| # taz.de -- Katja Kipping zu Besuch in der taz-WG: „Ich klebe nicht an der er… | |
| > Die Linken-Chefin kocht für die taz-WG in Dresden. Sie verrät ihre | |
| > Lieblingsorte in Sachsen, welche Musik sie wann hört und woher die Wut | |
| > vieler Sachsen kommt. | |
| Bild: Eierkuchen wie bei Großmuttern: Katja Kipping hielt sich in der taz-WG a… | |
| Dresden ist die letzte Station unserer Reise. Wir treffen uns in der taz-WG | |
| im Stadtteil Plauen. Pünktlich um 17 Uhr kommt Katja Kipping an. Wir haben | |
| sie zum Sachsen-Dinner in ihrer Heimatstadt eingeladen. Das Menü hat sie | |
| selbst vorgeschlagen: Griechischer Salat, Mohn-Zitronen-Pasta mit viel | |
| Parmesan, sächsische Eierkuchen nach dem Rezept ihrer Großmutter. Kipping | |
| hat uns eine Einkaufsliste geschickt. Nach einem kurzen Hallo legt sie | |
| gleich mit los. Sucht Brettchen und Messer in der ihr fremden Küche | |
| zusammen. „Wer will Zwiebeln schneiden?“ Ihr Pressesprecher opfert sich. | |
| Weitere Aufgaben werden verteilt. Direkt Weißweinschorle? „Erst mal Wasser | |
| bitte. Ich muss noch in den Flow kommen beim Kochen.“ | |
| taz am wochenende: Frau Kipping, warum haben Sie dieses Rezept ausgewählt? | |
| Katja Kipping: Ich wollte etwas kochen, das ich gut kann. Die | |
| Zitronen-Mohn-Pasta kommt aus meinem Dresdner Freundeskreis. Mittlerweile | |
| hat es zwar alle irgendwie nach Berlin verschlagen, wir treffen uns aber | |
| regelmäßig zum Mädelsabend. Dass der Salat rot-rot-grün ist, ist eher | |
| Zufall. Mir schmeckt er, und er hat etwas heimeliges. Als ich klein war, | |
| gab es oft Tomate mit Ziegenkäse. | |
| Und die Eierkuchen kommen von der Großmutter. | |
| Ja, die war sehr sparsam, hat gegorene Milch statt Buttermilch verwendet. | |
| Ich nehme Buttermilch oder Kefir. Nach dem Abi war ich im | |
| Freiwilligendienst in Gatschina bei Sankt Petersburg. Dort gab es oft | |
| Bliny, die russische Variante. Auch sehr lecker. | |
| Wie oft kommen Sie dazu, zu kochen? | |
| Wenn es gut läuft, habe ich jedes zweite Wochenende frei. Dann kochen wir. | |
| Und wenn ich schreibe, ein Buch oder eine Flugschrift, dann mache ich | |
| Homeoffice und koche in der Mittagspause für mich, während nebenbei Serien | |
| laufen: „Haus des Geldes“, „Good Girls“, „Big Bang Theory“… | |
| Das Essen wirkt auf uns gerade nicht besonders sächsisch. Sie sind | |
| Vegetarierin, was isst man da in Sachsen? | |
| Kartoffeln mit Kräuterquark und Leinöl? Ich esse ja Fisch, das ist | |
| eigentlich Tierrassismus. Als wir als Jugendliche beim Wahlkampf übers Land | |
| gefahren sind, haben die Genossen in den Kleinstädten uns gerne mit | |
| Bratwurst empfangen, aber viele von uns waren Vegetarier. | |
| Kipping hat auch beim Kochen kein Problem damit, Anweisungen zu geben. | |
| Manchmal klingt sie wie eine Fernsehköchin: „Bitte in sehr kleine Würfel, | |
| dann entfaltet sich das Aroma besser.“ Nach 30 Minuten zieht sie ihr | |
| langärmliges Shirt aus, wirft es aufs Sofa und widmet sich den Zitronen, | |
| die sie mit einem kleinen Löffel auspresst. Schnell bindet sie sich ein | |
| Küchenhandtuch vor die Hose. | |
| Jetzt muss ich auch mal was fragen: Was haben Sie denn so erlebt auf Ihrer | |
| Tour durch Sachsen? | |
| Wir waren beeindruckt von den jungen Aktiven und den alten Bürgerrechtlern, | |
| die in [1][Plauen] zusammen an einem Tisch sitzen. | |
| Wenn du gegen Nazis bist in Plauen, das ist echt kein einfaches Leben. Ich | |
| war letztens zu Besuch dort, da kam ein Bürgerrechtler auf mich zu. Der | |
| wusste schon, was ihn in der Vergangenheit von uns getrennt hat – aber | |
