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# taz.de -- Katja Kipping zu Besuch in der taz-WG: „Ich klebe nicht an der er…
> Die Linken-Chefin kocht für die taz-WG in Dresden. Sie verrät ihre
> Lieblingsorte in Sachsen, welche Musik sie wann hört und woher die Wut
> vieler Sachsen kommt.
Bild: Eierkuchen wie bei Großmuttern: Katja Kipping hielt sich in der taz-WG a…
Dresden ist die letzte Station unserer Reise. Wir treffen uns in der taz-WG
im Stadtteil Plauen. Pünktlich um 17 Uhr kommt Katja Kipping an. Wir haben
sie zum Sachsen-Dinner in ihrer Heimatstadt eingeladen. Das Menü hat sie
selbst vorgeschlagen: Griechischer Salat, Mohn-Zitronen-Pasta mit viel
Parmesan, sächsische Eierkuchen nach dem Rezept ihrer Großmutter. Kipping
hat uns eine Einkaufsliste geschickt. Nach einem kurzen Hallo legt sie
gleich mit los. Sucht Brettchen und Messer in der ihr fremden Küche
zusammen. „Wer will Zwiebeln schneiden?“ Ihr Pressesprecher opfert sich.
Weitere Aufgaben werden verteilt. Direkt Weißweinschorle? „Erst mal Wasser
bitte. Ich muss noch in den Flow kommen beim Kochen.“
taz am wochenende: Frau Kipping, warum haben Sie dieses Rezept ausgewählt?
Katja Kipping: Ich wollte etwas kochen, das ich gut kann. Die
Zitronen-Mohn-Pasta kommt aus meinem Dresdner Freundeskreis. Mittlerweile
hat es zwar alle irgendwie nach Berlin verschlagen, wir treffen uns aber
regelmäßig zum Mädelsabend. Dass der Salat rot-rot-grün ist, ist eher
Zufall. Mir schmeckt er, und er hat etwas heimeliges. Als ich klein war,
gab es oft Tomate mit Ziegenkäse.
Und die Eierkuchen kommen von der Großmutter.
Ja, die war sehr sparsam, hat gegorene Milch statt Buttermilch verwendet.
Ich nehme Buttermilch oder Kefir. Nach dem Abi war ich im
Freiwilligendienst in Gatschina bei Sankt Petersburg. Dort gab es oft
Bliny, die russische Variante. Auch sehr lecker.
Wie oft kommen Sie dazu, zu kochen?
Wenn es gut läuft, habe ich jedes zweite Wochenende frei. Dann kochen wir.
Und wenn ich schreibe, ein Buch oder eine Flugschrift, dann mache ich
Homeoffice und koche in der Mittagspause für mich, während nebenbei Serien
laufen: „Haus des Geldes“, „Good Girls“, „Big Bang Theory“…
Das Essen wirkt auf uns gerade nicht besonders sächsisch. Sie sind
Vegetarierin, was isst man da in Sachsen?
Kartoffeln mit Kräuterquark und Leinöl? Ich esse ja Fisch, das ist
eigentlich Tierrassismus. Als wir als Jugendliche beim Wahlkampf übers Land
gefahren sind, haben die Genossen in den Kleinstädten uns gerne mit
Bratwurst empfangen, aber viele von uns waren Vegetarier.
Kipping hat auch beim Kochen kein Problem damit, Anweisungen zu geben.
Manchmal klingt sie wie eine Fernsehköchin: „Bitte in sehr kleine Würfel,
dann entfaltet sich das Aroma besser.“ Nach 30 Minuten zieht sie ihr
langärmliges Shirt aus, wirft es aufs Sofa und widmet sich den Zitronen,
die sie mit einem kleinen Löffel auspresst. Schnell bindet sie sich ein
Küchenhandtuch vor die Hose.
Jetzt muss ich auch mal was fragen: Was haben Sie denn so erlebt auf Ihrer
Tour durch Sachsen?
Wir waren beeindruckt von den jungen Aktiven und den alten Bürgerrechtlern,
die in [1][Plauen] zusammen an einem Tisch sitzen.
Wenn du gegen Nazis bist in Plauen, das ist echt kein einfaches Leben. Ich
war letztens zu Besuch dort, da kam ein Bürgerrechtler auf mich zu. Der
wusste schon, was ihn in der Vergangenheit von uns getrennt hat – aber
auch, warum er jetzt mit der Linken zusammenarbeitet.
