| # taz.de -- Die Geschichte des SUV: Design und Darwinismus | |
| > Das SUV ist Sinnbild des Bösen – erst recht nach einem tragischen Unfall. | |
| > Warum ist es trotzdem das Fahrzeug der Stunde? | |
| Bild: Im Gelände wohl eher selten unterwegs: Ein Mercedes SUV parkt am Straße… | |
| Reden wir zunächst nicht über das SUV. Steigen wir ein in den Multipla. | |
| Dieses Modell von Fiat wurde 1998, im Jahr seiner Einführung, vom „Museum | |
| of Modern Art“ in New York ausgestellt. Als hoffnungsvolles Beispiel für | |
| ein Konzept, mit dem sich „die sozialen, ökonomischen und ökologischen | |
| Probleme der Automobilindustrie im 21. Jahrhundert“ würden lösen lassen. | |
| Das Fahrzeug war ein Van neuen Typs. Er bot sechs Sitzplätze in zwei | |
| Reihen, eine innovative Front und einen Rundumblick, für den man | |
| normalerweise in einem Cabrio sitzen müsste. Entworfen hatte ihn Roberto | |
| Giolito, der auch für die Neuauflage des Fiat 500 im Jahr 2007 | |
| verantwortlich zeichnete. Der Multipla sah so knuffig und knuddelig aus, | |
| als hätte der Designer seine sechsjährige Tochter ans Zeichenbrett | |
| gelassen. | |
| Hätte der Multipla eine Persönlichkeit, dann wäre sie vielleicht mit Jar | |
| Jar Binks zu vergleichen, jener bestgehassten Figur aus dem „Star | |
| Wars“-Universum. So defensiv und fröhlich, dass es für manche Betrachter | |
| schlicht nicht auszuhalten war. | |
| Der Multipla sagt heiter: „Kommen Se rein, können Se rausgucken!“ | |
| 2009 wählte der Spiegel den Multipla zu einem der „zehn hässlichsten Autos | |
| aller Zeiten“. 2011 trat die Autobild nach und kürte das Fahrzeug zum | |
| „peinlichsten Auto aller Zeiten“. Da hatte Fiat seinen historischen Flop | |
| bereits vom Markt genommen. Es hatte kaum jemand einsteigen wollen in den | |
| Multipla. | |
| ## Der Darth Vader der Zulassungsstellen | |
| Denn die Zeiten, sie waren andere geworden – zumindest anders, als die | |
| Geisteswissenschaftler vom „Museum of Modern Art“ sich das vorstellen | |
| konnten. Es hat die Automobilindustrie im 21. Jahrhundert offenbar weder | |
| soziale noch ökologische Sorgen. Und es ist das Gegenteil des Multipla, | |
| [1][das derzeit alle ökonomischen Probleme der Industrie löst: das „Sports | |
| Utility Vehicle“, kurz SUV]. Sozusagen der Darth Vader der | |
| Zulassungsstellen. | |
| Seit Toyota 1994 mit dem RAV4 an die Ziellinie ging, reißt der Erfolg | |
| dieser Fahrzeugklasse nicht ab – seit 2012 stieg die Wachstumsrate jährlich | |
| im Durchschnitt um traumhafte 12 Prozent, 2018 sogar um 18 Prozent. Der | |
| Marktanteil der SUVs liegt gegenwärtig bei knapp 30 Prozent, es ist also | |
| fast jedes dritte Auto auf deutschen Straßen ein „straßengängiger | |
| Geländewagen“ oder „geländegängiger Straßenwagen“. | |
| Wobei man im Gelände ein SUV selten sieht. Im Gelände tut’s, wenn gerade | |
| kein Geländewagen zur Hand ist, auch ein alter Golf. Oder, für eine | |
| allradbedürftige Spezialklientel wie Förster, ein Kombi wie der Subaru | |
| Outback. Den gibt es zwar noch, Waidmänner aber sollen nun den Subaru | |
| Forester fahren – ein SUV. Und der Nachfolger des familienfreundlichen | |