| auch, warum er jetzt mit der Linken zusammenarbeitet. | |
| Was uns auch aufgefallen ist: Wir waren sehr beeindruckt, wie schön saniert | |
| die Städte waren … | |
| … die Marktplätze, klar, da hat sich viel getan. | |
| Aber nur weil die Straßen schön sind, gibt es nicht unbedingt einen Bus, | |
| der darauf fährt. | |
| Je idyllischer die Landschaft, umso schlechter die Stimmung, hat eine | |
| Genossin vor Kurzem gesagt. Man kann mit dem Abgehängtsein unterschiedlich | |
| umgehen. Ich war letztens in einem Dorf in Brandenburg, da wohnen keine 100 | |
| Einwohner. Einer hat da gerade in einer Trafostation die kleinste Galerie | |
| der Welt gebaut und lädt zu Vernissagen ein … Will mal jemand den Salat | |
| verkosten, die wirklich wichtigen Dinge hier! | |
| Schmeckt sehr gut. | |
| Und jetzt: Food-Fotografie. Kipping posiert mit dem fertigen Salat. „Machen | |
| wir mal Pause für Instagram und Twitter, räumen den Tisch ab und trinken | |
| Alkohol, oder?“, sagt sie und lässt sich dann die erste Weißweinschorle | |
| einschenken. | |
| Wir haben für das Essen 15 Euro pro Person ausgegeben, inklusive Weißwein. | |
| Ist das viel? | |
| Klar, für jemanden, der auf Hartz IV angewiesen ist, ist das knapp. Paprika | |
| ist teuer, Parmesan auch, der Mohn geht. Gut, ihr habt euch für Wein | |
| entschieden, der teuer ist. Ich habe mit Leuten zusammengewohnt, die waren | |
| auf Hartz IV angewiesen und haben trotzdem im Bioladen eingekauft, weil | |
| ihnen gesundes Essen wichtig war. Wir kämpfen ja dafür, dass sich jeder | |
| gutes Essen leisten kann. Teilen wir uns eigentlich rein in den Einkauf? | |
| Der geht auf uns. Wie war das früher in Ihrer WG? | |
| Da hatte jeder für seinen Alltag seines eingekauft, und wir konnten uns | |
| beim Essen der anderen bedienen. Oft gab es nur eine Butterdose im | |
| Kühlschrank. Und wenn die Butter alle war, hat irgendjemand neue gekauft. | |
| In meiner alten Studi-WG in Dresden waren wir zu fünft. Ich habe immer mit | |
| Leuten zusammengewohnt, bei denen ich wusste: Wenn ich Party mache, steht | |
| das am nächsten Tag nicht in der Presse. | |
| Sie wohnen jetzt mit Ihrer Familie in Berlin, hatten bis vor Kurzem aber | |
| noch ein WG-Zimmer hier. | |
| Ja, aber der Vermieter hat Ärger gemacht bei Untervermietung, so mussten | |
| wir die WG kündigen, als Mitbewohnerinnen mit ihrer Familie zusammenzogen. | |
| Als ich auszog, stand ich auf der Straße und habe auf meinem Handy „Those | |
| were the days, my friend“ abgespielt. | |
| Sie haben mal gesagt: Am liebsten würden Sie Ihren Lebensmittelpunkt in | |
| Dresden haben. | |
| Ja. Wenn ich auf den Elbwiesen bin oder mit dem Fahrrad durch Dresden | |
| fahre, denke ich: So was hat Berlin nicht. Aber hier gibt es auch | |
| Probleme, zum Beispiel einige Schulleitungen, die Pegida nahestehen. | |
| Aber eine Studie hat gerade gezeigt, dass das [2][Bildungssystem in | |
| Sachsen] das beste in Deutschland ist. | |
| Die kam von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, dem Zentralorgan | |
| des Kapitals … Wenn man Zitronen reibt, darf man auch mal zuspitzen. | |
| Dann spitzen Sie doch mal zu: Wie sind die Sachsen? | |
| Ganz einfach: So verschieden wie die Bayern. | |
| Aber es gibt auch Vorurteile, die stimmen. | |
| Wenn Dresdner jemanden treffen, der nicht aus ihrer Stadt kommt, dann | |
| fragen die nicht offen: „Wie findest du Dresden?“, sondern: „Schön in | |
| Dresden, ne?“ In einem Theaterstück von Volker Lösch sagt der Bürgerchor | |
| über Dresden: „Selbst die Ruinen sind hier schöner.“ Das trifft den Stolz | |
