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# taz.de -- Filme aus vielen Ländern bei Netflix: Völkerverständigung on Dem…
> Netflix zeigt, ein wenig versteckt, Serienjuwelen aus aller Welt. Diese
> eröffnen diverse Horizonte mit vielen kulturellen Überraschungen.
Bild: Darsteller der israelischen Serie „Fauda“ warten auf ihren Einsatz
Berlin taz | Das erste Date findet bei einem Glas stillem Wasser statt. Das
Paar trifft sich in der Lobby eines Hotels, um unziemliche
Vertraulichkeiten auszuschließen. Arrangiert wurde das Treffen von einem
alten Mann mit Bart, der eine Art Buchladen betreibt, in dem die Kundschaft
aber scheinbar nur Orangensaft in kleinen Plastikbeuteln kauft. Die
Strohhalme dazu versteckt der Mann aus unerfindlichen Gründen in der
Innentasche seiner Weste und rückt sie nur auf Anfrage raus.
Es ist eine eigentümliche Welt in die einen die israelische Serie „Shtisel“
mitnimmt: Bei den orthodoxen Juden, um die es in der Produktion geht, sagt
man ein kurzes Gebet, bevor man einen Schluck Wasser trinkt oder durch eine
Tür hindurchgeht. Keine der Hauptdarstellerinnen wird je ohne Kopftuch oder
ohne „Scheitel“ gezeigt, also ohne die Perücken, mit denen sich orthodoxe
Jüdinnen in der Öffentlichkeit zeigen. Die Männer tragen Schläfenlocken und
zu kleine, schwarze Hüte, Fernsehen und Internet sind tabu, und zum Sabbat
gibt es Grieben und Gefilte Fisch.
Selbst in Israel sind die Sitten und Gebräuche der orthodoxen Juden längst
nicht allen Bürgern des Landes so detailliert bekannt, wie sie in der Serie
dargestellt werden; sie selbst werden von vielen als Sozialhilfeempfänger,
die sich nur für die Auslegung der Thora interessieren, abgelehnt.
Darum hatte niemand damit gerechnet, dass die erste Staffel der Serie
„Shtisel“ 2013 nicht nur ein Quotenerfolg für den israelischen Privatsender
„yes Oh“ werden, sondern auch eine gesellschaftliche Debatte über die
religiöse Orthodoxie auslösen würde. Die sympathisierende Darstellung der
Protagonisten, ihres Liebeslebens, ihrer beruflichen Probleme und ihrer
Familienkonflikte, trug auch dazu bei, dass die orthodoxen Juden in einem
neuen, positiveren Licht betrachtet wurden.
## Komödien aus Ägypten und Melodramen aus Korea
Man kann die orthodoxen Juden auch ganz anders beurteilen: Als rückwärts
gewandte Sekte, die ihren Angehörigen einen Lebensstil vorschreibt, ihre
Individualität unterdrückt und Abtrünnigen die Existenz zerstört. Das tut
der Dokumentarfilm „Two of Us“ (2018) von Heidi Ewing and Rachel Grady, der
anhand von drei Aussteigern aus der Orthodoxie in den USA darstellt, wie
die religiöse Gruppe diesen das Leben schwer zu machen versucht.
Sowohl „Two of Us“ als auch „Shtisel“ sind bei Netflix zu finden, und
gemeinsam betrachtet bieten diese beiden Produktionen dem Betrachter die
Möglichkeit, sich selbst ein differenziertes Bild von orthodoxen Juden zu
machen. Und es sind nicht die einzigen Beispiele dafür, wie man bei Netflix
Material aus Ländern findet, die im globalen Fernsehgeschäft normalerweise
keine Rolle spielen. Wer jenseits der breit beworbenen
Netflix-Eigenproduktionen sucht, findet Komödien aus Ägypten und Melodramen
aus Korea, Romcoms aus Indien und Horror von den Philippinen.
Während über neue, internationale Netflix-Eigenproduktionen wie das
arabischsprachige „Dschinn“, das in Jordanien spielt, und „Der Pate von
Bombay“ über einen indischen Polizisten in der Presse berichtet wird,
fristen solche Produktionen eine kaum beachtete Existenz irgendwo in den
Tiefen der Filmauswahl von Netflix. Meist stammen sie von nationalen
Fernsehsendern und wurden von Netflix angekauft.
