# taz.de -- Landtagswahl in Thüringen: Schnuppern erlaubt | |
> Nach den Wahlen feiert sich Thüringens Linke-Chef Bodo Ramelow. Die Frage | |
> ist, wie lange. Mit der CDU dürfte eine Zusammenarbeit schwierig werden. | |
Bild: Mike Mohring und Bodo Ramelow am Wahlabend im Fernsehstudio | |
So ausgelassen, so befreit hat man [1][Bodo Ramelow] in den letzten Wochen | |
und Monaten kaum gesehen. Nach 22.30 Uhr am Sonntagabend, als alle | |
Wahlkreise ausgezählt sind, tanzen der Thüringer Ministerpräsident und | |
seine GenossInnen in der Halle eines still gelegten Erfurter Güterbahnhofs | |
zu „Zusammen“ von den Fantastischen Vier. In diesem Moment steht zwar fest, | |
dass die rot-rot-grüne Regierung in Erfurt keine Mehrheit mehr hat. Aber | |
Scheiß drauf: Die Linke hat bei der Landtagswahl abgeräumt, sie steht als | |
Wahlsiegerin fest, mit 31 Prozent. Zum ersten Mal in 30 Jahren stärkste | |
Partei. Yeah! | |
Am Montagmorgen ist der Rausch noch da, doch die Leichtigkeit ist dahin. | |
Denn ab nun wird es anstrengend und unübersichtlich in Thüringen. Ramelows | |
Linke ist Wahlsiegerin, aber Thüringen steht vor einem Dilemma. Keine der | |
klassischen Konstellationen ergibt eine stabile Mehrheit. Rot-Rot-Grün? | |
Bleibt vier Stimmen unter der absoluten Mehrheit. Jamaika? Reicht nicht. | |
Groko? Vielleicht, wenn man das Wort farblich neu interpretiert. Die | |
Linkspartei von Ramelow und die Thüringer CDU – wäre das nicht die erste | |
ostdeutsche Groko? Zumindest Staatskanzleichef Benjamin Hoff, Linke, lässt | |
diesen Begriff am Montagmorgen im Gespräch fallen. Wie einen Stein ins | |
tiefe Wasser. Mal sehen, welche Kreise er zieht. | |
In Berlin steht am Montagmittag ein sichtlich müder [2][Mike Mohring] neben | |
seiner Parteivorsitzenden. Die Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus ist | |
für ihn alles andere als vergnügungsteuerpflichtig. Mohring, gestauchter | |
Thüringer Spitzenkandidat, hat in den zurückliegenden Stunden Präsidium und | |
Bundesvorstand davon zu überzeugen versucht, dass es eine Frage der | |
Vernunft – und der politischen Machtoptionen – wäre, wenn er sich mit Bodo | |
Ramelow mal unterhält. Er finde, sagt er, „die CDU hat einen Auftrag, | |
verantwortlich mit dem Ergebnis umzugehen“. | |
Annegret Kramp-Karrenbauer sieht das deutlich anders. Ihre Partei hat erst | |
vor einem Jahr einen Unvereinbarkeitsbeschluss sowohl mit der Linken als | |
auch mit der AfD gefasst. Geradezu selbst kasteiend sind ihre Einlassungen | |
an diesem Montag, wie wenig hilfreich die Bundespartei für die ostdeutschen | |
Wahlkämpfer gewesen sei. Aber nun ja, sie nehme „zur Kenntnis“, wenn | |
Mohring Ramelows Gesprächswunsch nachkäme. Mohring kriegt erst mal seinen | |
Willen. | |
## Demokraten sprechen | |
Drei Kilometer Luftlinie entfernt, rekelt sich zur selben Stunde Bodo | |
Ramelow vor der versammelten Hauptstadtpresse auf seinem Sessel wie ein | |
zufriedener Kater. Gespräche mit der AfD schließt er explizit aus. Aber | |
sonst: „Demokraten reden miteinander und das sollten wir tun. In diesen | |
Gesprächen wird dann entschieden, ob es zu stabilen Mehrheiten kommt.“ | |
Das Plazet seiner Bundesvorsitzenden hat er. Katja Kipping und Bernd | |
Riexinger haben bereits klargemacht, dass sie den Thüringern nicht | |
vorschreiben werden, mit wem sie eine Regierung bilden: Es gehe gar nicht | |
um Farben, sondern ausschließlich um Inhalte, so Riexinger. Hört, hört. | |
Ramelow spult gleich mal ein paar Vorschläge ab, wie sein kleines Thüringen | |
künftig bürgernäher werden könne. Mehr direkte Demokratie, das Wahlalter | |
auf 16 Jahre senken und Volksabstimmungen zu Gesetzen, die der Landtag | |
zuvor verabschiedet hat, sogenannte fakultative Referenden. Gleich zweimal | |
lobt Ramelow den entsprechenden Vorschlag „von Herrn Mohring“. Alle diese | |
Reformen können ohnehin nur mit einer verfassungsändernden | |
Zwei-Drittel-Mehrheit vom Landtag verabschiedet werden. Ramelow schiebt | |
gleich noch hinterher, dass er eine „zügige“ Wahl zum Ministerpräsidenten | |
im Landtag anstrebe. | |
Macht hier einer die Tür ganz weit auf? Nein, höchstens ein Fenster. Denn | |