| der Dresdner*innen auf ihre Stadt. | |
| Der sächsische Dialekt gilt aber als nicht so schön. | |
| Da machen sich ja gerne alle drüber lustig. Letzten Montag wurde ich gleich | |
| auf den neuen „Tatort“ aus Dresden angesprochen: „Die Schauspieler machen | |
| einen auf sächsisch, können aber nicht mal den Dialekt.“ | |
| Haben Sie sich den sächsischen Dialekt abtrainiert? | |
| Nein, nur so klassische Aussprachefehler. | |
| „So, wollen wir jetzt schon Salat essen? Oder zusammen mit dem Hauptgang?“, | |
| fragt Kipping. Uneinigkeit in der Küche. „Wir können ein Los ziehen oder | |
| gute Argumente austauschen.“ Die Politikerin ist stets um Ausgleich bemüht. | |
| Ergebnis, leichte Mehrheit für: jetzt essen. Kipping verteilt Salat in | |
| tiefe Teller und Schüsseln. | |
| Wollen wir Musik hören? Roland Kaiser mit „Schachmatt“, dazu haben Sie | |
| früher auf Wahlkampftour durch Sachsen auf dem VW-Bulli getanzt. | |
| Wir haben eher Rosenstolz gehört. Aber wollen wir nicht lieber Keimzeit | |
| hören? | |
| Warum Keimzeit? | |
| Ich war ein Fan. Als Jugendliche bin ich mal mit einer Freundin getrampt, | |
| mit dem Diktiergerät der Schülerzeitung im Gepäck, um mit der Band zu | |
| sprechen. | |
| Sie waren früher viel mit dem Bulli in Sachsen unterwegs. Wo ist es am | |
| schönsten? | |
| Ich mag besonders Oybin und Jonsdorf, bei Zittau. Da war ich als Kind sehr | |
| oft wandern. Und dort, wo früher Kohleabbau war, sind heute tolle Seen. | |
| Als Jugendliche waren Sie im Umweltzentrum „Brennnessel“ aktiv. Hätten Sie | |
| auch bei den Grünen landen können? | |
| Nein, wer damals links war, der ist zur PDS gegangen. Die führende Kraft | |
| für eine ökologische Verkehrspolitik in Dresden war und ist meine Partei. | |
| Sie stiegen schnell auf, wurden mit 21 jüngste Landtagsabgeordnete in | |
| Sachsen und wurden häufig als Jeanne d’Arc der Linken bezeichnet, als „jung | |
| und schön und klug“. | |
| Und heute nur noch klug? Die Artikel von damals sagen weniger über mich als | |
| über das Bild von Frauen in der Politik. Das würde heute kaum mehr | |
| funktionieren, da hat es einen Fortschritt gegeben. Auch wenn der Hass | |
| gegen Frauen auch ein Teil des Erfolgs der Rechten ist. | |
| Fast zwei Stunden sitzen wir in der Küche in Dresden-Plauen. Zeit für eine | |
| Raucherpause. Kipping raucht nur vor und nach Talkshows, „ein Ritual“, sagt | |
| sie, und in Gesellschaft zum Wein. Sie kommt mit runter, lässt sich eine | |
| Zigarette drehen. Zurück in der Küche stürmt sie sofort wieder an den Herd, | |
| sucht Töpfe für die Nudeln, eine Pfanne für die Soße, kämpft mit dem Herd. | |
| Kipping brät die Zwiebeln an und gibt Mohn und Zitronenschale dazu, dann | |
| kommt Sojasahne darauf. „Oh, die Sauce ist ganz schön suppig.“ Jetzt muss | |
| sie zum ersten Mal improvisieren. „Habt ihr noch Frischkäse im Kühlschrank. | |
| Bei euch ist niemand Veganer, oder?“ | |
| Was sollen wir jetzt hören? Doch mal Roland Kaiser? | |
| Den hört man eigentlich nur, wenn man dazu Discofox tanzt. Ich habe vielen | |
| Männern und Jungs in der Linksjugend den Grundschritt beigebracht. Wie wäre | |
| es mit Justice, „You’ll never be alone again“? Der Song von Blockupy. | |
| Wir haben eben beim Rauchen über Wut gesprochen. In Schneeberg haben wir | |
| einen Mann getroffen, pensionierter Lehrer mit Mietshaus, und eine | |
| Rentnerin mit 2.100 Euro im Monat, die trotzdem wütend sind. | |
| Die Wut kommt ja nicht allein aus materiellen Gründen. Das sind nicht alles | |
| objektive Modernisierungsverlierer, eher Modernisierungsskeptiker. | |