Was uns auch aufgefallen ist: Wir waren sehr beeindruckt, wie schön saniert
die Städte waren …
… die Marktplätze, klar, da hat sich viel getan.
Aber nur weil die Straßen schön sind, gibt es nicht unbedingt einen Bus,
der darauf fährt.
Je idyllischer die Landschaft, umso schlechter die Stimmung, hat eine
Genossin vor Kurzem gesagt. Man kann mit dem Abgehängtsein unterschiedlich
umgehen. Ich war letztens in einem Dorf in Brandenburg, da wohnen keine 100
Einwohner. Einer hat da gerade in einer Trafostation die kleinste Galerie
der Welt gebaut und lädt zu Vernissagen ein … Will mal jemand den Salat
verkosten, die wirklich wichtigen Dinge hier!
Schmeckt sehr gut.
Und jetzt: Food-Fotografie. Kipping posiert mit dem fertigen Salat. „Machen
wir mal Pause für Instagram und Twitter, räumen den Tisch ab und trinken
Alkohol, oder?“, sagt sie und lässt sich dann die erste Weißweinschorle
einschenken.
Wir haben für das Essen 15 Euro pro Person ausgegeben, inklusive Weißwein.
Ist das viel?
Klar, für jemanden, der auf Hartz IV angewiesen ist, ist das knapp. Paprika
ist teuer, Parmesan auch, der Mohn geht. Gut, ihr habt euch für Wein
entschieden, der teuer ist. Ich habe mit Leuten zusammengewohnt, die waren
auf Hartz IV angewiesen und haben trotzdem im Bioladen eingekauft, weil
ihnen gesundes Essen wichtig war. Wir kämpfen ja dafür, dass sich jeder
gutes Essen leisten kann. Teilen wir uns eigentlich rein in den Einkauf?
Der geht auf uns. Wie war das früher in Ihrer WG?
Da hatte jeder für seinen Alltag seines eingekauft, und wir konnten uns
beim Essen der anderen bedienen. Oft gab es nur eine Butterdose im
Kühlschrank. Und wenn die Butter alle war, hat irgendjemand neue gekauft.
In meiner alten Studi-WG in Dresden waren wir zu fünft. Ich habe immer mit
Leuten zusammengewohnt, bei denen ich wusste: Wenn ich Party mache, steht
das am nächsten Tag nicht in der Presse.
Sie wohnen jetzt mit Ihrer Familie in Berlin, hatten bis vor Kurzem aber
noch ein WG-Zimmer hier.
Ja, aber der Vermieter hat Ärger gemacht bei Untervermietung, so mussten
wir die WG kündigen, als Mitbewohnerinnen mit ihrer Familie zusammenzogen.
Als ich auszog, stand ich auf der Straße und habe auf meinem Handy „Those
were the days, my friend“ abgespielt.
Sie haben mal gesagt: Am liebsten würden Sie Ihren Lebensmittelpunkt in
Dresden haben.
Ja. Wenn ich auf den Elbwiesen bin oder mit dem Fahrrad durch Dresden
fahre, denke ich: So was hat Berlin nicht. Aber hier gibt es auch
Probleme, zum Beispiel einige Schulleitungen, die Pegida nahestehen.
Aber eine Studie hat gerade gezeigt, dass das [2][Bildungssystem in
Sachsen] das beste in Deutschland ist.
Die kam von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, dem Zentralorgan
des Kapitals … Wenn man Zitronen reibt, darf man auch mal zuspitzen.
Dann spitzen Sie doch mal zu: Wie sind die Sachsen?
Ganz einfach: So verschieden wie die Bayern.
Aber es gibt auch Vorurteile, die stimmen.
Wenn Dresdner jemanden treffen, der nicht aus ihrer Stadt kommt, dann
fragen die nicht offen: „Wie findest du Dresden?“, sondern: „Schön in
Dresden, ne?“ In einem Theaterstück von Volker Lösch sagt der Bürgerchor
über Dresden: „Selbst die Ruinen sind hier schöner.“ Das trifft den Stolz
der Dresdner*innen auf ihre Stadt.
Der sächsische Dialekt gilt aber als nicht so schön.
