| # taz.de -- Biennale im norwegischen Stavanger: Empathie mit den Lachsen | |
| > Kreuzfahrtschiffe und Öl prägen Stavanger. Das Bewegtbilder-Festival | |
| > Screen City Biennale steigt am Fährhafen thematisch ein. | |
| Bild: Michelle-Marie Letelier, „Le Bone“, 2019: Installationsansicht bei de… | |
| Wenn sich die Realität zwischen Werk und Betrachter:in schiebt, wird Kunst | |
| oft noch besser. Bei der Screen City Biennale in Stavanger, einem Festival | |
| für „expanded moving images“, für Bewegtbilder im erweiterten Sinne also, | |
| für Video-, Media- und Sound-Art, kann das zum Beispiel in Form eines | |
| Kreuzfahrtschiffes passieren. Fast wirkt es so, als wolle Godzilla die | |
| Stadt einnehmen, wenn einer jener CO2-ausstoßenden Ungetüme dort in den | |
| schmalen Hafen einläuft. Gar nicht so unwahrscheinlich ist es, dass das | |
| genau dann geschieht, wenn man sich gerade im verglasten Cruise Terminal | |
| befindet, einem der Schauplätze der Biennale. [1][Rund 250 | |
| Kreuzfahrtschiffe] stehen 2019 für Stavanger auf dem Plan. | |
| Zweihundertfünfzig. | |
| „Ecologies – lost, found and continued“ lautet der Titel der diesjährigen | |
| [2][Screen City Biennale.] Er könnte kaum besser passen, in dieses Jahr der | |
| globalen Klimastreiks und in diese Stadt an der Südwestküste Norwegens mit | |
| ihren puppenstubenhübschen weißen Holzhäusern, in dem die Themen quasi mit | |
| dem Wasser an Land gespült werden. Nicht nur die Kreuzfahrtschiffe, sondern | |
| auch die Fische, [3][die Überfischung,] die Aquakulturen, und – natürlich �… | |
| das Öl. Wie keine andere Stadt Norwegens hat Stavanger vom Ölboom | |
| profitiert, der Ende der 1960er Jahre einsetzte. Stavanger wurde aufgrund | |
| seiner Lage zum [4][Zentrum des norwegischen Erdölbusiness]. Nur eine halbe | |
| Stunde dauert der Flug mit dem Helikopter zu den Plattformen. | |
| Auch die Familie Daniela Arriados, Gründerin und Direktorin der Biennale, | |
| brachte das Öl nach Stavanger. Arriado war drei, als sie von Chile nach | |
| Norwegen übersiedelten, ihr Vater hatte Arbeit auf einer Bohrinsel | |
| gefunden. Mittlerweile lebt die Kuratorin in Berlin. Screen City gründete | |
| sie 2013 dennoch in der Stadt ihrer Kindheit, weil sie dort Raum und | |
| Unterstützung für das fand, was ihr vorschwebte. | |
| ## Interventionen im Industrieareal | |
| Ihr hätte damals ein Format für die Art von Kunst gefehlt, die sie vor | |
| allem interessierte, sagt sie. Screen City begann 2013 mit Interventionen | |
| und Projektionen im Industrieareal am Rande der Stadt und auf leeren | |
| Schaufensterflächen. Alle zwei Jahre findet das Festival seitdem statt, | |
| seit 2017 als Biennale, seit 2015 mit übergreifenden Themen – auf „Arbeit�… | |
| folgte „Migration“ und jetzt eben „Ökologie“. | |
| Die Biennale sei ein Aufruf zum Handeln, damit wir eine bessere Zukunft | |
| erleben könnten, schreibt Arriado im Vorwort des Katalogs. Der Anspruch. | |
| den die beiden Kuratorinnen, neben Arriado ist das Vanina Saracino, an | |
| sich und ihr Festival stellen, ist hoch. Kann Kunst das überhaupt? | |
| Beziehungsweise was kann sie zum Diskurs über Klimawandel und Ökologie | |
| beitragen? | |
| Vielleicht ja das: Empathie. Michelle-Marie Letelier etwa fühlte sich für | |
| ihren Beitrag in Lachse ein. Letelier stammt aus Chile, arbeitet seit | |