| Vielleicht denken sich manche auch, wenn sie wütend sind, werden sie besser | |
| gehört. | |
| Aber das allein erklärt nicht den Erfolg der AfD im Osten. | |
| Ich habe die These der Retraumatisierung. In der Nachwendezeit haben viele | |
| im Osten erlebt, dass alles, was sie bisher geleistet hatten, plötzlich | |
| nichts galt, ihnen wurden Chefs vor die Nase gesetzt, die alles besser | |
| wussten. Ihre Erfahrung war einfach nicht gefragt. Vor allem für Männern | |
| war das ein Problem. Das alles kommt jetzt wieder hoch. | |
| Es gab in der taz die Debatte, ob die [3][Erfahrungen von Ostdeutschen und | |
| Migranten] vergleichbar sind. | |
| Ich sehe das nicht. Ich glaube eher, dass mancher Ostdeutscher auf | |
| muslimische Migranten die Aversion gegenüber Wessis projiziert. Sie | |
| befürchten, dass wieder jemand von außen kommt und ihnen erklärt, dass | |
| jetzt alles anders werden muss. | |
| Sie haben mal von der „schmerzhaften Ungerechtigkeit“ der Wende | |
| geschrieben. Waren Sie wütend? | |
| Nein, ich war beschäftigt mit Pubertät und dem ersten Liebeskummer. | |
| Aber die, die heute wütend sind, wählen AfD. | |
| Die meisten Menschen sind ideologisch nicht so klar einzuordnen. Das fällt | |
| Politikern und Journalisten schwer zu verstehen. Ich habe morgens in | |
| Dresden Menschen vor dem Jobcenter getroffen, die sagen: Nur weil es mir | |
| dreckig geht, wähle ich doch nicht rechts. | |
| Der Hauptgang ist fertig, alle setzen sich an den Tisch. Außer Kipping hat | |
| hier noch nie jemand Nudeln mit Mohn gegessen. „Ein Homerun“, hat die | |
| Freundin gesagt, die ihr das Rezept gegeben hat. Wir essen zu neunt, der | |
| Fotograf isst mit. „Wem gehört jetzt welches Glas?“ Wir stoßen an. Kipping | |
| gibt allen eine kleine Portion und begründet das so: „Wir müssen noch Platz | |
| für die Eierkuchen lassen.“ | |
| Bei der taz-Ost-Berichterstattung wird uns vorgeworfen: Jetzt kommen die | |
| Wessis in den Osten, kurz vor den Wahlen. | |
| Ich glaube, es gibt die Angst, dass man sich in der Beschreibung nicht | |
| wiederfindet. Und im Osten gibt es eine größere Distanz zu Medien und | |
| staatlichen Autoritäten. | |
| Aber Medien von außen erkennen ja auch Probleme, die manche nicht sehen | |
| wollen. | |
| Ja, das Problem gab es in den Neunzigern in Ostdeutschland noch stärker. Da | |
| gab es die Bürgermeister, die Kritiker als Nestbeschmutzer ansahen. | |
| Am Samstag findet die #unteilbar-Demo statt, erstmals in Dresden. Ist diese | |
| Reaktion auf den Rechtsruck auch ein Fortschritt: Die liberalen Kräfte in | |
| Ost und West arbeiten auf Augenhöhe zusammen? | |
| Augenhöhe ist ein großes Wort, ich würde sagen: Es gibt inzwischen ein | |
| gewisses Interesse. | |
| Ganz so unteilbar scheint die Gesellschaft doch nicht zu sein. Bei der | |
| Bundestagswahl hatte die Linke Erfolge in westdeutschen, urbanen Milieus. | |
| Im Osten verliert sie. Werfen Sie sich vor, dass die Linke unter Ihrer | |
| Führung zur Westpartei geworden ist? | |
| Nein. Wir haben immer wieder Ostthemen angesprochen. Bevor ich Vorsitzende | |
| wurde, waren wir bei den Jungen besonders schwach. Für die mussten wir | |
| attraktiv werden, um eine Zukunft zu haben. Wir hätten auch sagen können, | |
| wir geben die Jugend auf und werden wie die populistische | |
| Fünf-Sterne-Partei in Italien. Aber das wäre dann nicht mehr meine Partei. | |
| Was ist nach der Bundestagswahl schiefgegangen? | |
| Wir hatten das Momentum am Wahlabend bis 18.10 Uhr. Dann begannen die | |
| internen Konflikte. | |
| Das Momentum liegt jetzt bei den Grünen. Die holt Sie jetzt sogar im Osten | |
