# taz.de -- Linken-Abgeordnete Juliane Nagel: Ein rotes Tuch für Rechte | |
> Juliane Nagel konnte das bisher einzige linke Direktmandat für den | |
> Landtag gewinnen. Sie macht sich gegen Rechte in Sachsen stark. | |
Bild: Will Sachsen nicht den Rechten überlassen: Juliane Nagel, Landtagsabgeor… | |
Normalerweise kocht Juliane Nagel nicht. Doch am Mittwochabend verteilt sie | |
Aufgaben zum Gemüseschnippeln, schwitzt Zwiebeln, schüttet Salz in ihre | |
Hand, bevor es im Topf landet. Im dem brodelt Tomaten-Kokosnuss-Suppe für | |
zehn taz-Redakteur*innen. „Weiß jemand, wie dieser Herd funktioniert?“, | |
hatte sie vorher gefragt und sich gewundert, dass die Herdplatte | |
zwischendurch ausgeht. Aber das Ergebnis schmeckt. Und der wirkliche Grund | |
für die Einladung in die Dresdner taz-WG ist ohnehin das politische | |
Gespräch. | |
Seit 2014 gibt es dank Nagel einen dunkelroten Fleck in der schwarzen | |
Politiklandschaft Sachsens. Sie konnte das Direktmandat für den Wahlkreis | |
Leipzig-Connewitz als Kandidatin der Linkspartei gewinnen. Bei der | |
Kommunalwahl im Mai 2019 bekam sie in Leipzig mit großem Abstand das beste | |
Ergebnis aller zur Kommunalwahl angetretenen 649 Kandidat*innen. | |
Der CDU gilt sie als Anführerin der Autonomen. Der CDUler Robert Clemen, | |
dem sie 2014 den Landtags-Wahlkreis abgeknöpft hatte, nannte sie nur | |
„Chaos-Jule“ und fürchtete, sie könne die Leipziger Stadtteile Connewitz | |
und Südvorstadt zur „Autonomenrepublik umgestalten“. „Ist diese Frau | |
wirklich so gefährlich?“, [1][bangte daraufhin die Zeit], und der | |
Bayerische Rundfunk dichtete: „Who’s afraid of Jule Nagel?“ | |
Bislang ist der Umbau zur Autonomenrepublik nicht sonderlich weit | |
vorangeschritten, allerdings gehört ziviler Ungehorsam, wie etwa | |
Sitzblockaden, zu Nagels Politikstil. So versucht sie etwa die Märsche des | |
Leipziger Pegida-Ablegers Legida zu verhindern. Und auch als Anfang Juli in | |
Leipzig Hunderte Menschen die Abschiebung eines kurdischen Syrers | |
verhindert wollten und die Polizei mit Gewalt gegen sie vorging, war Nagel | |
vor Ort. „Abschiebungen sind die eigentliche Gewalt!“, [2][twitterte sie]. | |
Die Asylpolitik hält sie für problematisch: „Die Situation in | |
Erstaufnahmeeinrichtungen ist katastrophal.“ | |
## Die SPD will eher nicht mit der Linken koalieren | |
1978 wurde sie in Leipzig geboren, ist dort aufgewachsen, besuchte die | |
Schule und absolvierte die Uni. Mit 20 wurde sie – damals für die PDS – in | |
den Leipziger Stadtrat gewählt. Sie wohnt auch heute noch in Connewitz. | |
„Kein Mensch soll in Armut leben, auf keinen soll herabgeblickt werden.“ | |
Deshalb sei sie bei der Linken, sagt sie. | |
Die ist seit den 1990ern die größte Oppositionspartei im sächsischen | |
Landtag. Gefällt die Fraktion sich in dieser Rolle? Nagel verneint. Aber | |
sie sagt auch: „Auf Landesebene kann man ja nicht viel machen.“ Im Landtag | |
hingegen hielten sich CDU und SPD streng an ihren Koalitionsvertrag. | |
Gesetzesvorschläge, die nicht darin vorkommen, hätten keine Chance. Im | |
Leipziger Stadtrat könne sie viel mehr bewegen. Nach einer Pause ist sie | |
dort seit 2009 ohne Unterbrechung Mtglied. Und habe eine Preissteigerung im | |
öffentlichen Nahverkehr verhindern können – gemeinsam mit der CDU. | |
Über eine rot-rot-grüne Koalition in Sachsen will Nagel nicht spekulieren. | |
Die SPD wolle eher nicht mit der Linken koalieren. Nagel sagt, sie tue sich | |
schwer damit, sich zwei Parteien zu öffnen, die bei den schlimmsten | |
Sozialgesetz- und Asylrechtsverschärfungen dieser Zeit mitgemacht hätten. | |
Zugleich würde sie der reaktionären Politik der CDU gern etwas | |
entgegensetzen. In ihren Augen war die sächsische Union die Wegbereiterin | |
