisch reduzierte | |
Stadt symbolisieren. Sie erinnert an die Moderne der 20er Jahre, zeigt sie | |
aber nicht. Das „Metropol“-Theater ist jetzt auch bei Kosky vergangen, und | |
Eggert möchte ohnehin gar nichts wiederauferstehen lassen. | |
Er packt energisch zu mit einem 12-stimmigen Kinderchor, der auch im Graben | |
sitzt, zusammen mit Synthesizern, E-Gitarre, Drumset, Streichern, Blech- | |
und Holzbläsern des universal begabten Orchesters dieses Hauses. Es klingt | |
alles unmittelbar, direkt, macht Tempo, ist frech, laut und so durchdacht | |
wie Koskys Theater, als sei alles nur ein Kinderspiel. Ist es eine Oper? | |
Vielleicht. Es ist auf jeden Fall sehr neu. | |
8 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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inszeniert. |