zu Gesprächen mit möglichen Koalitionären lädt nicht der Ministerpräsident | |
ein, sondern die Partei. Und da machte Ramelow klar, dass Mohring nicht mal | |
schnell über den Balkon zu ihm in die Staatskanzlei steigen kann. „Das muss | |
meine Partei entscheiden.“ | |
## Mohring sei ein Zocker | |
Seine Chefin, wie Ramelow betont, die Vorsitzende der Thüringer Linkspartei | |
Susanne Hennig-Wellsow, sitzt neben ihm und versichert:. „Wir sprechen | |
Einladungen an alle demokratischen Parteien aus.“ Noch am Montagabend | |
treffe sich der Landesvorstand, um das formal zu beschließen. Glücklich | |
sieht sie dabei nicht aus. | |
Die Linke in Thüringen traut Mohring nicht so recht. Er sei ein Spieler | |
heißt es, ein Zocker. Man könne mit ihm nicht seriös verhandeln. Es gehe | |
ihm nicht um Inhalte, sondern nur um sich selbst. Dieses Motiv vermutet man | |
auch hinter seiner aktuellen Offerte. Mohring will sich retten – zur Not in | |
eine Koalition mit der Linken. | |
Die Frage ist, ob das so zutrifft. Ja, Mike Mohring hat vor fünf Jahren die | |
CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht wegintrigiert. Und | |
möglicherweise hat er damals tatsächlich mit der Landes-AfD ausgelotet, wie | |
ein Ministerpräsident Ramelow noch verhindert werden könnte. Aber würde er | |
im Jahr 2019 für die persönliche Eitelkeit die geballte Kritik der eigenen | |
Partei, gar den Machtverlust riskieren? Noch vor der montäglichen | |
Präsidiumssitzung in Berlin hatte er erklärt: „Mir sind stabile | |
Verhältnisse wichtiger für das Land, als dass es nur um parteipolitische | |
Interessen geht.“ Und weiter, mit Verweis auf das Ausschlussgebot: „Ich | |
brauche nicht Berlin, um zu wissen, was für Thüringen wichtig ist.“ | |
In der Gremiensitzung soll Mohring dann ultimativ grünes Licht für | |
ergebnisoffene Gespräche mit Ramelow – nicht mit dessen Partei – gefordert | |
haben. Und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak soll wie bereits am Wahlabend | |
auf den Unvereinbarkeitsbeschluss verwiesen haben. Mohrings Vehemenz mag | |
auf die Parteifreunde auch deshalb irritierend gewirkt haben, als ein Minus | |
von mehr als elf Prozentpunkten nicht einzig am starken linken | |
Ministerpräsidenten gelegen haben kann, sondern eben auch am Angebot der | |
Landes-CDU. | |
## Die Unruhe spaltet | |
Der Streit im Bundesvorstand war offenbar so heftig, dass der Chef der | |
Jungen Union gleich noch eine Breitseite gegen die Parteivorsitzende fuhr | |
und vor versammelter Mannschaft den Führungsanspruch von Annegret | |
Kramp-Karrenbauer in Frage stellte. Wer jetzt schon gegen ihren Willen die | |
Frage der Kanzlerkandidatur klären wolle, solle auf dem Bundesparteitag | |
Ende November in Leipzig für Mehrheiten werben, sagt sie dazu in der | |
Pressekonferenz. Sie habe darauf verwiesen, dass es in der CDU immer so | |
gewesen sei, dass der Parteivorsitz und das Kanzleramt „in einer Hand“ | |
gelegen hätten – „und zwar aus gutem Grund: Weil dann, wenn das nicht der | |
Fall ist, man die Unruhe spürt, die wir zur Zeit auch in der Partei haben.“ | |
„Die Unruhe“ ist genau das, was die früher mal so breitbeinige CDU aktuell | |
so wacklig erscheinen lässt. Sie ist auch einer der Gründe für die 11,7 | |
Prozentpunkte Verlust der Thüringer CDU. Deren Spitzenkandidat schaut alles | |
andere als erfreut, als seine Vorsitzende sich in für ihre Verhältnisse | |
knurrigem Ton zu den Führungsinterna und der Lage innerhalb der Großen | |
Koalition in Berlin äußert. Mike Mohring bräuchte jetzt Unterstützung für | |
Thüringen, vielleicht für eine Minderheitsregierung in Erfurt. Er bräuchte | |
Antworten auf Fragen nach der Grundrente, nach erneuerbaren Energien oder | |
guter Bildung. Hier in Berlin bekommt er sie offensichtlich nicht. | |
Gefragt, wo in Gesprächen mit Bodo Ramelows Linker seine rote Linie | |
verlaufen würde, schaut er aus dunklen Augen und sagt: „Ich gehe mit | |
offenem Herzen da hin und höre mir das Gespräch an.“ Bodo Ramelow wird ihm | |
schon was erzählen. | |
28 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Anja Maier | |
Michael Bartsch | |
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