| # taz.de -- Ranking im deutschsprachigen Theater: Lebenszeichen des Betriebs | |
| > Rückblick auf eine kurze Spielzeit: Das Jahrbuch 2020 von „Theater heute“ | |
| > reflektiert die Coronazeit und verleiht Ehrentitel an | |
| > Theatermacher:innen. | |
| Bild: Höhenflüge in „Tanz“ von Florentine Holzinger | |
| Brecht trägt einen Mund-Nasen-Schutz. Die Bronzestatue, die in Berlin vor | |
| dem Berliner Ensemble sitzt, ist auf dem Titelblatt des Jahrbuchs der | |
| Zeitschrift Theater heute abgebildet. Das blickt jedes Jahr Ende August auf | |
| eine Spielzeit zurück, mit Interviews, Künstler:innenstatements, Essays und | |
| einer in der Theaterwelt mit Spannung erwarteten Kritikerumfrage, der | |
| wichtigsten ranking-Liste im deutschsprachigen Theater. Diesmal unter dem | |
| Titel „Die große Pause“, endete doch die Spielzeit unter Bedingungen von | |
| Corona sehr früh Mitte März. | |
| Bilder der Leere und der Stille, von stillstehenden Schaukeln, Theatersälen | |
| mit ausgebauten Stühlen, von leeren Theaterschaukästen und Kassenhäuschen, | |
| von Absperrungen in Lesesälen und Treppenaufgängen ohne Menschen bringen | |
| visuell die Zeit des Lockdowns zurück. Aber dazwischen sind schon ganze | |
| Anzeigenseiten, auf denen die Theater aus Dresden oder Köln ihren Spielplan | |
| 2020/2021 bewerben. Man nimmt die jetzt anders als früher als Lebenszeichen | |
| des Betriebs wahr. | |
| Der erste Teil des Jahrbuchs gilt immer der Reflexion: Was ist sichtbarer | |
| geworden von der Verfasstheit der Gesellschaft in der Coronazeit, welche | |
| sozial übersehenen Gruppen verlangen mehr Aufmerksamkeit, wie hat die | |
| Coronakrise die Digitalisierung beschleunigt? Darüber denken der Soziologe | |
| Andreas Reckwitz, der Kurator Christoph Gurk und einige Dramatiker nach. | |
| ## Kategorie: Systemrelevanz | |
| Thomas Köck etwa beschäftigt sich mit der Karriere des Begriffs | |
| „Systemrelevanz“, seinen Bedeutungsverschiebungen. Plötzlich ist das eine | |
| neue Kategorie der Selbstbewertung: „ich / stell mich doch / für dieses | |
| scheißsystem nirgendwo an / heut gibts applaus / und morgen sinkt der lohn | |
| / scheiß doch der hund drauf“, dichtet er und „ich will es nicht / euer | |
| system und auch nicht / eure relevanz“. | |
| Ebenso denkt [1][der Regisseur Milo Rau] mit Bitterkeit an die | |
| Milliardenhilfen für Fluggesellschaften und Automobilkonzerne, „Sektoren, | |
| die an der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen entscheidenden Anteil | |
| haben“, aber entdeckt auch die Kraft zu solidarischen Prozessen. | |
| Insofern ist das Jahrbuch 2020 nicht einfach business as usual, sondern | |
| mehr Bestandsaufnahme von Veränderungen und Verunsicherungen der | |
| Gesellschaft. Und mehr daran interessiert, was das inhaltlich für die | |
| Theater heißt, als nach den ökonomischen Bedingungen des Betriebs in der | |
| Krise zu fragen. Das überrascht. | |
| Last but not least: Die Umfrage unter 44 Kritiker:innen. Theater des Jahres | |
| wurden die Münchner Kammerspielen, zum zweiten Mal in der [2][Intendanz von | |
| Matthias Lilienthal, der sich dort verabschiedet.] Zwei Frauen werden als | |
| Regisseurinnen für die aufregendsten Inszenierungen ausgezeichnet: | |
| [3][Florentina Holzinger für „Tanz“], eine wirklich ungewöhnliche | |
| Performance über den weiblichen Körpereinsatz, Disziplin, Spaß und Schmerz | |
| im Ballett und im Horrorgenre, und die [4][„Räuberinnen“ von Leonie Böhm], | |
| die Schiller als Sprungbrett nutzt, um Versagensangst und Scham | |
| abzuschütteln. Zwei Inszenierungen mit einem durchweg weiblichen Cast, das | |
| ist schon ungewöhnlich. | |
| Schauspielerin des Jahres wurde [5][Sandra Hüller für ihren Hamlet] aus | |
| Bochum und Schauspieler des Jahres [6][Fabian Hinrichs für seine Arbeit in | |
| René Polleschs] „Glaube an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der | |
| Welt“ im Friedrichstadt-Palast Berlin. | |
| 27 Aug 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Theaterprojekt-mit-Landlosen-in-Brasilien/!5670534 | |
| [2] /Matthias-Lilienthal-zieht-Muenchen-Bilanz/!5696664 | |
| [3] /Tanz-von-Florentina-Holzinger/!5629096 | |
| [4] /Regisseurin-Leonie-Boehm/!5644369 | |
| [5] /Schauspielerin-Sandra-Hueller-im-Gespraech/!5684635 | |
| [6] /Rene-Pollesch-am-Deutschen-Theater/!5646469 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
| ## TAGS | |
| Theater | |
| Münchner Kammerspiele | |
| Sandra Hüller | |
| Milo Rau | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Maxim Gorki Theater | |
| Theater | |
| Schauspielerin | |
| Berliner Stimmen | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neue Spielzeit am Maxim Gorki Theater: Immer auf die andere Seite wollen | |
| Am Gorki Theater feiert „Berlin Oranienplatz“ von Hakan Savaş Mican | |
| Premiere. Das Stück ist eine moderne Interpretation von Alfred Döblins | |
| Roman. | |
| „Melissa kriegt alles“ von René Pollesch: Wegen der Hühner | |
| Revolution ist nur noch Folklore. René Pollesch eröffnet die Spielzeit am | |
| Deutschen Theater Berlin mit frischer Lüftung und Schauspielstars. | |
| Schauspielerin Sandra Hüller im Gespräch: „Ich vermisse das Publikum“ | |
| Sandra Hüller spielt die Hauptrolle in „Hamlet“ am Bochumer Schauspielhaus. | |
| Für sie war die Fernsehaufzeichnung des Stücks eine intime Erfahrung. | |
| Berliner Stimmen aus der Quarantäne (2): In wessem System? | |
| Leere Säle, digitale Bühnen?: HAU-Intendantin Annemie Vanackere über den | |
| Theaterausfall der letzten Wochen und die Fragen, die er zum Vorschein | |
| bringt. | |
| Theaterbetrieb in Coronazeiten: Das Zittern fehlt | |
| Zum ersten Mal in seiner 57-jährigen Geschichte muss das Berliner | |
| Theatertreffen ausfallen. Der digitale Platzhalter ist kein gleichwertiger | |
| Ersatz. |