# taz.de -- CDU und AfD im Kommunalen: Frankensteins unmögliche Koalition | |
> In einer pfälzischen Gemeinde kooperieren CDU und AfD. Die Geschichte des | |
> Ehepaars Schirdewahn und einer Siedlung ohne Wasseranschluss | |
Bild: Sie CDU, er AfD: die Eheleute Monika und Horst Schirdewahn | |
Frankenstein taz | Die erste Fraktionsgemeinschaft aus AfD und CDU | |
erscheint vollzählig vor dem Parteischiedsgericht. Monika Schirdewahn (CDU) | |
und ihr Mann Horst (AfD) betreten Hand in Hand die CDU-Bezirkszentrale im | |
pfälzischen Neustadt, als ginge es zum Standesamt und nicht zum | |
Parteiausschlussverfahren. | |
Es ist ein kurzer Prozess. Das Fraktions-Ehepaar verlässt die | |
nichtöffentliche Sitzung nach nur 15 Minuten wieder. Der Vorsitzende des | |
dreiköpfigen Parteigerichts erklärt eine Stunde später, Monika Schirdewahn | |
habe gegen die Grundsätze der Partei verstoßen, als sie im Gemeinderat von | |
Frankenstein eine Fraktionsgemeinschaft mit der AfD gebildet habe. Das | |
Gremium habe einstimmig entschieden. Monika Schirdewahn wird aus der CDU | |
ausgeschlossen. | |
Ist das das Ende von „Frankensteins Koalition“, der ersten offiziellen | |
Zusammenarbeit einer CDU-Politikerin mit der AfD, die es damit bis in die | |
ehrwürdige New York Times geschafft hat? Dem kurzen Prozess von Neustadt | |
könnte ein langer, quälender durch die Instanzen folgen. Denn fürs | |
Nachgeben ist das Ehepaar Schirdewahn nicht bekannt. Und eigentlich ist die | |
unheilige Allianz von AfD-Schirdewahn mit CDU-Schirdewahn nur der | |
vorläufige Höhepunkt einer Provinzposse, die viel älter ist als die AfD. | |
Sie erzählt einiges darüber, was passieren kann, wenn sich etablierte | |
Parteien an der Basis zurückziehen. | |
950 Einwohner, eine historische Burgruine, ein Reifenhändler und ein paar | |
Geschäfte, dazu ein Bahnanschluss – aus viel mehr besteht das Örtchen | |
Frankenstein nicht. Im vergangenen Jahr wurde die Grundschule geschlossen. | |
Zu wenige Schüler, sagte das SPD-geführte Kultusministerium. Eine | |
Willkürentscheidung, sagt Frankensteins Ortsbürgermeister Eckhart Vogel von | |
den Freien Wählern. Denn fast alle anderen Zwergschulen im Land seien | |
unangetastet geblieben. Kultusministerin Stefanie Hubig (SPD) habe sich nie | |
einer Diskussion in Frankenstein gestellt. | |
## SPD löst sich auf, CDU auferstanden, AfD ganz neu | |
Bei der Gemeinderatswahl in diesem Jahr hat die SPD dann keine Liste mehr | |
aufgestellt, altgediente Mitglieder waren nach der Schulschließung | |
ausgetreten, keiner aus der Landespartei hat versucht, sie aufzuhalten. | |
Frankenstein wäre zum Einparteiensystem aus Freien Wählern geworden, wären | |
da nicht die Schirdewahns angetreten. Die CDU hatte zuletzt vor 15 Jahren | |
einen Sitz im Rat. Die AfD gab es bisher nicht. Im letzten Jahr hat dann | |
zuerst Monika Schirdewahn mit ihrem Parteieintritt die bis dahin scheintote | |
Frankensteiner CDU wiederbelebt. Kurz vor dem Meldeschluss verkündete dann | |
auch ihr Mann Horst seine Kandidatur – für die AfD. | |
Nun wählt man in Frankenstein nicht wegen großer Arbeitslosigkeit den | |
Protest oder weil man hier vom öffentlichen Nahverkehr abgeschnitten wäre. | |
