# taz.de -- Die CO2-Bilanz des Fußball: Lieber keine Regeln | |
> Langsam entdeckt der Fußball das Thema Klimaschutz für sich. Doch wenn's | |
> um Mobilität geht, hat der Enthusiasmus Grenzen. | |
Bild: Der ökologische Irrsinn im Spitzenfußball: Die deutsche Nationalmannsch… | |
Stellen wir uns für einen Moment vor, es gäbe Proteste gegen die | |
Klimaschädlichkeit des Fußballs. Gegen die Vielfliegerei in der Champions | |
League beispielsweise: 79 Teams, die für Qualifikationsrunden hin und her | |
jetten, später 32 Teams in der Gruppenphase. Wenn jedes Auswärtsteam nur 50 | |
Anhänger mitbringt, sind das 9.600 Flugtickets allein für die Gruppenphase. | |
Stellen wir uns vor, es hätte ernsthafte Proteste gegen das | |
Euro-League-Finale 2019 gegeben, bei dem zwei Londoner Teams nach | |
Aserbaidschan flogen, 51.000 Fans waren im Stadion. | |
Ein ökologischer Irrsinn, der Spitzenfußball. Die Fifa hat die | |
Co2-Emissionen am Beispiel der Männer-WM in Russland vorab ausgerechnet. | |
Das Ergebnis: 2.167.118 Tonnen CO2-Ausstoß bei einer Weltmeisterschaft. | |
Davon 73 Prozent durch Mobilität, den oft größten Verursacher bei solchen | |
Events mit einem Anteil zwischen 60 und 80 Prozent. Zum Vergleich: Die | |
gesamte deutsche Landwirtschaft, auf Rang 5 der größten deutschen | |
Co2-Verursacher, emittiert laut einer aktuellen MDR-Statistik 9 Millionen | |
Tonnen im Jahr. Oder vier Fifa-Turniere. Warum stören sich Fans und | |
Journalisten eigentlich kaum daran? | |
Das erstaunt auch Patrick Fortyr von CO2OL, einer Klimaschutzberatung für | |
Unternehmen. „Es ist sehr merkwürdig, dass die Diskussion bisher überhaupt | |
nicht aufgekommen ist. Das zeigt, wie stiefmütterlich das Thema im Fußball | |
überwiegend behandelt wird.“ Fortyr hat Anfang des Jahres in Kooperation | |
mit dem DLF den durchschnittlichen Fußabdruck eines Fans pro | |
Bundesliga-Spieltag berechnet, teilweise als Modellierung. Das Resultat: | |
7.753 Tonnen CO2 produzieren Fans an nur einem Spieltag in der ersten Liga, | |
davon zwei Drittel durch Mobilität. 48 Fußballfelder Bäume müsste man | |
pflanzen, um das auszugleichen, es entspricht dem Jahresverbrauch von 700 | |
Bürgern. | |
Obwohl die meisten Bundesligisten sogar ein Kombi-Ticket mit dem ÖPNV | |
anbieten, kommen viele Fans weiter mit dem Auto. „Das Problem ist das | |
private Mobilitätsverhalten. Die Fan-Mobilität hat den größten Einfluss auf | |
die Emissionen.“ Der Weg im Fußball sei noch weit, die Datenlage schlecht, | |
von den meisten Bundesligisten gebe es nicht mal eine belastbare | |
CO2-Bilanz. [1][Immerhin, es regt sich etwas]. Fortyr sagt: „Nachhaltigkeit | |
im Fußball entwickelt sich in eine positive Richtung, aber von einem | |
niedrigen Niveau aus.“ | |
## Jeder kann sich als „klimaneutral“ bezeichnen | |
Im Sommer hat Andreas Rettig, Noch-Manager des FC St. Pauli, gefordert, das | |
Umweltverhalten von Klubs zu einem Teil der Lizenzierung zu machen. CSR, | |
Corporate Social Responsibility, wird immer mehr zu einem relevanten | |
Bestandteil für Bundesligisten. Zu den traditionell engagierten Vereinen | |
mit progressivem Umfeld wie dem SC Freiburg, der schon in den Neunzigern | |
eine Solaranlage auf dem Stadiondach hatte, und Werder Bremen, gesellen | |
sich andere: [2][Mainz 05 erklärte sich ab 2010 als erster Bundesligist für | |
klimaneutral], der FC Augsburg erklärte zumindest sein Stadion für | |
klimaneutral, die TSG Hoffenheim zog im Sommer nach und gleicht auch die | |
Emissionen der anreisenden Teams und Schiedsrichter aus. Ebenfalls im | |
Sommer 2019 gründete sich in Anlehnung an Fridays for Future die Gruppe | |
Sports for Future, der etwa Werder Bremen, Hoffenheim und der FC St. Pauli | |
angehören. Ihr Sinn und Zweck ist allerdings recht vage formuliert. | |
Ohnehin darf man Teile des Engagements im Fußball kritisch hinterfragen. | |
Unter den neuen Klubs, die beim Klimaschutz aktiv sind, tummelt sich auch | |
der VW-finanzierte VfL Wolfsburg, der gern sein Image grün machen möchte. | |
Und der Begriff Klimaneutralität ist nicht geschützt, nutzen kann ihn | |
jeder. Nicht alles davon muss man glauben. Aber das Thema gewinnt an | |
Relevanz. | |
Thomas Fischer, Bereichsleiter Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen | |
Umwelthilfe (DUH), sagt: „Der Fußball klammert Klimaschutz nicht länger | |
aus. Früher gab es in der Branche eine deutlich andere Schwerpunktsetzung: | |
