| # taz.de -- Polizeieinsatz in Leipzig: Fast wie beim G20-Gipfel | |
| > Im Juli löste die Polizei in Leipzig die Blockade einer Abschiebung auf. | |
| > Betroffene und Zeugen reden von Polizeigewalt. Aufklärung gibt es nicht. | |
| Bild: Blockade der Abschiebung in der Nacht zum 10. Juli in Leipzig | |
| Leipzig taz | Noch immer kämpft Kim* mit Schwindelattacken. Anderthalb | |
| Wochen sind vergangen, seitdem man ihn aus dem Krankenhaus entlassen hat. | |
| „Schädel-Hirn-Trauma durch Schlag mit Schlagstock auf den Hinterkopf“, | |
| steht im Arztbrief der Klinik. Auch von „Tritten und Schlägen gegen den | |
| Körper“ ist in dem Dokument zu lesen. „Ich merke die Verletzungen jetzt | |
| noch, kann nicht Fahrrad fahren, nehme Sachen lauter wahr. Auch psychisch | |
| ist eine Kopfverletzung eine starke Belastung. Das kann ja auch richtig | |
| übel ausgehen“, erzählt Kim. | |
| Ende Juli sitzt er in einem Café im Leipziger Osten nicht weit entfernt von | |
| dem Ort, an dem in der Nacht auf den 10. Juli [1][ein syrischer Kurde | |
| abgeschoben werden sollte]. Spontan versammelten sich damals rund 500 | |
| Menschen in einer Seitenstraße. Zeitweise blockierten Demonstrantinnen und | |
| Demonstranten ein Polizeiauto. Kurz vor zwei Uhr nachts eskalierte die | |
| Situation. Als Polizeibeamte den Bereich um das Auto räumen, sei es zu | |
| Stein- und Flaschenwürfen gekommen, heißt in der Polizeimeldung. | |
| Augenzeugen schildern, die Polizei sei gewaltsam in die Menschenmenge | |
| gestürmt und habe die Lage grundlos eskalieren lassen. Auch Kim war vor | |
| Ort. | |
| „Ich stand mit dem Rücken zur Polizei, habe mich weggedreht, weil da schon | |
| auf Menschen eingeschlagen wurde. Als ich den Schlag auf den Kopf bekommen | |
| habe, hat es kurz geblitzt und im nächsten Moment lag ich auf dem Boden“, | |
| schildert er. „Eine Grundanspannung war da, aber ich rechne doch nicht | |
| damit, stationär im Krankenhaus zu landen“, rekapituliert er die Situation. | |
| Seine Verletzungen sind klar dokumentiert, Anzeige gegen die Polizei will | |
| er dennoch nicht erstatten. Er sagt, in dem Fall erwarte er eine | |
| automatische Gegenanzeige. Mit diesem Gedanken ist er nicht allein. | |
| Bei der Leipziger Polizei liegen derzeit keine Erkenntnisse bezüglich | |
| Anzeigen gegen Polizeibeamte im Zusammenhang mit dem Einsatz am 9. Juli | |
| vor, teilt ein Sprecher mit. „Ebenso bestehen keine Erkenntnisse, die | |
| Anlass zu dienstrechtlichen Schritten böten.“ Hinweise darauf, dass bei dem | |
| Einsatz Demonstrantinnen, Passanten oder Anwohner verletzt wurden, gebe es | |
| „allein in medialer Art“. | |
| ## Dutzende Verletzte? | |
| Das Leipziger Bündnis „Cop Watch Le“ spricht hingegen von „dutzenden | |
| Verletzten durch Schläge und Tritte, Bewusstlose, mindestens einen | |
| gebrochenen Oberschenkel durch Tritte, Platzwunden, Prellungen und viele | |
| offene Wunden“. Hinzu kämen mindestens 150 Menschen, die durch Pfefferspray | |
| geschädigt wurden. Ähnlich dramatisch lauten die Schilderungen mehrerer | |
| Leipziger Lokalpolitiker und -politikerinnen, die an dem Abend vor Ort | |
| waren. | |
| Videos des Abends zeigen, wie Polizeibeamte einzelne Personen jagen und | |
| erst wieder von ihnen ablassen, als diese zu Boden gehen. In anderen | |
| Aufnahmen sind Schläge und Tritte gegen Personen zu sehen, die am Boden | |
| liegen. | |
| Bereits am Morgen nach den Ausschreitungen wird ein Statement von Sachsens | |
| Innenminister Roland Wöller veröffentlicht – mehrere Stunden bevor sich die | |
| Polizei erstmals öffentlich äußert. Wöller sei „entsetzt darüber, mit | |
| welcher Wut und Gewalt die Polizeibeamten bei ihrer Arbeit bedroht und | |
| angegriffen wurden“, heißt es darin. Das Innenministerium spricht von elf | |
| verletzten Beamten. Man werde gegen die Verantwortlichen zügig ermitteln | |
| und diese mit harten Strafen zur Rechenschaft ziehen, erklärte Wöller. | |
| ## Parallelen zu G20 | |
| Mindestens drei Personen wurden an dem Abend verhaftet. Zwei von ihnen | |
| sitzen seitdem in Untersuchungshaft – weil sie keine deutschen Staatsbürger | |
| sind, wird Fluchtgefahr angenommen. Rechtsanwalt Christian Mucha vertritt | |
| einen der Inhaftierten, der zu Besuch bei Freunden im Leipziger Osten war, | |
| als dort die Gewalt eskalierte. Laut Mucha wird seinem Mandanten unter | |
| anderem Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. | |
| „Ihm werden alle – möglicherweise – verletzten Polizeibeamten und | |
| beschädigten Einsatzwagen an diesem Abend zugerechnet, ohne dass ihm selbst | |
| eine konkrete Verletzung oder Sachbeschädigung vorgeworfen wird.“ | |
| Mucha sieht im Umgang der sächsischen Justiz mit der Nacht des 9. Juli | |
| Parallelen zum Vorgehen der Ermittlungsbehörden in den G20-Verfahren. Nach | |
| den Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg saß ein italienischer | |
| Schüler knapp fünf Monate in Untersuchungshaft, weil aufgrund der | |
| Staatsangehörigkeit Fluchtgefahr unterstellt wurde. Ihm wurde ebenfalls | |
| keine eigenhändige Beteiligung an Straftaten vorgeworfen. | |
| Ende Juli trafen sich Leipziger Politikerinnen und Politiker mit der | |
| lokalen Polizeiführung. Unmittelbar nach dem Einsatz hatte das Bündnis | |
| Leipzig nimmt Platz [2][die Polizei scharf kritisiert] und in einem offenen | |
| Brief an den Leipziger Polizeipräsidenten um ein Gespräch gebeten. „Zweifel | |
| an der Verhältnismäßigkeit wollten die nicht aufkommen lassen“, fasst | |
| Juliane Nagel (Linkspartei) das Gespräch zusammen. Man habe seitens der | |
| Polizei möglichst wenig über das konkrete Geschehen sprechen, sondern | |
| stattdessen in die Zukunft blicken wollen. | |
| 4 Aug 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Aiko Kempen | |
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