Frankenstein ist nicht abgehängt, eher eine Schlafstadt für Leute die mit | |
der S-Bahn nach Kaiserslautern oder Ludwigshafen zu gut bezahlten Jobs | |
pendeln. | |
Das Thema, das die AfD-CDU-Allianz ermöglicht hat, klingt wie ein | |
abgeschmackter Wild-West-Plot: Es geht um Grundstücke und das Recht auf | |
Wasser in einem kleinen Seitental. Die Schirdewahns kämpfen seit Jahren für | |
den Wasseranschluss in ihrer Siedlung im Schliertal. Sie haben noch von | |
keinem Gericht recht bekommen, glauben aber für ein Menschenrecht | |
einzutreten. | |
## Der Zankapfel: ein Tal ohne Wasseranschluss | |
Ins Schliertal geht es vor dem Frankensteiner Ortsschild gleich rechts über | |
einen holprigen Wirtschaftsweg ohne Laternen und Befestigungen. 100 | |
Menschen leben hier auf großzügigen Grundstücken, ziemlich nah an der | |
Natur. Datschen, Häuschen, manchmal ganze Anwesen reihen sich am Weg | |
entlang. Manche Schliertaler sind hier nur am Wochenende, andere sind | |
längst ganz hergezogen, obwohl das nicht ganz legal ist. Eines haben hier | |
alle Bewohner gemeinsam: Das Wasser kommt nur dann aus dem Hahn, wenn die | |
Bewohner vorher auch ihre Tanks gefüllt haben. | |
Markus Frenkel zeigt den 3.000 Liter fassenden Wassertank im Keller seines | |
Hauses. Frenkel heißt eigentlich anders, will seinen Namen aber nicht in | |
der Zeitung lesen. Sonst gäbe es Ärger im Ort, sagt er. Er lebt mit seiner | |
Frau und Sohn auf drei Stockwerken. Garage, Veranda, Garten und auch sonst | |
alles dabei, was sich ein Häuslebauer wünscht. Nur eben keinen Anschluss an | |
die örtliche Wasserversorgung. | |
Regelmäßig fährt er deshalb mit einem Kanister auf dem Anhänger zu seinem | |
Cousin, bei dem er Wasser zapfen kann. Der Kanister im Keller reicht zwei, | |
drei Monate, sagt er, „wenn der Kleine nicht jeden Tag badet“. Für | |
Waschmaschine und Toiletten nutzt die Familie Regenwasser. Eigentlich gebe | |
es eine Wasserentnahmestelle im Tal, erzählt Frenkel. Aber die gehöre einem | |
Nachbarn, der nicht jeden zapfen lässt. Frenkel nennt ihn den „Wassergott“, | |
von dem er nicht abhängig sein will. | |
Markus Frenkel fühlt sich von der Verwaltung hinters Licht geführt. Ja, er | |
habe gewusst, dass das Schliertal kein echtes Baugebiet sei, und hier nur | |
Wochenendhäuser zugelassen seien, sagt er. Aber als er sich damals in den | |
1990ern entschieden habe, sein Haus auf das Familiengrundstück im | |
Schliertal zu bauen, habe ihm der damalige Bürgermeister versprochen, dass | |
sich das bald ändert und dass das Schliertal ans Wassernetz angeschlossen | |
wird. Schriftlich hat Frenkel das allerdings nicht. | |
„Wasser ist ein Menschenrecht“, schreibt Monika Schirdewahn, in einer Mail | |
an die taz. „Die Sicherung dieses Zugangs sei eine Kernaufgabe staatlicher | |
Daseinsvorsorge.“ Sie führt die Vereinten Nationen ins Feld. Man kann mit | |
ihr leider nicht darüber sprechen. Seit dem Parteiausschlussverfahren | |
beantworten die Schirdewahns Pressefragen nur per Mail. Aber klar ist, dass | |
das Ehepaar die meisten ihrer insgesamt 110 Stimmen bei der | |
Gemeinderatswahl wegen der Wasserfrage erhalten hat. | |
## Ortsbürgermeister Vogel und drei Aktenordner | |
Eckhard Vogel hat drei Aktenordner mitgebracht, voll mit Eingaben, Klagen, | |