für Pegida und die AfD. Das habe auch kürzlich wieder [3][der Vergleich | |
zwischen Sozialismus und Nationalsozialismus] gezeigt. | |
„Ich habe bei der CDU in Sachsen das Gefühl, dass sie immer zuerst sagen: | |
Wir arbeiten nicht mit der Linken zusammen. Und dann erst: auch nicht mit | |
der AfD“, erklärt sie. Dadurch würden nicht viele Regierungsbündnisse | |
übrigbleiben. Dass die CDU am Ende doch mit der AfD koaliert, hält Nagel | |
dennoch für unwahrscheinlich: „Ist es nicht das Ende der CDU, mit der | |
härtesten Konkurrenz eine Koalition einzugehen?“ | |
Als Anfang Mai die Nazipartei Dritter Weg in Plauen marschierte, war Nagel | |
vor Ort, natürlich, und sprach von „einem Auftritt in NS-Reinform“. Die | |
Neonazis seien „quasi in Uniform“ marschiert, hätten in Reden Migrant*innen | |
und Politiker*innen bedroht. „Das hätte verhindert werden müssen“, sagt | |
Nagel. | |
## „Widerstand, Bambule, wählt die Jule“ | |
2013 bekam sie den Leipziger Friedenspreis für „15 Jahre Kampf gegen | |
Nationalismus“, neben Stadtpolitik ist das [4][ihr Hauptbetätigungsfeld]. | |
In Sachsen gebe es eine Hegemonie der Rechten, sagt Nagel: „Ich benutze das | |
Wort nicht gern, aber es gibt eine Art nationalistisch-rassistischen | |
Konsens. Man kann froh sein, wenn Leute noch anders drauf sind.“ | |
Nachdem Unbekannte im Mai einen Polizeiposten in der Connewitzer | |
Biedermannstraße mit Steinen und Farbbomben angegriffen hatten, | |
[5][twitterte Nagel ein Foto von einer Plakatwand] mit einem kleinen, roten | |
Aufkleber: „Widerstand, Bambule, wählt die Jule“, und kommentierte: | |
„Lieblingsplakat“. Das Social-Media-Team der Polizei fand das | |
„kontraproduktiv“. | |
Entsprechend gut vernetzt ist sie in der antifaschistischen Szene, die | |
Drähte zu ihrer Basis sind kurz. Ihr „Linxxnet“ genanntes Connewitzer | |
Wahlkreisbüro wird von einem 15-köpfigen „Kollektiv“ betrieben, linke | |
Gruppen benutzen es für ihre Plena, Expert*innen referieren zu Themen wie | |
dem „Wörterbuch des besorgten Bürgers“. Das gefällt nicht allen: Mitte J… | |
wollte die rechtsextreme Splitterpartei „Aufbruch deutscher Patrioten | |
Mitteldeutschland“ des Ex-AfDlers André Poggenburg dort vorbeimarschieren. | |
Die Polizei allerdings ließ Poggenburg nicht durch – zu gefährlich sei | |
dies. | |
Als sie mit ihrem Abgeordnetenausweis den Legida-Geburtstag beobachtete, | |
ging eine Gruppe von 30 Männern auf sie zu und riet Nagel, sie solle sich | |
„verpissen, wir wollen keine Antideutschen, die Deutschland verraten, hauen | |
Sie ab“. Nagel blieb. „Sie bewahrt die Ruhe, wenn es auf Demos Stress | |
gibt“, sagen Leute, die sie gut kennen. Und dass sie eine „Schnittstelle | |
zwischen Partei und Bewegung“ sei. Nicht zuletzt deshalb meldet Nagel wohl | |
auch ohne Unterlass selbst Demonstrationen an – als nächstes das | |
WannWennNichtJetzt-Konzert im August in Plauen. | |
Für ihre antifaschistische Arbeit wird Nagel auch im Alltag per E-Mail und | |
Brief bedroht. „In Sachsen ist das seit vier, fünf Jahren Realität“, sagt | |
sie. Im März 2017 wurde Nagels Wahlkreisbüro in Connewitz mit scharfer | |
Munition beschossen. Danach habe das Büro umziehen müssen, denn die | |
Vermieterin habe nicht die rechten Täter*innen für das Problem gehalten, | |
sondern Nagel. Aufhören will sie trotzdem nicht. „So viele Drohmails sind | |
es nicht mehr.“ | |
25 Jul 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zeit.de/2015/16/juliane-nagel-die-linke-leipzig | |
[2] https://twitter.com/luna_le/status/1149005243318964231 | |
[3] /CDU-in-Sachsen/!5612972 | |
[4] /Linken-Politikerin-ueber-Hass-in-Chemnitz/!5531376 | |
[5] https://twitter.com/luna_le/status/1124738261216366593 | |
## AUTOREN | |
Linda Peikert | |
Belinda Grasnick | |
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