Das Unternehmen tut wenig dafür, um den Zuschauern diese Produktionen
nahezulegen. Wer in das Suchfenster des Streaminganbieters „Juden“ eingibt,
bekommt als erstes eine Reihe von B-Filmen und Dokumentationen über den
Holocaust und das „Dritte Reich“ angezeigt. Filmproduktionen aus Israel
folgen erst weiter unten.
## Kein authentisches Israel
Dazu gehört neben dem international erfolgreichen „Fauda“ (Chaos) über ei…
Antiterroreinheit im Kampf gegen die Palästinenser aber auch [1][die
Comedyserie „Hashoter Hatov“] über einen dusseligen israelischen
Polizisten. Und die Actionserie „When Heros Fly“ handelt von
Armeeveteranen, die in Kolumbien nach einem Kameraden suchen.
Keine dieser Serien mag ein authentisches Israel im Sinne eines
Dokumentarfilms zeigen. Aber zusammengenommen zeichnen sie anhand der
Themen und Sujets, die als unterhaltsam und serientauglich erachtet werden,
ein diverses Bild des Landes, aus dem sie stammen.
Wer sich nicht für den Nahen Osten interessiert, fühlt sich vielleicht im
„Tokyo Midnight Dinner“ zu Hause. Der kleine Imbiss öffnet täglich
pünktlich um Mitternacht, und der Chef, der nur als „Der Meister“ bekannt
ist, kocht für jeden der Schlaflosen, die sich zu ihm verirren, das
Gericht, das er gerade braucht.
Die Nachtschwärmer und Taxifahrer, Theaterschauspieler und
Spätabendshow-Moderatoren, die hier bei Nudelsuppe und Reisomelett
zusammenkommen, liefern das Material für die Serie. Ähnlich funktioniert
„Bangkok Love Stories“, das im Nachtleben des Stadtteils Silom spielt, wo
es allerdings wesentlich derber zur Sache geht als in Tokio.
## Einblicke in verschlossene Fernsehwelten
Dabei sind die asiatischen Serien in der Regel wesentlich zahmer als
Netflix-Erfolgsproduktionen wie [2][„Orange is the New Black“] oder „House
of Cards“. Die koreanische Jugendserie „Meteor Garden“ war trotzdem ein
Riesenerfolg in den meisten Ländern Asiens; bei Netflix ist derzeit das
dritte Remake der Serie zu sehen, das diesmal aus China kommt. Hier kann
man sehen, was die Cool Kids im Reich der Mitte so tun – sie gehen unter
anderem mit Muttern auf den Markt. Im Gegensatz zu den Vorgängerversionen
des Stoffes aus Südkorea prägt der totalitäre Charakter des
Produktionslandes nun den Plot.
Keineswegs landen dabei auf Netflix also nur Stoffe, die für den
internationalen Markt geeignet scheinen, sondern oft gerade dezidiert
lokale Serien wie „Golden Boy“ über den harten Wettbewerb im indischen
Cricket. Oder die koreanische Bürokomödie „Misaeng“, in der die Regeln des
Brettspiels Go dem Protagonisten helfen, seinen Arbeitsalltag zu meistern.
Netflix zeigt solche Serien natürlich nicht vordringlich, um der
Völkerverständigung zu dienen. Der Anbieter braucht vielmehr dringend
Material, weil Unternehmen wie Disney und Apple eigene Streamingdienste
planen. Darum muss möglichst schnell ein eigenes Repertoire aufgebaut
werden – gerade auch für aufstrebende Märkte wie die in Ost- und
Südostasien, mit kulturell angepassten Produktionen.
Dass diese Filme und Serien nun auch in Deutschland – oft sogar
synchronisiert – angeboten werden, dürfte sich günstigen internationalen
Rechtepaketen verdanken. Und so bekommen die Zuschauer in Deutschland
unverhofft und letztlich auch ungeplant Einblicke in Fernsehwelten, die
ihnen bisher verschlossen waren. Man findet sie, indem man bei Netflix nach
den Namen der Produktionsländer sucht.
24 Aug 2019
## LINKS
[1] /Serienkolumne-Die-Couchreporter/!5580443
[2] /Letzte-Staffel-Orange-Is-the-New-Black/!5609077
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
## TAGS
Netflix
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