| # taz.de -- Portrait zu „Unorthodox“-Star Amit Rahav: Nicht weiter in Angst… | |
| > In der Netflixserie spielt er den gläubigen „Yanky“, in Tel Aviv wartet | |
| > er auf seine Rückkehr in die Schauspielschule. Auch auf eine | |
| > Weltkarriere? | |
| Bild: Ohne Schläfenlocken zunächst schwer zu erkennen: Amit Rahav | |
| Ganz zum Schluss unseres Treffens wird er sagen, dass dies das erste | |
| Interview seit dem Start der Netflix-Miniserie „[1][Unorthodox]“ ist, das | |
| er von Angesicht zu Angesicht gegeben hat. Gerade erst im März wurde Amit | |
| Rahav weltweit bekannt, neben der gefeierten Shira Haas und Jeff Wilbusch, | |
| doch dann kam das Coronavirus, und die Welt musste zu Hause bleiben. Doch | |
| nun werden die Restriktionen in Israel allmählich gelockert, und wir können | |
| uns in Rahavs Apartment im Herzen von Tel Aviv treffen, unweit vom | |
| Rothschild-Boulevard. | |
| Rahav wuchs in Herzlia bei Tel Aviv auf. Erst in diesem Monat hat er sein | |
| neues Apartment bezogen, das er sich mit einem Mitbewohner teilt, einem | |
| Freund von der Schauspielschule. Auffallend ist, wie stark er sich von dem | |
| Charakter unterscheidet, den er in der Serie verkörpert, zumindest | |
| äußerlich: Als junger Mann in Hipster-Jeans und gestreiftem Poloshirt wirkt | |
| er doch sehr anders als jener ultraorthodoxe Yakov (Yanky) Shapiro mit | |
| Gebetslocken, Schtreimel und schwarzem Gehrock. | |
| Rahav sagt, dass ihn die meisten Menschen auf der Straße nicht erkennen, | |
| „ich kann weiterhin herumlaufen und mit mir selbst sprechen“, sagt er | |
| lachend. Vor Kurzem traf er einen Nachbarn im Treppenhaus: „Wir | |
| unterhielten uns fünf Minuten, erst dann begriff er und fragte: Sind Sie | |
| Schauspieler?“ Noch immer besucht er die | |
| Yoram-Loewenstein-Schauspielschule, eine der besten Israels. | |
| Bislang ist er lediglich in israelischen Fernsehserien aufgetreten, die | |
| Rolle des Yanky – mit viel Lob bedacht – ist für ihn ein großer Schritt | |
| nach vorne. Schon seinen Militärdienst leistete er in einer | |
| IDF-Theatertruppe, die von Stützpunkt zu Stützpunkt tourte, um dort | |
| aufzutreten. Eine lustige Erfahrung, sagt Rahav: „Das war eine gute Schule. | |
| Du musst vor Soldaten Theater spielen, die dich gar nicht sehen wollen. | |
| Ich war wirklich in jedem Stützpunkt des Landes. Ich habe in Küchen vor | |
| zehn Leuten gespielt – drei von ihnen haben telefoniert, einer schlief, | |
| zwei sind mittendrin rausgegangen, und wenn man Glück hatte, lächelte | |
| einer.“ Er erinnert sich auch gut daran, wie sie die gesamte Tonausrüstung | |
| schleppen mussten, immer und immer wieder: „Ein gutes Training“, lacht er. | |
| „Unorthodox“ unter der Regie von Maria Schrader wurde frei nach dem | |
| Romandebüt der Deutschamerikanerin Deborah [2][Feldman] aus dem Jahr 2012 | |
| gestaltet. Er handelt von Feldmans Kindheit und Jugend in der | |
| ultraorthodoxen jüdischen Glaubensgemeinschaft der Satmarer im New Yorker | |
| Stadtteil Williamsburg. In der Miniserie flieht die 19-jährige Esty (Shira | |
| Haas) über Nacht aus New York nach Berlin und geht damit den gleichen Weg | |
| wie ihre vor Jahren verstoßene Mutter. Yanky, der knapp ein Jahr zuvor mit | |
| ihr verheiratet worden war, will sie zurückhaben, besonders nachdem er | |
| erfahren hat, dass sie schwanger ist. Zusammen mit Moishe (Jeff Wilbusch) | |
| reist er ihr hinterher. Doch Esty hat längst in der säkularen Welt Berlins | |
| Anschluss gefunden – auch Freiheit und Liebe. | |
| „Die Serie wurde mit großem Wohlwollen aufgenommen, das hatten wir so nicht | |
| erwartet“, sagt Rahav. „Nicht immer finden die Leute Zeit, sich auf eine | |
| solche Serie einzulassen, besonders wenn es darin um Lebenswelten geht, die | |
| ihnen völlig fremd sind. Aber jetzt, in der Coronazeit, war das anders.“ | |
| Der Erfolg der deutschamerikanischen Miniserie – im letzten Monat war sie | |
| eine der am häufigsten gestreamten Serien bei Netflix – beruht jedoch | |
| sicher nicht nur auf dem Einblick in die Welt der Orthodoxen und der | |
| Coronasituation. Es lag auch an dem feministischen Plot, der im Zentrum der | |
| Handlung steht und den Zeitgeist trifft: Esty verlässt eine Welt, die ihr | |
| nur Grenzen setzt, die ihr nicht einmal erlaubt, in der Öffentlichkeit zu | |
| singen – und sie zwingt, einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebt. | |
| „Es ist eine universelle Geschichte“, sagt Rahav. „Gut, die Charaktere si… | |