| Peugeot 5008, eines Van, ist ebenfalls – ein SUV. | |
| Dabei ist nicht einmal ganz klar, was ein SUV eigentlich sein soll. | |
| ## Rampen- und Böschungswinkel | |
| Das Kraftfahrtbundesamt setzt zur Unterscheidung vom Geländewagen offiziell | |
| bestimmte Werte voraus. Keine Abgaswerte, sondern Rampen- und | |
| Böschungswinkel, Bodenfreiheit, Anhängelast und eine rätselhafte Wattiefe – | |
| gemeint ist die Tiefe eines Gewässers, die mit dem entsprechenden Fahrzeug | |
| noch „durchwatet“ werden kann, bevor es den Geist aufgibt. | |
| Demnach wäre spezifikationsbedingt ein tundrataugliches Urviech wie der | |
| Lada Niva ein SUV, ein verzärtelter Großgolf wie der VW Tiguan aber ein | |
| Geländewagen. Wir sehen, das Kraftfahrtbundesamt ist keine Hilfe. | |
| Wer heute SUV fährt, fuhr in den USA einst einen „Station Wagon“ (SW) – … | |
| geeignetes Vehikel, um von der entlegenen Farm zum Bahnhof („Station“) zu | |
| kutschieren und dort mehrere Personen sowie deren Gepäck einzusammeln. | |
| Der klassische „Station Wagon“ von Chevrolet oder Ford hatte in den | |
| sechziger Jahren noch gerne Holzapplikationen an der Seite, in Reminiszenz | |
| an die Kindheit des Automobils und an die Kutsche – daher auch liebevoll | |
| „Woodie“ genannt. Der Ford Bronco, 1966 errichtet auf dem Fahrwerk eines | |
| Pick-up-Trucks, war eine Art aufgebockter „Station Wagon“, sah aus wie ein | |
| Geländewagen und gilt als eines der ersten SUVs überhaupt. | |
| ## Militärische Nutzfahrzeuge | |
| Um der Sache näher zu kommen, müssen wir sie kurz verkomplizieren. Parallel | |
| zu den zivilen Familienschaukeln gab es – neben dem Van, einem | |
| kastenförmigen Lieferwagen – bereits militärische Nutzfahrzeuge, leichte | |
| Transporter von enormer Robustheit und Flexibilität. Deutschland schickte | |
| Hans mit dem VW Typ 82 („Kübelwagen“) nach Russland, die Sowjetunion ihren | |
| Igor mit dem GAZ-61 in Gegenrichtung, und für Japan knatterte Hiroto mit | |
| dem Kurogane Typ 95 durch Birma. Mit solchen Ungetümen ließen sich Wüsten | |
| erobern, Sümpfe durchpflügen, Furten durchwaten, Dschungel befahren. | |
| Weltkriege gewinnen. | |
| Was wir heute Jeep nennen, war die US-Variante dieser Fahrzeuge, ein Willys | |
| MB. Der Name „Jeep“ entstand aus dem Kürzel „General Purpose“, GP, das… | |
| Allzweckhaftigkeit des Wagens bezeichnen sollte. | |
| Der Hersteller ging bald bankrott, die Leute wollten nach dem Zweiten | |
| Weltkrieg nicht länger Krieg spielen, höchstens mehrere Leute und deren | |
| Gepäck vom Bahnhof abholen. Nur der Markennamen „Jeep“ wanderte von Hand zu | |
| Hand, gehörte in den siebziger Jahren dem (inzwischen auch untergegangenen) | |
| Konzern AMC. | |
| ## Das erste „Sports Utility Vehicle“ | |
| In einem Prospekt des Jeep Cherokee von 1974 taucht erstmals der Begriff | |
| „Sports Utility Vehicle“ auf. Das SUV kommt zu seinem Namen. | |
| Wirklich interessant wird es unterdessen in England. Dort produzierte der | |
| Hersteller Rover seit 1948 ein uriges Gerät namens Land Rover, mit dem Lord | |
| Ibblewith bequem die Grenzen seiner Zuckerrohrplantagen in Rhodesien oder | |