Da machen sich ja gerne alle drüber lustig. Letzten Montag wurde ich gleich
auf den neuen „Tatort“ aus Dresden angesprochen: „Die Schauspieler machen
einen auf sächsisch, können aber nicht mal den Dialekt.“
Haben Sie sich den sächsischen Dialekt abtrainiert?
Nein, nur so klassische Aussprachefehler.
„So, wollen wir jetzt schon Salat essen? Oder zusammen mit dem Hauptgang?“,
fragt Kipping. Uneinigkeit in der Küche. „Wir können ein Los ziehen oder
gute Argumente austauschen.“ Die Politikerin ist stets um Ausgleich bemüht.
Ergebnis, leichte Mehrheit für: jetzt essen. Kipping verteilt Salat in
tiefe Teller und Schüsseln.
Wollen wir Musik hören? Roland Kaiser mit „Schachmatt“, dazu haben Sie
früher auf Wahlkampftour durch Sachsen auf dem VW-Bulli getanzt.
Wir haben eher Rosenstolz gehört. Aber wollen wir nicht lieber Keimzeit
hören?
Warum Keimzeit?
Ich war ein Fan. Als Jugendliche bin ich mal mit einer Freundin getrampt,
mit dem Diktiergerät der Schülerzeitung im Gepäck, um mit der Band zu
sprechen.
Sie waren früher viel mit dem Bulli in Sachsen unterwegs. Wo ist es am
schönsten?
Ich mag besonders Oybin und Jonsdorf, bei Zittau. Da war ich als Kind sehr
oft wandern. Und dort, wo früher Kohleabbau war, sind heute tolle Seen.
Als Jugendliche waren Sie im Umweltzentrum „Brennnessel“ aktiv. Hätten Sie
auch bei den Grünen landen können?
Nein, wer damals links war, der ist zur PDS gegangen. Die führende Kraft
für eine ökologische Verkehrspolitik in Dresden war und ist meine Partei.
Sie stiegen schnell auf, wurden mit 21 jüngste Landtagsabgeordnete in
Sachsen und wurden häufig als Jeanne d’Arc der Linken bezeichnet, als „jung
und schön und klug“.
Und heute nur noch klug? Die Artikel von damals sagen weniger über mich als
über das Bild von Frauen in der Politik. Das würde heute kaum mehr
funktionieren, da hat es einen Fortschritt gegeben. Auch wenn der Hass
gegen Frauen auch ein Teil des Erfolgs der Rechten ist.
Fast zwei Stunden sitzen wir in der Küche in Dresden-Plauen. Zeit für eine
Raucherpause. Kipping raucht nur vor und nach Talkshows, „ein Ritual“, sagt
sie, und in Gesellschaft zum Wein. Sie kommt mit runter, lässt sich eine
Zigarette drehen. Zurück in der Küche stürmt sie sofort wieder an den Herd,
sucht Töpfe für die Nudeln, eine Pfanne für die Soße, kämpft mit dem Herd.
Kipping brät die Zwiebeln an und gibt Mohn und Zitronenschale dazu, dann
kommt Sojasahne darauf. „Oh, die Sauce ist ganz schön suppig.“ Jetzt muss
sie zum ersten Mal improvisieren. „Habt ihr noch Frischkäse im Kühlschrank.
Bei euch ist niemand Veganer, oder?“
Was sollen wir jetzt hören? Doch mal Roland Kaiser?
Den hört man eigentlich nur, wenn man dazu Discofox tanzt. Ich habe vielen
Männern und Jungs in der Linksjugend den Grundschritt beigebracht. Wie wäre
es mit Justice, „You’ll never be alone again“? Der Song von Blockupy.
Wir haben eben beim Rauchen über Wut gesprochen. In Schneeberg haben wir
einen Mann getroffen, pensionierter Lehrer mit Mietshaus, und eine
Rentnerin mit 2.100 Euro im Monat, die trotzdem wütend sind.
Die Wut kommt ja nicht allein aus materiellen Gründen. Das sind nicht alles
objektive Modernisierungsverlierer, eher Modernisierungsskeptiker.
Vielleicht denken sich manche auch, wenn sie wütend sind, werden sie besser
gehört.
Aber das allein erklärt nicht den Erfolg der AfD im Osten.
