# taz.de -- Berliner Stimmen aus der Quarantäne (2): In wessem System? | |
> Leere Säle, digitale Bühnen?: HAU-Intendantin Annemie Vanackere über den | |
> Theaterausfall der letzten Wochen und die Fragen, die er zum Vorschein | |
> bringt. | |
Bild: Der Saal blickt zurück: Auch das HAU 1 wartet auf seine Zuschauer:innen. | |
taz: Frau Vamackere, was würden Sie in einer Welt ohne Covid-19 gerade | |
machen? | |
Annemie Vanackere: Da wäre ich jetzt mit dem Mai-Programm des HAU | |
beschäftigt, mit [1][Natasha A. Kellys] „M(a)y Sisters“ in Erinnerung an | |
die Dichterin May Ayim zum Beispiel und mit den beiden HAU-Ko-Produktionen, | |
die in diesem Jahr zum Theatertreffen eingeladen waren: „Chinchilla | |
Arschloch waswas“ von Rimini Protokoll und „Die Kränkungen der Menschheit�… | |
von Anta Helena Recke. Außerdem stünde die Klärung letzter Details unseres | |
Spielzeitabschlusses im Juni an, da hatten wir das Festival „Unacknowledged | |
Loss #2“ angesetzt, dass sich mit den Themen Trauer und Verlust befasst – | |
dass das nicht wie geplant stattfinden kann, ist für alle Beteiligten | |
bitter, auch weil diese Themen jetzt eine noch akutere Bedeutung bekommen | |
haben. | |
Mit der Rückkehr zur nationalen Grenzpolitik und dementsprechenden | |
Reiseeinschränkungen finden das internationale Tanz- und | |
Performance-Programm sowie eine Residenz und Premiere der chilenischen | |
Theatermacherin Trinidad Gonzalez natürlich nicht statt. Zum Glück haben | |
wir mit der tollen Kuratorin Barbara Raes für das besondere | |
Residenzprogramm mit neun Berliner Künstler*innen ein Online-Format | |
gestalten können. | |
Was haben Sie zuletzt gestreamt, das Sie besonders gut oder schlecht | |
fanden? Und warum? | |
Ich war schon immer Radiohörerin und bin das jetzt noch mehr geworden, da | |
ich im Home Office zwischendurch häufiger einfach mal reinhören kann. So | |
hat die Mediathek von Deutschlandfunk viele Schätze zu bieten. Und | |
natürlich auch die rbb Abendschau, die ich sonst immer verpasse, weil ich | |
im Theater bin. | |
Was halten Sie vom (oft kostenlosen) Streaming von Theateraufführungen, | |
Konzerten, DJ-Sets oder Lesungen? | |
Wir befinden uns in einer Übergangsphase. Vieles wird kostenlos bleiben; | |
ich glaube aber auch, dass die Bereitschaft wachsen wird, für | |
Qualitätsangebote zu zahlen. Das wird anders sein als einfaches Streaming – | |
ein Angebot, das im und fürs Internet gemacht wird. Natürlich kann das | |
Internet das Theater als kollektives Erlebnis und Live-Moment der | |
Akteur*innen auf einer Bühne nie ersetzen. Und das vermisse ich auch. | |
Zugleich werden diese neue Formen auch nicht mehr verschwinden – welcome to | |
the digital present! –, und tut es deswegen auch Not darin zu investieren. | |
Welchen Ort in Berlin vermissen Sie gerade am meisten? | |
Die Orte, an denen man sich sonst gerne versammelt natürlich, Theater, | |
Kinos, Terrassen von Restaurants und Kneipen und viele andere öffentliche | |
Orte. | |
Womit vertreiben Sie sich aktuell am liebsten die Zeit? Welche Routinen | |
haben Sie seit dem Lockdown entwickelt? | |
Von ‚Zeit vertreiben‘ kann nicht die Rede sein! Wir tüfteln ja gerade sehr | |
intensiv an unserem Programm [2][#HAUonline] weiter, beispielsweise mit | |
einer online-Premiere im Juni von Gob Squad, und ich denke noch intensiver | |
darüber nach, wie die nächste Saison wohl aussehen kann. Aber die | |
Freizeitgestaltung hat sich natürlich verändert. Ich habe endlich mal die | |
DVDs der alten BBC-Serie „House of Cards“ aus den 90ern ausgepackt, die | |
schon so lange unangetastet in meinem Regal standen. Herrlich. | |
Ist die Pandemie nur Krise oder auch Chance? | |
Die Coronakrise ist nicht nur eine durch ein Virus ausgelöste Krise. | |
Covid-19 scheint wie unter einem Brennglas zu zeigen, was nicht stimmt: | |
Nicht, wer oder was systemrelevant ist, aber in wessen und welchem System | |
wir verhaftet sind. Ich habe die Hoffnung, dass bestimmte Veränderungen von | |
Dauer sein werden und etwas bewegen: Die überfällige Anerkennung von | |
Pflege- und Care-Berufen, die sich endlich auch finanziell niederschlagen | |
sollte, zum Beispiel. Oder die dringende Antwort auf die Frage danach, was | |
wir in unseren westlichen Demokratien wirklich brauchen und was eigentlich | |
verzichtbar ist – mit Blick auf den Klimawandel und globale Gerechtigkeit. | |
Und was ist mit der Erkenntnis, wie patriarchal und kolonial unsere | |
Gesellschaft nach wie vor aufgebaut ist, und die Coronakrise genau das | |
wieder zu verstetigen scheint? Viel zu tun! | |
15 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Schwarze-Frauen-in-Deutschland/!5402118 | |
[2] https://www.hebbel-am-ufer.de/hau-online/ | |
## AUTOREN | |
Philipp Rhensius | |
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