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# taz.de -- Schauspielerin Sandra Hüller im Gespräch: „Ich vermisse das Pub…
> Sandra Hüller spielt die Hauptrolle in „Hamlet“ am Bochumer
> Schauspielhaus. Für sie war die Fernsehaufzeichnung des Stücks eine
> intime Erfahrung.
Bild: Ihren größten Erfolg hatte sie bislang mit ihrer Rolle im Film „Toni …
taz am wochenende: [1][Frau Hüller], der Bayerische Rundfunk hat Sie
kürzlich als Corona-Opfer bezeichnet …
Sandra Hüller: Wie bitte? (lacht)
… und meinte damit die ausgefallene Preisverleihung für den
Gertrud-Eysoldt-Ring und den Theaterpreis Berlin sowie die dann auch
ausgefallene [2][Eröffnung des Theatertreffens] mit „Hamlet“ und Ihnen in
der Titelrolle. Wie dramatisch ist das für Sie?
Das ist überhaupt nicht dramatisch für mich.
Weil?
Na, die Auszeichnungen sind mir ja nicht aberkannt worden. Ähnlich ist das
beim Theatertreffen. Das Stück ist ja nicht ausgeladen worden. Und die
Einladung bleibt eine schöne Sache.
Stimmt, nur hat das ganze Drumherum nicht stattgefunden, kein rauschender
Applaus, keine Premierenfeier.
Absolut, und gerade für die jüngeren Kolleg*innen wäre diese Erfahrung
sicher toll gewesen, für die tut mir das auch sehr leid. Aber für mich
persönlich war das Traurigste, dass wir uns als Ensemble nicht gesehen
haben. Aber ich bin bei solchen Sachen nicht nachtragend, wenn etwas nicht
sein soll, dann soll es nicht sein. Ich bin da ganz …
… pragmatisch.
Ja, genau!
Die 3sat-Aufzeichnung von „Hamlet“ wurde kurz nach dem Lockdown
aufgenommen. Wie hat es Ihr Spiel beeinflusst, dass kein Publikum im Saal
saß?
Es war erstaunlich, welche Intimität sich dadurch eingestellt hat. Wir
haben wirklich nur füreinander gespielt. Diese Verbindung, die da aufgebaut
wurde, war schon wirklich einzigartig. Es fühlte sich an wie auf einem
anderen Planeten: sehr speziell, intim und einsam. Ich dachte immer an den
kleinen Prinzen. Es war, als stünde man auf einem einzelnen Planeten.
Diese Stimmung passt perfekt zur Inszenierung von Johan Simons!
Ja, das hat funktioniert. Andererseits funktioniert es ohne Publikum
einfach dann doch nicht. Eine liebe Kollegin brachte es auf den Punkt: Das
ist wie Backen ohne Mehl. Als Erfahrung interessant, aber auf die Dauer
möchte ich das nicht.
Wie haben Sie sich der Figur Hamlet denn genähert?
Ich alleine gar nicht, das hat gemeinsam auf den Proben stattgefunden und
ganz pragmatisch über das Textlernen und das Verstehenwollen. Und
tatsächlich auch übers viel Alleinsein. Wenn ich in Bochum probe, bin ich
ja weg von meiner Familie in Leipzig.
Nimmt Sie so eine Aufführung wie „Hamlet“ sehr mit?
Es gibt Abende, die lassen mich wirklich verzweifelt zurück, da bin ich
leer, allein und traurig. Bei Hamlet ist es seltsamerweise gar nicht so,
weil es in gewisser Weise eine Versöhnung gibt, und sei es nur mit Laertes.
Deswegen bin ich nach diesem Abend total friedlich und klar. Das ist sehr
schön. Deswegen spiele ich's auch so gerne.
Ist die Versöhnung mit Laertes Ihr Lieblingsmoment an dem Abend?
Das hört sich jetzt richtig doof an, aber: Ich liebe jeden einzelnen Moment
dieses Abends.
Der Geist von Hamlets Vater tritt in Ihrer Version ja nicht auf, sondern
Hamlet hat den Vater verinnerlicht. Das erinnert an Ihre erste große
Filmrolle in „Requiem“, wo es um eine angebliche Teufelsaustreibung geht.
Ich habe geahnt, dass diese Brücke geschlagen wird! Nach 14 Jahren kann man
auch mal was wiederholen, ich habe ja auch nur begrenzte Mittel zur
Verfügung (lacht). Ich finde es in diesem Fall okay, in dieselbe Schublade
zu greifen.
Aber kann man es bei Hamlet in Analogie zum Film als Vateraustreibung
begreifen?