| auf Jamaika abfahren konnte, ohne nasse Füße zu bekommen. In Ermangelung | |
| eines Empires entwickelte Rover dann 1970 den Range Rover – als bürgerliche | |
| Variante des Kolonialvehikels. Vermarktet wurde der Range Rover als | |
| Zugpferd für Pferdetransporter und als Gefährt für Jagd, Fischerei und | |
| Ausflüge nach Balmoral Castle. | |
| In Deutschland war es das G-Modell von Mercedes-Benz, ein kantiger Unimog | |
| für Waldbesitzer mit einem „von“ im Namen und genug Geld auf dem Konto. | |
| Größter Fan dieses Ungetüms war der Schah von Persien, damals Großaktionär. | |
| Er drängte den Konzern zur Entwicklung eines solchen Fahrzeugs und orderte | |
| gleich 20.000 Stück für seine Armee. | |
| Mag sein, dass Zuhälter heute tiefergelegte BMWs mit „Sportauspuff“ durch | |
| das Frankfurter Bahnhofsviertel jagen. Erfolgreiche Zuhälter und andere | |
| Hipster parken ihr G-Modell mit AMG-Tuning in zweiter Reihe. | |
| ## Automobiler Botschafter einer Upper Class | |
| Der Range Rover sollte zwar auch Steinschlag aushalten, Baumstämme über- | |
| und Schafherden durchqueren können. Vor allem aber sollte er in London eine | |
| gute Figur machen, quasi als automobiler Botschafter einer „upper class“, | |
| die eigentlich auf dem Land zu Hause ist – sonst würde sie Jaguar oder | |
| Bentley fahren, wouldn’t they? Ein Fahrzeug für die „Gentry“ also, den | |
| Adel. Hier, nicht in den USA oder Japan, liegt der Keim für die | |
| Gentrifizierung des Fahrens in den neoliberalen achtziger Jahren, der Ära | |
| von Margaret Thatcher. | |
| Der Range Rover erzählte von Wildnis, aber er tat das in Westminster und | |
| Notting Hill – und bald auch in Montmartre oder Schwabing. Wer Range Rover | |
| fuhr, der hatte sich „draußen in der weiten Welt“ durchgesetzt und wollte | |
| das auch zeigen. | |
| Er zeigte überdies, dass es ihm nicht ums Fahren und damit das Beherrschen | |
| von Urgewalten ging, wie das bei einem Sportwagen der Fall wäre. Mit dem | |
| Luftwiderstand einer Schrankwand und der Motorleistung eines Porsche 911 | |
| zeigte der Fahrer eines Range Rover, dass es ihm um das reine Zeigen | |
| finanzieller Potenz ging. | |
| Geschmack, wie ihn etwa Sportwagenfreunde wie Ulf Poschardt von der Welt | |
| noch gerne beschwören, hat damit aufgehört zu existieren. Das schönste | |
| Automobil aller Zeiten, die Citroën DS, wurde vom Philosophen Roland | |
| Barthes in „Mythen des Alltag“ in Anlehnung an Jules Verne als „neue | |
| Nautilus“ besungen, als modernes Äquivalent gotischer Kathedralen im Sinne | |
| einer „überlegenen Schöpfung einer Ära“. Davon kann keine Rede mehr sein. | |
| ## Ein rollender Bunker | |
| Das SUV ist keine Kirche, es ist ein Bunker. Es ist kein U-Boot, es ist ein | |
| Panzerkreuzer. Und doch ist es eine Schöpfung unserer Ära. Was mehr über | |
| die Ära als über das SUV sagt. | |
| [2][Zur Landplage in Deutschland wurden die SUVs erst mit einer Verspätung | |
| von einem Vierteljahrhundert]. Zunächst mussten der erwähnte Toyota RAV4 | |
| und der Kia Sportage den Boden bereiten. Doch erst der Einstieg und Erfolg | |
