# taz.de -- Kuratorinnen über Digital-Festival: Der Glitch und die Datenpflanz… | |
> Das Festival „Spy on me#3“ will anders über Digitalisierung nachdenken. | |
> Ein Interview mit den Kuratorinnen Annemie Vanackere und Christiane Kühl. | |
Bild: „A Scroll Through the Garden of Tangled Data“ von doublelucky product… | |
taz: „Spy on me“ geht jetzt bereits in die dritte Runde. Was hat | |
ursprünglich das Interesse an Überwachung und Big Data ausgelöst, und was | |
ist neu an Themen und Erfahrungen hinzugekommen? | |
Annemie Vanackere: Überwachung und Big Data standen beim ersten Festival | |
2018 stärker im Fokus. [1][Letztes Jahr gab es bereits den Untertitel | |
„Künstlerische Manöver für die digitale Gegenwart“.] Der ist für mich | |
weiterhin noch gültig, auch wenn jetzt das Thema „New Communities“ | |
hinzugekommen ist. | |
Was genau meint „Künstlerische Manöver“? | |
AV: Als Theater müssen wir uns um die strukturellen und gesellschaftlichen | |
Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, kümmern. Was macht | |
das mit unseren Ideen und Begehren, mit uns als politischen Wesen, als | |
Konsumwesen, aber auch als Wesen, die mit allen und allem auf diesem | |
Planeten verknüpft sind. Ohne unsere kritische Betrachtung von Big Tech und | |
Digitalem Kapitalismus zu verlieren, wollen wir mit künstlerischen Manövern | |
auf die positiven Möglichkeiten und Entwicklungen des digitalen Wandels | |
blicken, uns spielerisch Raum erobern und dabei schauen, welcher Spaß für | |
die Gegenwart entwickelt werden kann. | |
Wie viel Spaß hat die durch den Lockdown beschleunigte Digitalisierung im | |
Theater mit sich gebracht? | |
AV: Der Spaß lag darin, dass es gelungen ist, einiges von dem zu | |
transportieren, was uns wichtig war, zum Beispiel ein | |
künstlerisch-subversiver Umgang mit sozialen Plattformen, die unseren | |
Alltag so eng begleiten und gerade aufgrund des ausgerufenen physical | |
distancing immer wichtiger werden. Aber natürlich fehlt uns das analoge | |
Zusammensein. Das ist dann auch die Brücke zu den New Communities. Lasst | |
uns gucken, wo und wie wir zusammenkommen können. | |
Christiane Kühl: Als im letzten Jahr unsere Installation „Garden of Tangled | |
Data“ zehn Tage vor der Premiere abgesagt wurde, hat das überhaupt keinen | |
Spaß gemacht. Als doublelucky productions sind wir 2020 oft angesprochen | |
worden, wie toll es für uns sein müsse, dass der digitale Raum jetzt im | |
Theater eine solche Aufwertung erfahre. Aber das stimmt für uns so nicht: | |
Für die kritische Auseinandersetzung mit der Digitalisierung haben wir ja | |
ganz bewusst den Theaterraum gewählt. Das Theater als physischer Raum ist | |
ein safe space, in dem wir böse Sachen machen können, wie etwa die Telefone | |
unseres Publikums zu hacken – eben genau ohne dass die Daten den Raum | |
verlassen. Diese Sicherheit gibt es im Netz nicht. Jetzt geht es darum, wie | |
man innerhalb des digitalen Raums eine Distanz zur Digitalisierung | |
herstellen kann. Das ist schwieriger. Die meisten suchen ja, ganz im | |
Gegenteil, weniger Distanz. In diesem Jahr hatten wir unsere Arbeit als | |
Hybrid geplant, live im Raum mit Dateninteraktion des Publikums. Aber | |
leider ist auch das nicht erlaubt. | |
Jetzt erfolgt der Zugang nur über ein Browserfenster? | |
CK: Die Smartphones der Teilnehmer*innen spielen auch mit. | |