Beschwerden und Flugblättern, alle von Horst Schirdewahn. Er schiebt zwei | |
Schultische zusammen, damit er alles, womit ihm der jetzige AfD-Gemeinderat | |
schon seit Jahren das Leben schwer macht, ausbreiten kann. | |
Ortsbürgermeister Vogel hält ein Flugblatt in die Höhe, unterzeichnet von | |
Horst Schirdewahn: „Mir ist bekannt,“ schreibt er da, „dass aufgrund mein… | |
Rufs in der Ortsgemeinde einige dieses Schreiben direkt vernichten werden.“ | |
Neuer Höhepunkt der Attacken gegen Vogel ist ein anonymes Flugblatt. Dort | |
wird ihm vorgeworfen, er habe jahrelang eine zu hohe Aufwandsentschädigung | |
für sein Amt als ehrenamtlicher Bürgermeister bezogen. Es folgten | |
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, die mittlerweile eingestellt sind. | |
Vogel ist sich sicher, woher auch dieses Flugblatt kommt. Er hat | |
seinerseits Anzeige wegen übler Nachrede gegen Horst Schirdewahn gestellt. | |
Krawall hin, AfD her, kann man diesen Konflikt nicht aus der Welt schaffen | |
und das Schliertal an die Wasserversorgung anschließen? Eckhard Vogel | |
schnauft tief durch. Er hat diese Frage schon so oft beantwortet. Das | |
Schliertal sei von Anfang an, seit den 1970er Jahren, als | |
Wochenendhaus-Gebiet geplant gewesen, erklärt er, „dauerhaftes Wohnen war | |
nie vorgesehen und nie erlaubt“. Dass sich da mancher ein ganzes Anwesen | |
aufs Grundstück gesetzt habe, ändere nichts daran. Diese Einschätzung wird | |
von zwei Verwaltungsgerichtsurteilen unterstützt. Die Schirdewahns waren | |
2014 damit gescheitert, einen Wasseranschluss gerichtlich zu erzwingen. | |
Wahrscheinlich könne man das Schliertal heute gar nicht mehr in ein | |
Wohngebiet umwidmen, sagt Vogel, denn es sei längst als Biosphärenreservat | |
ausgewiesen. Davon ganz abgesehen sei für die meisten im Tal alles in | |
Ordnung, wie es ist. Die Schirdewahns hätten bei weitem nicht alle | |
Schliertaler hinter sich. | |
## Der CDU-Parteiausschluss: Das kann dauern | |
Marcus Klein will nicht entscheiden, wer an dem Konflikt im Schliertal | |
Schuld hat. Er ist Kreisvorsitzender der CDU, seit Kurzem | |
rheinland-pfälzischer Landtagsabgeordneter und hat das | |
Parteiausschlussverfahren gegen Monika Schirdewahn auf den Weg gebracht. | |
Nein, er habe Monika Schirdewahn vor ihrem Parteieintritt nicht gekannt, | |
sagt er. Aber selbst wenn, hätte es keinen Grund gegeben, sie nicht in die | |
CDU aufzunehmen. Mit der Siedlung im Schliertal sei in der Vergangenheit | |
sicher etwas schiefgelaufen, gibt Klein zu. Klar sei aber auch, „dass die | |
Bewohner heute der Räumung näher stehen als dem Wasseranschluss“. Für ihn | |
ist der Fall klar, Monika Schirdewahn muss die Partei verlassen. Aber Klein | |
weiß auch, dass „es gar nicht so einfach ist, ein Parteimitglied | |
auszuschließen“. | |
Auch seine ungeliebte Parteifreundin ist sich dieser Tatsache bewusst. Sie | |
hat schon angekündigt, Beschwerde beim Landesparteigericht einreichen. | |
Monika Schirdewahn schreibt in ihrer Mail: „Natürlich werde ich | |
weitermachen.“ | |
6 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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