| der großen deutschen Hersteller bewirkte deren kaninchenhafte Vermehrung – | |
| und den oben erwähnten Marktanteil. | |
| Dabei ist das SUV kein agrikulturelles Spezialprodukt, das sich in die | |
| Städte verirrt hat und daher aus ihnen verbannt werden müsste. Es ist für | |
| die Stadt gebaut, die Stadt und die Autobahn. Seine Herkunft aus dem | |
| Ruralen hat es höchstens in seinem Spitznamen bewahrt, „Chelsea Tractor“ in | |
| England oder, präziser, „Börsentraktor“ in Norwegen. | |
| Nebenbei lässt sich auch im Motorradbau die Parallele beobachten, dass der | |
| elegante „Tourer“, die Idee vom Gran Turismo, komplett vom Markt | |
| verschwunden und durch die „Reiseenduro“ ersetzt worden ist. Diese | |
| hypermotorisierten Vehikel werden nur noch durch Sicherheitsprogramme auf | |
| der Straße gehalten und sehen, wo immer sie parken, aus, als wollte der | |
| Fahrer damit schnurstracks nach Kapstadt aufbrechen, jetzt gleich. | |
| Mit einem Range Rover und seinem eher funktionalen Design haben ein Audi | |
| Q8, ein Porsche Cayenne, ein VW Touareg oder ein Volvo XC90 nicht mehr viel | |
| gemein. Der Audi ist ein hochgelegter A8, desgleichen der Cayenne ein | |
| Panamera auf Stelzen, desgleichen der Touareg ein hoher Passat und der XC | |
| 90 im Grunde ein aufgebockter V90. Denkt man sich den unteren Teil weg, | |
| kommt wieder die handelsübliche Limousine zum Vorschein. Alles Rustikale, | |
| was noch den Cherokee oder Land Rover umwehte, ist zugunsten distinguierter | |
| Urbanität einkassiert. | |
| ## Es geht ums Urbane | |
| Und um das Urbane geht es. Deshalb konnte sich der Hummer aus dem Hause | |
| General Motors, ursprünglich ein Fahrzeug für die leichte Infanterie der | |
| US-Armee, in der zivilen Welt auch nie richtig durchsetzen. Er war nicht | |
| fein genug, ein Auto mit posttraumatischer Belastungsstörung. | |
| Es genügen der imposante Anschein und die schiere Macht des Faktischen, die | |
| sich schon in den mächtigen Spezifikationen ausdrückt – auch wenn moderne | |
| SUVs kaum noch über den Vierradantrieb verfügen, den es braucht, um auch | |
| nur den brandenburgischen Sand zu bewältigen. Geblieben ist die Behauptung | |
| einer Wildnis mit ihren Gefahren, die irgendwo noch lauern muss, die der | |
| Besitzer symbolisch überwunden hat und nun in der Stadt spazieren führt. | |
| Design und Darwinismus. | |
| Die Logik der Aufrüstung führt zu grotesken Ergebnissen und erinnert an die | |
| legendäre Szene in „Der große Diktator“ von Charlie Chaplin. Wie dort der | |
| Despot Hynkel und sein italienischer Kollege sich auf ihren hochfahrbaren | |
| Stühlen gegenseitig zu übertreffen suchen, bis sie an die Decke stoßen, so | |
| ist die Sitzhöhe des SUV sein USP („unique selling point“). Der sicherste | |
| Weg, im Verkehr nicht einem SUV zum Opfer zu fallen, ist die Anschaffung | |
| eines SUV. | |
| Mag sein, dass ältere Menschen es schätzen, ohne Ächzen in einen Opel | |
| Mokka, Dacia Duster oder Citroën C5 ein- und wieder aussteigen zu können. | |
| Es lieben auch Fahrer eines Audi Q7 oder Mercedes GLS den strategischen | |
| Feldherrenblick über die Blechdächer niederer Karossen hinweg – auf Kosten | |