Wie muss man sich bei dem von Ihnen entwickelten Datengarten das Hegen und | |
Pflegen der digitalen Pflanzen vorstellen? | |
CK: Wir nutzen die Metapher der Pflanzenwelt, um anders über Daten | |
nachzudenken. Wenn man mit ungewohnten Begriffen operiert, entdeckt man | |
mehr. Und tatsächlich gibt es viele Überschneidungen: Beide operieren in | |
Netzwerken, sie haben bunte Blüten/Interfaces; der größte Teil des | |
Organismus – die Wurzeln, das Back End – arbeitet im Dunkeln. In den | |
vergangenen Jahren wurde viel Natur durch Sensoren vermessen. Statt mehr | |
Vegetation zu datafizieren, wollen wir Daten vegetalisieren. Auf diese Idee | |
hat uns der Philosoph Michael Marder gebracht. Virtuelle Realität steckt | |
bereits in den Pflanzen. | |
… also als komprimierte Information in der DNA, die dann nur ausgelesen | |
werden muss?... | |
CK: Schon im Samen als Vermögen, dass eine Pflanze daraus entsteht, die in | |
der Form noch gar nicht festgelegt ist. Für Marder drückt sich echte | |
Virtualität in Möglichkeiten aus, die noch nicht realisiert sind. | |
Ein wichtiges Stichwort beim Festival ist Glitch. Die Kuratorin und Autorin | |
Legacy Russell betrachtet im Manifest „Glitch Feminism“ den Glitch nicht | |
mehr als technische Störung, sondern als den Moment, in dem die Fehler, die | |
in der Struktur von binären Systemen stecken, auffallen und dann sogar | |
korrigiert werden. Wie wird es beim Festival „glitchen“? | |
AV: Mit diesem Begriff kann man operieren, um Binaritäten aufzusprengen, | |
und auch, um neue Beziehungen herzustellen. Der*die nichtbinäre | |
Performer*in Oozing Gloop kommuniziert in „FEEEEEED v2.1“ mit | |
künstlichen Intelligenzen. Es geht darum, was entsteht, wenn Menschen mit | |
Maschinen ko-kreieren. | |
CK: Glitch wird umgedeutet vom Fehler zum Ideal: Wir wollen das Protokoll, | |
das nur von 0 nach 1 springt und wieder zurück, gar nicht. Es ist wichtig, | |
diesen Ausbruch zu haben. | |
Beim Einsatz von digitalen Technologien im Theater ging es oft aber darum, | |
den Glitch zu vermeiden, alles erst einmal störungsfrei zu beherrschen. Wie | |
beurteilen Sie den Aneignungsprozess der digitalen Technologien durch die | |
Performativen Künste? Wie vor allem könnte Souveränität zurückgewonnen | |
werden? | |
CK: Es gibt noch gar keine Souveränität, würde ich behaupten. Wir sind in | |
einer Ausprobierphase, durch die man durch muss. Das erinnert mich etwas an | |
die Videokunst der 1960er und 1970er Jahre. Da entstand auch vieles, was | |
eigentlich total langweilig ist, weil es nur technische Spielerei ist. Auch | |
wenn es heute interessant ist. | |
Für die ganz neuen Künste wurde das HAU4 eröffnet. Wird diese Digitalbühne | |
über die Pandemie hinaus erhalten werden? | |
AV: Auf jeden Fall! Das HAU4 ist eine Spielstätte mit eigener Dramaturgie, | |
mit eigenen Kompetenzen in Produktion und Technik. | |
Und Sie werden diese Entwicklung noch länger begleiten, Frau Vanackere? Sie | |
haben gerade Ihren Vertrag am HAU verlängert, korrekt? | |
AV: Ja, ich habe bis August 2025 verlängert und freue mich darauf, weiter | |
neue Formate zu aktuellen Fragestellungen mit entwickeln zu können und | |
künstlerische Manöver zu ermöglichen. | |
22 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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