Ich habe die These der Retraumatisierung. In der Nachwendezeit haben viele
im Osten erlebt, dass alles, was sie bisher geleistet hatten, plötzlich
nichts galt, ihnen wurden Chefs vor die Nase gesetzt, die alles besser
wussten. Ihre Erfahrung war einfach nicht gefragt. Vor allem für Männern
war das ein Problem. Das alles kommt jetzt wieder hoch.
Es gab in der taz die Debatte, ob die [3][Erfahrungen von Ostdeutschen und
Migranten] vergleichbar sind.
Ich sehe das nicht. Ich glaube eher, dass mancher Ostdeutscher auf
muslimische Migranten die Aversion gegenüber Wessis projiziert. Sie
befürchten, dass wieder jemand von außen kommt und ihnen erklärt, dass
jetzt alles anders werden muss.
Sie haben mal von der „schmerzhaften Ungerechtigkeit“ der Wende
geschrieben. Waren Sie wütend?
Nein, ich war beschäftigt mit Pubertät und dem ersten Liebeskummer.
Aber die, die heute wütend sind, wählen AfD.
Die meisten Menschen sind ideologisch nicht so klar einzuordnen. Das fällt
Politikern und Journalisten schwer zu verstehen. Ich habe morgens in
Dresden Menschen vor dem Jobcenter getroffen, die sagen: Nur weil es mir
dreckig geht, wähle ich doch nicht rechts.
Der Hauptgang ist fertig, alle setzen sich an den Tisch. Außer Kipping hat
hier noch nie jemand Nudeln mit Mohn gegessen. „Ein Homerun“, hat die
Freundin gesagt, die ihr das Rezept gegeben hat. Wir essen zu neunt, der
Fotograf isst mit. „Wem gehört jetzt welches Glas?“ Wir stoßen an. Kipping
gibt allen eine kleine Portion und begründet das so: „Wir müssen noch Platz
für die Eierkuchen lassen.“
Bei der taz-Ost-Berichterstattung wird uns vorgeworfen: Jetzt kommen die
Wessis in den Osten, kurz vor den Wahlen.
Ich glaube, es gibt die Angst, dass man sich in der Beschreibung nicht
wiederfindet. Und im Osten gibt es eine größere Distanz zu Medien und
staatlichen Autoritäten.
Aber Medien von außen erkennen ja auch Probleme, die manche nicht sehen
wollen.
Ja, das Problem gab es in den Neunzigern in Ostdeutschland noch stärker. Da
gab es die Bürgermeister, die Kritiker als Nestbeschmutzer ansahen.
Am Samstag findet die #unteilbar-Demo statt, erstmals in Dresden. Ist diese
Reaktion auf den Rechtsruck auch ein Fortschritt: Die liberalen Kräfte in
Ost und West arbeiten auf Augenhöhe zusammen?
Augenhöhe ist ein großes Wort, ich würde sagen: Es gibt inzwischen ein
gewisses Interesse.
Ganz so unteilbar scheint die Gesellschaft doch nicht zu sein. Bei der
Bundestagswahl hatte die Linke Erfolge in westdeutschen, urbanen Milieus.
Im Osten verliert sie. Werfen Sie sich vor, dass die Linke unter Ihrer
Führung zur Westpartei geworden ist?
Nein. Wir haben immer wieder Ostthemen angesprochen. Bevor ich Vorsitzende
wurde, waren wir bei den Jungen besonders schwach. Für die mussten wir
attraktiv werden, um eine Zukunft zu haben. Wir hätten auch sagen können,
wir geben die Jugend auf und werden wie die populistische
Fünf-Sterne-Partei in Italien. Aber das wäre dann nicht mehr meine Partei.
Was ist nach der Bundestagswahl schiefgegangen?
Wir hatten das Momentum am Wahlabend bis 18.10 Uhr. Dann begannen die
internen Konflikte.
Das Momentum liegt jetzt bei den Grünen. Die holt Sie jetzt sogar im Osten
ein.
Sie machen es sich aber auch einfach. Die Stärke von Habeck ist
gleichzeitig seine Schwäche.
Was meinen Sie?
Seine Uneindeutigkeit. Er erzählt oft nur die halbe Geschichte. Aber wenn
er Geschichten zu Ende erzählen würde, bliebe die linke Anmutung auf der
Strecke. Die Klimakrise ist ja nicht beendet, wenn wir einen grünen Kanzler
haben.