| einiger Zeit immer wieder in Norwegen. Mit Lachsen beschäftigt sie sich, | |
| weil sie die beiden Länder verbinden: Chile und Norwegen sind die größten | |
| Zuchtlachsproduzenten der Welt. Bei ihrer Recherche stieß sie auf einen | |
| Lachsschädel, überlegte erst, ihn in 3-D zu drucken, entschied sich dann | |
| aber dagegen, weil es bedeutet hätte, einen Berg an Plastik zu produzieren. | |
| Stattdessen kann man in den Schädel nun in einer Virtual Reality eintauchen | |
| und dabei mal einem wilden Lachs, mal einem in Gefangenschaft der Farmen | |
| lebenden lauschen. | |
| ## Lokale Verbundenheit | |
| Eine der größten Stärken der Screen City Biennale ist ihre lokale | |
| Verbundenheit. Zum Eröffnungswochenende kamen zwar durchaus internationale | |
| Gäste, während der Laufzeit sind es in großer Mehrzahl jedoch Menschen aus | |
| der Region, die sich die Installationen ansehen, auch weil sie darauf | |
| gestoßen werden, am Fährhafen zum Beispiel, in der Domkirche oder im | |
| Ölmuseum. | |
| Sie wolle alle langsam dazu zwingen, über Ökologie zu reden und über ein | |
| Leben nach dem Öl, sagt Arriado. Es ist ein sensibles Thema in Stavanger, | |
| Arriado spricht von Undankbarkeit, die die Generation ihrer Eltern | |
| empfände, und von eigenen Kindheitserinnerungen. Erdöl ist in Stavanger | |
| nichts Abstraktes, sondern etwas sehr Persönliches. | |
| Das spürbar zu machen, schaffte an den Eröffnungstagen die dreistündige | |
| Soundarbeit von Enrique Ramírez auf einer Fahrt mit dem Touristenschiff | |
| „Rødne Fjord Cruise“. Ramírez interviewte Menschen aus der Region, | |
| Arbeiter:innen, Politiker:innen, Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen, | |
| mischte deren Aussagen mit dem Puls des „erdölbetriebenen Organs“, als das | |
| er das Schiff bezeichnet. Der Sound, dem man auf Kopfhörern lauschte, und | |
| die dramatische Kulisse der Fjordlandschaft wurden zu einem wahrhaft | |
| kinematografisches Erlebnis zusammengefügt. | |
| Kunst wie die von Ramírez oder Letelier kann etwas beitragen, weil sie | |
| Fragen aufwirft, Nähe erzeugt, berührt. Man müsste noch viele mehr nennen, | |
| das virtuose Video des italienischen Kunstkollektivs Flatform „That which | |
| is to come is just a promise“ von der vom Versinken bedrohten Insel | |
| Funafuti etwa, Kristina Õlleks Installation „Nautilus New Era“, die von | |
| Deep Sea Mining und dessen mediale Vermittlung handelt, Oliver Resslers | |
| Videos über Aktivist:innen. | |
| Ebenso entscheidend ist aber, dass auch die Biennale selbst sich bemüht, | |
| alles richtig zu machen: verschickte nur wenige Einladungen für Gäste, die | |
| per Flugzeug anreisten, programmierte dafür eine Onlineausstellung, sorgte | |
| für fleischfreies Catering, achtete auf nachhaltige Materialien, pflanzt | |
| für jedes verkaufte Ticket zusammen mit der Organisation „Plant for the | |
| Planet“ einen Baum. So kann es gehen. Das Beispiel sollte Schule machen. | |
| 22 Oct 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Aktivist-ueber-Kreuzfahrt-Protestaktionen/!5606497 | |
| [2] http://2019.screencitybiennial.org | |
| [3] /Klimawandel-in-der-Nordsee/!5619880 | |
| [4] /Wegbrechende-Einnahmen-in-Norwegen/!5222192 | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Scheder | |
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