| freilich all jener, die (noch) nicht mit rollenden Erektionen unterwegs | |
| sind. Es ist sozusagen die mundgeblasene goldene Christbaumkugel einer | |
| deutschen Schlüsselindustrie. Und zugleich die ultimative „Blödmaschine“ | |
| (Georg Seeßlen). | |
| ## Der X7 | |
| Steigen wir ein in den X7, das Spitzenmodell von BMW, ein Siebener auf | |
| Steroiden, wiegt zweieinhalb Tonnen, ist mit zwei Metern exakt so breit wie | |
| eine normale Spur an Baustellen auf der Autobahn und verbraucht mit seinem | |
| 400-PS-Quadturbo-Diesel bis zu 14 Liter in der Stadt – was als „sparsam“ | |
| gilt. Seine Motorhaube überragt das Dach eines Kleinwagens. Schon fordert | |
| der ADAC, die Durchfahrten an Baustellen den breiteren Autos anzupassen. | |
| Ähnliches gilt für Parkhäuser, die für das Große Anschwellen nicht gebaut | |
| sind. | |
| „Die Wucht überfällt den SUV unmittelbar, dazu ein fein komponierter Klang | |
| aus flächigen Bässen mit einer leicht angerauten Oberfläche“, schreiben | |
| die Musikkritiker der Fachzeitschrift auto motor und sport: „Drehen? Klar, | |
| geht auch, 6.000/min, gerne mehr, dann setzt der Donner ein, keineswegs | |
| jedoch ein stärkeres Gefühl der Souveränität als beim Anfahren. Schub | |
| gibt’s hier immer, und zwar reichlich. Schön auch, dass der Brocken immer | |
| bei dir bleibt, so, wie du es eben von einem BMW erwartest.“ | |
| Wichtiger als Leistung aber sind Übersicht und Sicherheit. Übersicherheit, | |
| sozusagen: „In jedem Fall sitzt du hoch droben“, jubelt der | |
| Autojournalismus, „vom Fahrerplatz aus fehlt es nicht an Übersicht“. Zum | |
| Einparken gibt es, weil die zitadellenhaften Boliden selbst von ihren | |
| Fahrern nicht mehr zu überblicken sind, elektronische Einparkhilfen. Nicht | |
| irgendeine Einparkhilfe, sondern, so BMW, den „Parking Assistant Plus“ mit | |
| „kamera- und ultraschallbasierten Funktionen wie z. B. Surround View und | |
| Remote 3D View“. | |
| Und weil die „Brocken“ jeder Fahrphysik spotten, gibt es zahllose weitere | |
| Algorithmen, die das Gerät auf der Straße und die Kinetik im Zaum halten. | |
| Den Fahrer geht das Außen nichts an, er ist nicht mehr von dieser Welt. | |
| ## 15.000 Lichtpunkte | |
| „Feinste Pigmente schimmern unter der Oberfläche dezent durch und sorgen | |
| für ein faszinierendes Spiel aus Licht und Schatten“, dichtet BMW, wo man | |
| nicht etwa „im Auto“ sitzt, sondern in einer „Panorama-Glasdach Skylounge | |
| mit über 15.000 Lichtpunkten“ residiert, wenn nicht sogar in einem Uterus: | |
| „Außerdem genießen Sie im Innenraum dank Ambient Air eine dezente Beduftung | |
| mit erlesenen Aromen. Gleichzeitig wird die Außenluft gefiltert und | |
| wirkungsvoll gereinigt.“ | |
| Von „toxischer Männlichkeit“ kann hier übrigens keine Rede sein: Ein | |
| Drittel aller SUVs wird von Frauen erworben, weit mehr von Frauen einfach | |
| nur gefahren. Das SUV ist kein beinhartes Sportgerät, sondern Festung gegen | |
| alle Fährnisse des Verkehrs. Ein „Panic Room“ auf vier Rädern. | |
| Die derzeit gängige (besser: geländegängige) These besagt, dass der Besitz | |
