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# taz.de -- Minderheitsregierung in Thüringen: Für Experimente ist es zu ernst
> Nach der Wahl wird über eine Minderheitsregierung in Thüringen sinniert.
> Das ist gefährlich: Wer das Parlament stärkt, stärkt die AfD gleich mit.
Bild: Minderheitsregierung – für Bodo Ramelow der sanfte Zwang zum Kompromiss
Nach der Landtagswahl in Thüringen strebt Ministerpräsident Bodo Ramelow
eine Minderheitsregierung an. [1][Ein solches Modell würde bedeuten, dass
seine Regierung auch ohne Mehrheit im Parlament weiterregieren würde]. Für
die Umsetzung von Gesetzesvorhaben wäre sie auf Stimmen von CDU oder FDP
angewiesen, die sie sich entweder für jedes Vorhaben einzeln suchen müsste
oder durch entsprechende Vereinbarungen permanent absichern könnte.
Minderheitsregierungen verheißen Demokratisierung und Stärkung des
Parlaments. Im Bundestag gab es beispielsweise lange Zeit rechnerisch eine
Mehrheit von SPD, Linken und Grünen, doch die SPD koalierte als
Juniorpartner in einer Großen Koalition. Das führte zu der paradoxen
Situation, dass es für viele Reformprojekte (wie etwa eine
Bürgerversicherung oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes) eine
theoretische parlamentarische Mehrheit gab, diese aber nie real zustande
kam, weil die SPD an die Koalition mit der CDU gebunden war.
Man traut sich kaum vorzustellen, was mit einer Merkel-Minderheitsregierung
und einer rot-rot-grünen Mehrheit im Parlament alles möglich gewesen wäre.
Das Parlament entscheidet ganz ohne Koalitionszwang: In normalen Zeiten
eine fabelhafte, verlockende Vision, womöglich gar ein Fest der
parlamentarischen Demokratie.
Doch die Zeiten sind nicht normal, insbesondere in Thüringen nicht. Denn
dort sitzt die AfD als zweitstärkste Kraft im Parlament. Wer in einer
solchen Situation durch eine Minderheitsregierung das Parlament stärkt,
stärkt die AfD gleich mit. Eine Minderheitsregierung gäbe dem
Rechtsextremen Björn Höcke und seinen demokratiefeindlichen Kameraden reale
politische Macht. Selbst dann, wenn man diese nicht um Stimmen für
rot-rot-grüne Gesetzesvorhaben bitten würde.
## Wackliges Mandat
Gerne wird in Diskussionen um Minderheitsregierungen auf skandinavische
Länder rekurriert; dort sind solche Regierungen nicht die Ausnahme, sondern
die Regel. Ramelow selbst etwa verweist auf Dänemark. [2][Doch die aktuelle
sozialdemokratische Regierung in Dänemark wird von linken, linksliberalen
und grünen Parteien toleriert.] Es gibt dort eine parlamentarische
Mehrheit links der Mitte. Das ist in Thüringen nicht der Fall. Dort hätten
AfD, CDU und FDP eine Mehrheit gegen Rot-Rot-Grün.
Zwar könnte eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung Dinge beschließen, die
unbedingt notwendig sind. Wenn es um Unverzichtbares wie
Rundfunkstaatsverträge, Maßnahmen gegen den Mangel an Lehrkräften und
dergleichen geht, könnte man CDU und FDP wohl Verantwortung abringen. Doch
wirklich gestalten könnte eine solche Regierung kaum noch, während der
Ministerpräsident mit seinem wackligen Mandat auf Bundesebene weniger für
sein Land rausholen könnte.
„Den sanften Zwang zum Kompromiss“ [3][nennt Ramelow das im Gespräch mit
dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.] Einen Haushalt für das nächste Jahr
hat man vorsorglich ohnehin schon beschlossen, man könnte also wohl eine
Weile weitermachen. Doch nicht nur die Regierung kann Gesetzesvorhaben
einbringen, sondern auch die anderen Parteien.
## Das Chaos stärkt die AfD
Und diese machen ihre Initiativen nicht davon abhängig, wer ihnen zustimmen
könnte. Brächte die CDU einen Antrag ein – etwa zu Abschieberegelungen oder
zu Themen der inneren Sicherheit –, wäre es denkbar, dass FDP und AfD
zustimmen. In dem Fall müsste die Regierung Ramelow sich zwei unangenehmen
Optionen stellen: Entweder sie setzt die tendenziell rechte Politik gemäß
Parlamentsbeschluss um oder sie missachtet die Demokratie.
Das ist das zwangsläufige Dilemma einer möglichen rot-rot-grünen
Minderheitsregierung. Für beide Optionen wurden die drei Parteien nicht
gewählt. Genau genommen wurde Rot-Rot-Grün gar nicht gewählt, sondern
abgewählt. Dieser Wahrheit muss man sich stellen. Das Ablaufdatum eines
Minderheitsmodells wäre daher auch ungewiss. CDU und FDP könnten schon die
nächsten Haushaltsverhandlungen zum Anlass nehmen, Ramelow zu stürzen und
Neuwahlen zu provozieren.
Aus dem folgenden Chaos könnte die AfD gestärkt hervorgehen, schließlich
wären es die verhassten Etablierten, die nichts auf die Kette kriegten. Die
Situation in Thüringen ist zu ernst für demokratiepolitische Experimente,
die die AfD nicht nur unmittelbar, sondern womöglich auch langfristig
stärken würden.
30 Oct 2019
## LINKS
[1] /Landtagswahl-in-Thueringen/!5633599
[2] /Minister-ueber-Thueringen-Wahl/!5636387
[3] https://www.tagesspiegel.de/politik/rot-rot-gruen-in-thueringen-ohne-mehrhe…
## AUTOREN
Alexander Nabert
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