Sportlichem Erfolg und Finanzen wurde nahezu alles untergeordnet, | |
Klimaschutz war etwas für Weicheier. Jetzt ist etwas im Wandel, es gibt | |
inzwischen Ansprechpartner für Nachhaltigkeit, Ressourcen- und | |
Energie-Einsparungen werden umgesetzt. Die gesellschaftspolitische Debatte | |
setzt die Klubs massiv unter Druck.“ Allerdings stecke die Entwicklung noch | |
„in den Kinderschuhen“. | |
Wo sich Ökonomie und Ökologie vereinen lasse, geschehe derzeit vieles | |
zügig; es habe vorher zum Beispiel Klubs gegeben, da seien die Urinale so | |
eingestellt gewesen, dass wenn eines im Stadion spülte, alle spülten. Eine | |
absurde Wasserverschwendung. In Bereichen wie Energie, Wasser und Abfall | |
werde jetzt einiges getan. Fast alle Bundesligavereine etwa haben unter | |
dem Druck der DUH und von Fans auf Mehrwegbecher umgestellt. Aber wo es | |
aufwändiger, kostspieliger, langfristiger werde, beim Thema Mobilität und | |
Infrastruktur, „tun sie sich sehr schwer“. | |
## Bei Verboten hört das Klima-Engagement auf | |
Die TSG Hoffenheim ist einer der Vereine, die damit werben, viel zu tun. Im | |
August 2019 hat der Verein im Rahmen seiner Zukunftsstrategie erklärt, alle | |
seine Aktivitäten unter Klimaneutralität zu stellen. Nicht vermeidbare | |
Emissionen gleicht der Klub nach eigenen Angaben mit einem | |
WWF-GoldStandard-Projekt in Uganda aus. Vor der Saison hat die TSG laut | |
einer eigenen Pressemitteilung 3.000 Tonnen Co2 neutralisiert; die | |
Klima-Kollekte etwa berechnet 23 Euro für eine Tonne Co2, das wären gute | |
66.000 Euro. „Unser Engagement wurde verhältnismäßig sehr positiv | |
wahrgenommen“, sagt Stefan Wagner, zuständig für die | |
Unternehmensentwicklung bei Hoffenheim. „Die Resonanz bei ökologischen | |
Themen hat extrem zugenommen.“ | |
Der Bundesligist möchte noch mehr tun: Mit einem Klimaticket sollen Fans | |
freiwillig Bäume pflanzen lassen können, das soll noch in der Hinrunde | |
kommen. Außerdem werde an einer Umwelterklärung und an Recycling | |
gearbeitet. Ein wichtiges, keineswegs selbstverständliches Engagement. | |
Alles gut also? | |
Es gibt Kritiker. Thomas Fischer sagt: „Ein Verein ist per se nicht | |
klimaneutral, dazu hat Fußball zu große Auswirkungen auf die Umwelt.“ Und | |
die TSG gleicht natürlich nicht die Anreisen der Fans aus, die aber den | |
Löwenanteil der Emissionen bei Großveranstaltungen ausmachen. Auch deshalb | |
wären transparente Standards wichtig, um Ausstoß und Einsparungen objektiv | |
prüfen zu können. Das fehlt. Die DUH und Fischer fordern seit Langem von | |
der DFL Klimaschutzziele und Handlungsleitfäden für die Bundesligisten. | |
„Viele Klubs tun etwas, aber im Moment kocht jeder sein eigenes Süppchen | |
und macht eigene Fehler. Die DFL fühlt sich nicht zuständig.“ | |
Spätestens wenn es um mögliche Verbote geht, werden die Grenzen des | |
Klima-Engagements sichtbar. Stefan Wagner von Hoffenheim windet sich bei | |
dem Thema. Druck von Fans und Partnern sei doch ein besseres Mittel, findet | |
er. „Aber alles, was hilft, ist gut. Doch es wird nicht funktionieren, wenn | |
immer mehr Leute sich laut dazu äußern.“ Viele offene Fürsprecher haben | |
Regulierungen nicht. | |
## Fußball als gesellschaftliches Vorbild | |
Und die Mobilität? Es ist die große Systemfrage im Fußball. Einiges dürfte | |
sich einsparen lassen durch kluge Kooperation mit dem ÖPNV, durch bessere | |
Wahl von Spielorten. Und dann? Dann jetten Teams und Fans weiterhin um die | |
Welt, zu immer mehr Wettbewerben. Die Internationalisierung schreitet fort. | |
„Es besteht im Fußball eine direkte Abhängigkeit: Wer erfolgreich sein | |
will, muss auch fliegen“, sagt Stefan Wagner, und befreit den Klub gleich | |
von der Eigenverantwortung: „Wir lösen das nicht darüber, ob ein einzelner | |
Bundesligist nicht mehr fliegt.“ | |
Es gibt Grenzen des Umwelt-Enthusiasmus. Aber nennt sich nicht gerade der | |
Fußball so gern ein gesellschaftliches Vorbild? Würde es ihm nicht ohnehin | |
guttun, abzuspecken, weniger neue Wettbewerbe auszuspielen, womöglich die | |
einzelnen Spiele wieder aufzuwerten durch ein Weniger? Wagner sagt: „Die | |
Systemfrage Einschränkung betrifft die gesamte Gesellschaft. Wenn die | |
Gesellschaft bereit ist, werden die Einschränkungen auch den Fußball | |
betreffen.“ Wann wird das sein? | |
21 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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