| eines SUV ikonografisch der Aufkündigung gesellschaftlicher Solidarität | |
| entspricht. Wer dergleichen bewegt, im Straßenverkehr zumal, rufe „Platz | |
| da!“ und wünsche, dass alle anderen Verkehrsteilnehmer sich trollen. Zwar | |
| entrückt die Welt, sobald ich es mir auf dem stufenlos beheizbaren Hochsitz | |
| bequem mache. Wenn aber das SUV nicht Ursache, sondern Symptom ist – wovon? | |
| Wohl kaum davon, dass hier ein Konsens gekündigt wurde. Schaut man sich die | |
| Zulassungszahlen an und in den Städten um, dann ist das SUV der Konsens. | |
| ## „Überholprestige“ | |
| Und genau das ist das Problem. Jedem steht es frei, eine friedliche | |
| Übereinkunft aller Menschen zu halluzinieren. Es hat diesen Konsens nur nie | |
| gegeben, zumindest nicht im Straßenverkehr. „Überholprestige“ ist ein Wort | |
| aus den siebziger Jahren, das seinerzeit die Angst vor dem Kühlergrill | |
| eines augenscheinlich schnelleren Autos im Rückspiegel bezeichnete. Und wer | |
| jemals über ein langsameres Fahrzeug schimpfte, schweige stille. | |
| Das SUV, das sind wir. Niemand kauft ein solches Monstrum wider besseres | |
| Wissen. Er kauft es, eben weil er über den Krieg auf den Straßen – und | |
| nicht nur dort – informiert ist, buchstäblich nicht unter die Räder kommen | |
| will. | |
| Das SUV ist meine Jahreskarte für den Fitnessclub, meine atmungsaktive | |
| Outdoor-Allwetterjacke, mein Muscle-Shirt in Flecktarn, mein geschäftlicher | |
| Flug nach London, mein Mountain-Bike mit Scheibenbremsen, vielleicht sogar | |
| mein schnelles WLAN, 5G allemal. Es ist mein Vollbart. Das ist zwar alles | |
| hässlich, und töten kann man damit niemanden. Diese Dinge stehen aber, | |
| ebenso wie das „Sports Utility Vehicle“, für unsere stille Einwilligung in | |
| die Sportifizierung und Beschleunigung der Welt. | |
| ## Ein dystopisches Fluchtfahrzeug | |
| Demnach ist das SUV eben kein „Suburban Assault Vehicle“, wie es in den USA | |
| genannt wird. Sondern ein dystopisches Fluchtfahrzeug. Wenn dereinst alles | |
| zusammenbricht, dann kann ich damit querfeldein den Abflug machen. Notfalls | |
| durch Vorgärten, im Audi Q8 mit bis zu 254 Millimetern Bodenfreiheit und | |
| computergesteuerter Luftdämpfung notfalls auch über Leichen. Es ist in | |
| seiner aggressiven Defensivität das Fahrzeug der Stunde. | |
| Das SUV sagt finster: „Kommen Se mir nicht in die Quere, sonst werden Se | |
| zerfetzt.“ | |
| Spätestens hier wird klar, was das Ding eigentlich soll. Es ist nicht | |
| unmenschlich, sondern allzu menschlich. Wir wollen das, wir brauchen es. Es | |
| reinigt die von uns verpestete Außenluft, sobald sie zur Innenluft wird. | |
| Beduftet uns mit erlesenen Aromen. Es schützt uns vor einer allzu engen, | |
| allzu weichen, allzu niedrigen und gefährlichen Welt, wobei es die Welt | |
| noch gefährlicher macht, wovor es uns aber schützt. Denn wir sitzen hoch | |
| droben. Das zentralverriegelte SUV ist die Lösung für alle sozialen, | |
| ökonomischen und ökologischen Probleme unseres Jahrhunderts. | |
| Und deswegen können wir nicht mehr aussteigen. | |
| 14 Sep 2019 | |
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