# taz.de -- Mietendeckel und Enteignung: Berlin brennt, Hamburg pennt | |
> Die Hauptstadt debattiert über den Eingriff in Eigentumsrechte auf dem | |
> Wohnungsmarkt. In Hamburg ist Ruhe die erste Politikerpflicht. | |
Bild: Eigentumsfrage, gestellt auf einem Transparent in Prenzlauer Berg. So wei… | |
HAMBURG taz | Die ganze Republik guckt nach Berlin. Die rot-rot-grüne | |
Hauptstadtregierung hat in Sachen Mietenpolitik in den letzten Wochen | |
[1][Gesetzesentwürfe vorgestellt], die so stark in den wild gewordenen | |
Markt eingreifen, dass profitorientierte Eigentümer*innen und | |
Spekulant*innen in Panik verfielen. | |
Auf Seiten der Mieter*innen kamen Erinnerungen zurück: Man hatte schon fast | |
vergessen, dass Regierungen zu solchen starken Martkeingriffen in der Lage | |
sind und dass Wohnen ein Menschenrecht ist. Die Wohnsituation könnte sich | |
für die Berliner*innen in naher Zukunft deutlich entspannen. | |
Und in Hamburg? Tut sich wenig. Dabei gibt es die Probleme, eine bezahlbare | |
Wohnung zu finden, hier schließlich auch, und zwar nicht erst seit gestern. | |
Hamburger*innen haben sogar schon viel länger mit der [2][Verdrängung von | |
Gering- und Normalverdiener*innen] aus dem Stadtzentrum zu kämpfen. | |
Auch in Hamburg brennt die Hütte, doch die Politiker*innen bemühen sich | |
nach Kräften zu verhindern, dass die progressiven Berliner Vorschläge in | |
die Hansestadt überschwappen. Als die Berliner linke | |
Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher im Mai verkündete: „Der | |
Mietendeckel kommt“, reagierten die mitregierenden Hamburger Grünen mit dem | |
Vorschlag, nette Vermieter*innen, also solche, die nicht ganz so skrupellos | |
agieren wie die Durchschnitts-Vermieter*in, [3][mit Steuergeschenken zu | |
belohnen]. Das Vorhaben versandete zum Glück. | |
Und während in Berlin der Mietendeckel vielen Aktivist*innen nicht weit | |
genug geht und sie als eigentliches Ziel die Enteignung von | |
Wohnungskonzernen ansteuern, kündigt Hamburg eine Bundesratsinitiative an: | |
Man wolle lieber auf Nummer sicher gehen, statt ein so windiges Instrument | |
einzuführen wie den Mietendeckel, gegen den sicher geklagt werde, | |
argumentiert der rot-grüne Hamburger Senat. Und schlägt vor, die bislang | |
völlig wirkungslose [4][Mietpreisbremse nachzujustieren]. | |
Anstatt dass Mieter*innen erst ab dem Zeitpunkt einer Rüge die überhöhte | |
Miete von ihrem Vermieter zurückverlangen können, sollen sie diese | |
zukünftig seit dem Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung zurückbekommen. Das | |
wäre eine kleine Verbesserung. Die Betonung liegt auf klein. Denn den | |
Vermieter*innen drohen keine Sanktionen, wenn sie Beträge verlangen, die | |
über dem erlaubten Rahmen liegen. Das ist eine Einladung, erst mal | |
auszuprobieren, mit dem Höchstpreis durchzukommen. | |
Woran liegt es, dass die Mietenpolitik in Hamburg so traurig herumkrebst? | |
Klar, Berlin hat die Linke in der Regierung und diese besetzt den zentralen | |
Posten der Stadtentwicklungssenatorin. Aber die bekommt auch ordentlich | |
Druck von den stadtpolitisch Interessierten, von den Mieter*innen, die sich | |
organisieren und Enteignungen fordern. In Hamburg hört man aus dem | |
aktivistischen Spektrum wenig, was die Thematik angeht. Das hat mehrere | |
Gründe. | |
Zum einen haben sich die Hamburger*innen ein Stück weit an den Leidensdruck | |
gewöhnt, während er für Berliner*innen noch relativ neu ist. Auch in | |
Hamburg gab es Hochphasen der Mobilisierung gegen den Mietenwahsinn. Das | |
war in der Anfangszeit der Bewegung [5][„Recht auf Stadt“], in 2008, 2009, | |
2010. | |
Und daraus sind Projekte entstanden: Das Gängeviertel wurde besetzt und | |
dauerhaft gesichert, die Fux-Kaserne ist dem Markt entzogen, die | |
Esso-Häuser werden als glänzendes Beispiel für eine echte | |
Bürger*innenbeteiligung dastehen. Es sind Leuchtturmprojekte der | |
Stadtgestaltung von unten, aber sie binden auch jahrelang Kapazitäten und | |
am Ende profitieren wenige. Wenn man erst mal im genossenschaftlichen | |
Wohnprojekt wohnt, ist Mietenpolitik vielleicht auch nicht mehr das | |
drängendste Thema. | |
## Von Tür zu Tür | |
Vernachlässigt wurde dagegen das Community Organizing, also das „von Tür zu | |
Tür gehen“, mit Nachbar*innen und anderen Mieter*innen reden, sich | |
verbünden. Das ist extrem aufwendig, aber schafft, wenn es nicht nur ein | |
einzelnes Haus betrifft, eben auch eine breite Basis. | |
Dazu kommt, dass die SPD es in Hamburg geschafft hat, das Thema Wohnen zu | |
kapern. Nachdem linke Aktivist*innen es auf die Agenda gesetzt hatten, | |
sprangen die Sozialdemokrat*innen auf und werden seitdem nicht müde zu | |
betonen, [6][wie unglaublich viel sie bauen] (lassen). Das stimmt auch, | |
nur leider sind diese Wohnungen nicht bezahlbar, eine Entspannung des | |
Wohnungsmarktes ist nicht in Sicht. Im Schulterschluss mit der | |
Immobilienwirtschaft regieren SPD und Grüne geräuschlos, während das Mantra | |
„bauen, bauen, bauen“ die Bürger*innen sediert. Für die | |
außerparlamentarische Linke ist das Thema dadurch maximal unattraktiv | |
geworden. | |
## Strategien überdenken | |
Was bedeutet das für die Zukunft? Es wäre wohl an der Zeit, die Strategien | |
zu überdenken. | |
Die Hamburger Linksfraktion fordert den Mietendeckel auch für Hamburg, aber | |
die nahende Bürgerschaftswahl verspricht leider keine große | |
Kräfteverschiebung nach links. Die linke Bewegung müsste deshalb | |
evaluieren, ob sie es doch schaffen kann, Druck auszuüben. | |
Es muss ja nicht immer ein Volksbegehren sein. Vielleicht würde es sich | |
doch lohnen, bei den Nachbar*innen anzuklopfen und zusammen von Tür zu Tür | |
zu ziehen. | |
Mehr über die Berliner Aufbruchstimmung und den Hamburger Halbschlaf | |
erfahren sie in der gedruckten taz am Wochenende oder [7][hier]. | |
27 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Mietendeckel-in-Berlin/!5619418 | |
[2] /Trotz-Buendnis-fuer-das-Wohnen/!5614554 | |
[3] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/mieten-in-hamburg-gruene-wollen-… | |
[4] https://www.hamburg.de/justizbehoerde/pressemeldungen/12889940/2019-09-03-j… | |
[5] http://www.rechtaufstadt.net/ | |
[6] /Gentrifizierung-in-Hamburg/!5021336 | |
[7] /Unser-eKiosk/!114771/ | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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