Das kann man so sehen, aber es geht mir um etwas anderes, abgesehen davon,
dass wir lange nicht wussten, wie wir das machen sollen. In unserer Fassung
steht, dass der Vater durch Hamlet spricht, was mich natürlich das Fürchten
gelehrt hat. Wie soll das denn gehen? Wie soll ich das denn machen? Die
wunderbare Gina Haller als Ophelia und ich haben diese Szene bei den
Leseproben eigentlich immer eher flapsig genommen, weil wir nicht wussten,
wie das gehen soll. Das Problem ist, dass ich mir nicht vorstellen konnte,
dass ein älterer Kollege als Geist auf die Bühne kommt und zu mir sagt:
„Hör mal zu, Hamlet, da gibt’s ein Problem und du musst das lösen.“ Da
wüsste ich gar nicht, wie diese Dringlichkeit entstehen soll. Es wäre auf
jeden Fall viel schwieriger gewesen.
Mit dem Regisseur Johan Simons verbindet Sie eine [3][lange
Arbeitsbeziehung], hat das etwas mit der Freiheit zu tun, die er seinen
Spielern lässt?
Ja, das hat mit dieser Freiheit zu tun und mit diesem Vertrauen, dass sich
die Dinge aus den Spieler*innen heraus entwickeln, ohne dass er etwas
daraufpfropft. Auch diese eingehende Untersuchung der Texte, bis sie dann
tatsächlich gespielt werden, ist ein großer Luxus für mich.
Ist es das, was Sie derzeit am meisten am Theater vermissen?
Die Aufregung vor Vorstellungen vermisse ich jedenfalls nicht! Aber ich
vermisse natürlich die Schönheit, die in diesen Zusammenkünften liegt. Wenn
es hieße, das gäbe es nie wieder, würde ich das schlecht verkraften. Es
geht im Moment nur mit der Aussicht, dass wir uns irgendwann wieder sehen
können. Ich meine nicht nur die Kolleg*innen, sondern auch das Publikum.
Die Vorstellung, wie wir dann zum ersten Mal wieder in einem Raum sind,
überwältigt mich geradezu.
Sie haben kürzlich gesagt, der Lockdown sei eigentlich ganz schön, was
daran finden Sie schön?
Es ist nicht für alle schön, das ist mir durchaus bewusst, aber ich genieße
die Zeit zu Hause sehr, weil ich die so selten habe.
Fühlen Sie sich in Ihren Freiheitsrechten eingeschränkt?
Natürlich bin ich im Konflikt, wie alle anderen auch. Ich halte die
Maßnahmen zwar alle für richtig, aber es ist die Frage, wie lange sie noch
richtig sind und ob man schnell genug reagieren kann, wenn sie nicht mehr
richtig sind. Auf der anderen Seite weiß ich gar nicht, wie lange ich meine
Mutter nicht mehr umarmt habe, und da stellt sich schon die Frage, ob ich
mir das sagen lasse oder auf wen ich hören soll. Ich finde es schwer,
klarzukriegen, wo da die eigenen Grenzen liegen.
Für [4][Frank Castorf] ist die Grenze beim Händewaschen überschritten, das
lässt er sich von Angela Merkel nicht vorschreiben.
Das möchte ich nicht kommentieren.
„Jammern gehört zum Schlimmsten“, haben Sie einmal gesagt.
Aber es gibt einen Unterschied, ob man jammert oder Dinge klar benennt.
Wenn ich an freischaffende Kolleg*innen denke, die null abgesichert sind,
weil sie nicht angestellt sind und nicht als Selbstständige gelten, obwohl
sie als Gäste an den Theatern arbeiten und normalerweise dort versichert
sind. Da herrscht akute Not, und das hat überhaupt nichts mit Jammern zu
tun. Da geht es um die nackte Existenz.
Johan Simons plädiert dafür, die Theater so schnell wie möglich wieder zu
öffnen.
Ich glaube, man muss gucken, wie die Zuschauer*innen sicher rein und raus
kommen und mit Abstand sitzen können.
Es geht natürlich auch um die Leute auf der Bühne.
Ja, wahrscheinlich muss man auch das Spiel überprüfen. Wie kann man Dinge
vermitteln, ohne sie tatsächlich zu tun? Was würde das bei „Hamlet“
bedeuten, wenn man nur sagt, was man machen würde? Das kann man
ausprobieren. Aber in erster Linie geht es darum, wie man sicherstellt,
dass die Leute sicher schauen können.
Macht Ihnen das Virus Angst?
Mir persönlich nicht. Natürlich möchte ich niemanden verlieren, aber in
Bezug auf mich denke ich immer, wenn es so ist, dann ist es so. Wenn das
der Plan gewesen ist, dann war’s das halt.
Sie haben schon unzählige Auszeichnungen bekommen, was bedeuten Ihnen diese
neuen Ehrungen?
In diesem Jahr ist es etwas Besonders, weil ich 20-jähriges Berufsjubiläum
habe. Aber ich werde diese Preise natürlich nicht mit ins Grab nehmen, ich
sterbe ohne all das. Insofern sind diese Auszeichnungen total schön und
machen mir ein gutes Gefühl, aber wenn es sie nicht gäbe, dann gäbe es
etwas anderes.
23 May 2020
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## AUTOREN
Shirin Sojitrawalla
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