Und was ist das Ende der Geschichte?
Wer Klimaneutralität will, muss an die schwarze Null ran, muss Geld
ausgeben, die Millionäre müssen ihre Scheckbücher in die Hand nehmen.
Aber ist es nicht schlau, unkonkret zu bleiben?
Für die Wahl mag es reichen, für wirklichen Klimaschutz reicht es nicht.
Die Grünen werden im Osten trotzdem immer beliebter.
Die AfD hat sich im Osten eher die Grünen als Feindbild genommen, obwohl
wir viel stärker waren bei den Anti-Nazi-Demos. Die aggressive Leidenschaft
von rechts geht immer auf grünen Lifestyle. Von dieser Polarisierung
profitieren die Grünen.
Stellen die Grünen [4][den nächsten Kanzler]?
Das ist längst nicht ausgemacht. Ich glaube, es kann eine Dynamik für eine
linke Mehrheit geben, aber auch eine ins Faschistische wie in Italien, grob
gesagt: Schwarz-Blau. Dann können wir uns überlegen, ob wir in den
Untergrund gehen oder uns auf die Flucht machen.
Kipping kommt kaum zum Essen, ihr Teller ist noch halb gefüllt mit
Mohn-Zitronen-Nudeln. Es ist schon spät, aber es gibt noch einen letzten
Gang. Eierkuchen nach Omas Art. Kipping sucht Mehl, Eier, Backpulver. „Seid
ihr noch sehr hungrig?“ Sie kippt die Zutaten nach Gefühl zusammen,
vermischt sie mit der Gabel, es werden später fast 20 mittelgroße
Eierkuchen.
Wir haben nach vier Stunden nicht einmal den Namen [5][Sahra Wagenknecht]
genannt. Gut, oder?
Die Geschichte ist doch auserzählt.
Dann müssen wir jetzt aber noch über Ihre politische Zukunft sprechen. In
der Zeit stand letztens, Sie würden über Ihren Rückzug nachdenken.
Meine persönliche Situation ist derzeit genauso offen wie die
gesellschaftliche.
In dem Moment, in dem es wieder eine Bewegung auf der Straße gibt, die die
parlamentarische Politik vor sich hertreibt, und es wieder eine reelle
Chance auf eine rot-rot-grüne Mehrheit gibt, denken Sie über Ihren Rückzug
nach. Ist das nicht paradox?
Ich werde immer politisch aktiv sein, gern auch in verantwortungsvoller
Position. Aber ich klebe nicht an einem Amt in der ersten Reihe. Bisher
habe ich immer drauf geachtet, auch ein gutes Leben jenseits der Politik zu
haben.
Wann entscheiden Sie sich?
Es gibt ein russisches Sprichwort: „Man zählt die Küken erst im Herbst“.
Das passt gut zu den Eierkuchen, die Sie gerade braten. Und im Herbst, das
wäre nach den Landtagswahlen. In Ihrem Leben nach dem Parteivorsitz hätten
Sie mehr Zeit, in Ihrer Lieblingsstadt Dresden zu sein.
Das stimmt.
Aber wenn wir hier über Rot-Rot-Grün reden: Irgendjemand muss ja auch
Ministerin werden …
Das Entscheidende ist, welche Stimmung in der Gesellschaft dominiert. Gibt
es einen Druck für neue linke Mehrheiten? Ich sehe das: nicht nur bei
Fridays for Future, auch bei den Protesten der Seebrücke oder bei der
Enteignungskampagne. Diese alte Frontstellung – bist du radikal oder
reformerisch – die verpufft angesichts dessen, was diese Bewegungen machen.
Das macht Mut.
Die Eierkuchen sind aufgegessen, der Fahrer wartet seit einer Stunde vor
der Tür. Wir gehen nach unten vors Haus, es regnet. Katja Kipping raucht
noch eine Zigarette, dann verabschiedet sie sich – nach fast fünf Stunden.
Sie sieht weniger müde aus als wir. Der Zaun ist abgeschlossen. Katja
Kipping klettert, dreht sich noch einmal um, winkt und ist weg.
25 Aug 2019
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Kersten Augustin
Paul Wrusch
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