| religiös, sie kommen aus Brooklyn – aber diese Filter könnte man auch | |
| jederzeit ändern.“ Er fügt hinzu: „Die Kostümbildner, die Bühnenbildner, | |
| die Autoren – alle haben wunderbare Arbeit geleistet. Alles, was in der | |
| Serie zu sehen ist, der Schrank in unserer Wohnung, der Fußboden, die | |
| Aussicht, die Verpackung der Hochzeitsgeschenke, alles wurde sehr | |
| sorgfältig und im Hinblick auf die Geschichte ausgewählt – aber die könnte | |
| eben auch in anderen Communitys spielen.“ | |
| Rahav hatte nur zwei Monate Zeit, sich auf die Rolle des Yanky | |
| vorzubereiten, jemand, der, wie er sagt, charakterlich ganz anders ist als | |
| er selbst: „Meine Eltern sind geschieden. Und mit meinem Vater zelebrieren | |
| wir zwar den Kiddusch, aber das bedeutet mir nur etwas, weil ich es | |
| zusammen mit meinem Vater tue. Es ist nichts Religiöses, es ist etwas | |
| zwischen uns.“ Es sei spannend für ihn gewesen, Yanky zu spielen, sich ihm | |
| anzunähern. „Ausgerechnet ich, der so absolut säkular aufgewachsen ist. | |
| Aber am Ende fand ich heraus: Die Emotionen sind eben doch ähnlich.“ | |
| Viel Zeit verbracht hat Rahav auch mit dem Lernen von [3][Jiddisch], der | |
| Sprache, die der Serie eine gewisse Schönheit und Authentizität verleiht, | |
| gewiss auch einen Hauch Exotik. Die Schauspieler wurden dabei von Eli Rosen | |
| unterstützt, der das Skript vom Englischen ins Jiddische übersetzt hat und | |
| in der Serie Rabbi Yossele spielt. Auch Rosen hatte einst die Satmarer | |
| verlassen. Rahav sagt: „Ich hatte jeden Tag Unterricht, mir ist fast der | |
| Kopf geplatzt. Es gab keine andere Wahl, als gründlich zu lernen – noch | |
| heute kann ich mich an jeden einzelnen Satz erinnern, den ich sprechen | |
| musste. Wahrscheinlich werde ich sie für immer behalten.“ | |
| Rahav und die weibliche Hauptdarstellerin Shira Haas kennen sich bereits | |
| aus Teenagertagen, man kann das spüren, wenn man sie auf der Leinwand sieht | |
| – und das hat ihnen die schwierigen Sexszenen erleichtert: Esty und Yanky | |
| ringen im Film mit dem religiösen Gebot „Seid fruchtbar und mehret euch“, | |
| während sie eigentlich gerade erst versuchen, einander kennenzulernen. | |
| Rahav erinnert sich, dass die Regisseurin Maria Schrader, selbst | |
| Schauspielerin, in dieser Situation sehr sensibel mit ihnen umgegangen ist: | |
| „Maria vertraute uns, und sie sorgte für eine angenehme Atmosphäre am Set.�… | |
| Schon einmal hatte sich Rahav mit einem Thema sexueller Emanzipation | |
| exponiert: Vor drei Jahren spielte er in einer israelischen Teenagerserie | |
| einen jungen Schwulen und schrieb damit ein Stück Geschichte: „Es war ein | |
| Privileg, diese unerzählte Geschichte erzählen zu dürfen“, sagt er, „und | |
| als die Serie ausgestrahlt wurde, bekam ich wirklich eine Menge positiver | |
| Reaktionen. Viele queere Jugendliche waren froh darüber, dass es endlich | |
| einen schwulen Charakter in einer solchen Serie gab.“ | |
| Rahav selbst geht seinen Weg in dieser Hinsicht unerschrocken. Erst im | |
| letzten Monat sprach er im Interview mit einer der größten Zeitungen | |
| Israels wie nebenbei über seine eigene Homosexualität – noch vor nicht | |
| allzu langer Zeit hätten sich junge aufstrebende Schauspieler dreimal | |
| überlegt, so etwas zu tun. Doch für Rahav, Angehöriger der Generation Z, | |
| war das keine große Sache: „Jeder wusste das von mir, die Fakten lagen auf | |
| dem Tisch, seit ich 16 bin. Es gab zu Hause keine dramatischen Gespräche, | |
| keine Aufregung. ‚Aus dem Schrank kommen‘, Coming-out, das erscheint mir | |
| doch etwas außer Mode. Ich bin so geboren, das war's.“ | |
| Seit dem Ende der Neunziger gibt es enorme Fortschritte für die | |
| [4][LGBTQ-Community in Israel] – und Rahav wurde mitten in diese Zeit | |
| hineingeboren. Als ich ihn frage, ob er nicht befürchtet, nun festgelegt zu | |
| werden, viele Rollen nicht mehr spielen zu dürfen, antwortet er: „Ängste | |
| gibt es ja immer. Ich habe sie auch. Aber soll ich nun mein Leben lieber | |
| nicht leben? Also nein, es reicht. Wir haben 2020, wir können jetzt nicht | |
| mehr weiter in Angst leben. Das ist lächerlich.“ | |
| 15 May 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.netflix.com/de/title/81019069 | |
| [2] /Schriftstellerin-Deborah-Feldman-in-Berlin/!5428694/ | |
| [3] https://www.dw.com/de/dufte-jiddische-w%C3%B6rter-im-deutschen/a-4786777 | |
| [4] https://lgbtqcenter.org.il/ | |
| ## AUTOREN | |
| Lior Soroka | |
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