| ein. | |
| Sie machen es sich aber auch einfach. Die Stärke von Habeck ist | |
| gleichzeitig seine Schwäche. | |
| Was meinen Sie? | |
| Seine Uneindeutigkeit. Er erzählt oft nur die halbe Geschichte. Aber wenn | |
| er Geschichten zu Ende erzählen würde, bliebe die linke Anmutung auf der | |
| Strecke. Die Klimakrise ist ja nicht beendet, wenn wir einen grünen Kanzler | |
| haben. | |
| Und was ist das Ende der Geschichte? | |
| Wer Klimaneutralität will, muss an die schwarze Null ran, muss Geld | |
| ausgeben, die Millionäre müssen ihre Scheckbücher in die Hand nehmen. | |
| Aber ist es nicht schlau, unkonkret zu bleiben? | |
| Für die Wahl mag es reichen, für wirklichen Klimaschutz reicht es nicht. | |
| Die Grünen werden im Osten trotzdem immer beliebter. | |
| Die AfD hat sich im Osten eher die Grünen als Feindbild genommen, obwohl | |
| wir viel stärker waren bei den Anti-Nazi-Demos. Die aggressive Leidenschaft | |
| von rechts geht immer auf grünen Lifestyle. Von dieser Polarisierung | |
| profitieren die Grünen. | |
| Stellen die Grünen [4][den nächsten Kanzler]? | |
| Das ist längst nicht ausgemacht. Ich glaube, es kann eine Dynamik für eine | |
| linke Mehrheit geben, aber auch eine ins Faschistische wie in Italien, grob | |
| gesagt: Schwarz-Blau. Dann können wir uns überlegen, ob wir in den | |
| Untergrund gehen oder uns auf die Flucht machen. | |
| Kipping kommt kaum zum Essen, ihr Teller ist noch halb gefüllt mit | |
| Mohn-Zitronen-Nudeln. Es ist schon spät, aber es gibt noch einen letzten | |
| Gang. Eierkuchen nach Omas Art. Kipping sucht Mehl, Eier, Backpulver. „Seid | |
| ihr noch sehr hungrig?“ Sie kippt die Zutaten nach Gefühl zusammen, | |
| vermischt sie mit der Gabel, es werden später fast 20 mittelgroße | |
| Eierkuchen. | |
| Wir haben nach vier Stunden nicht einmal den Namen [5][Sahra Wagenknecht] | |
| genannt. Gut, oder? | |
| Die Geschichte ist doch auserzählt. | |
| Dann müssen wir jetzt aber noch über Ihre politische Zukunft sprechen. In | |
| der Zeit stand letztens, Sie würden über Ihren Rückzug nachdenken. | |
| Meine persönliche Situation ist derzeit genauso offen wie die | |
| gesellschaftliche. | |
| In dem Moment, in dem es wieder eine Bewegung auf der Straße gibt, die die | |
| parlamentarische Politik vor sich hertreibt, und es wieder eine reelle | |
| Chance auf eine rot-rot-grüne Mehrheit gibt, denken Sie über Ihren Rückzug | |
| nach. Ist das nicht paradox? | |
| Ich werde immer politisch aktiv sein, gern auch in verantwortungsvoller | |
| Position. Aber ich klebe nicht an einem Amt in der ersten Reihe. Bisher | |
| habe ich immer drauf geachtet, auch ein gutes Leben jenseits der Politik zu | |
| haben. | |
| Wann entscheiden Sie sich? | |
| Es gibt ein russisches Sprichwort: „Man zählt die Küken erst im Herbst“. | |
| Das passt gut zu den Eierkuchen, die Sie gerade braten. Und im Herbst, das | |
| wäre nach den Landtagswahlen. In Ihrem Leben nach dem Parteivorsitz hätten | |
| Sie mehr Zeit, in Ihrer Lieblingsstadt Dresden zu sein. | |
| Das stimmt. | |
| Aber wenn wir hier über Rot-Rot-Grün reden: Irgendjemand muss ja auch | |
| Ministerin werden … | |
| Das Entscheidende ist, welche Stimmung in der Gesellschaft dominiert. Gibt | |
| es einen Druck für neue linke Mehrheiten? Ich sehe das: nicht nur bei | |
| Fridays for Future, auch bei den Protesten der Seebrücke oder bei der | |
| Enteignungskampagne. Diese alte Frontstellung – bist du radikal oder | |
| reformerisch – die verpufft angesichts dessen, was diese Bewegungen machen. | |
| Das macht Mut. | |
| Die Eierkuchen sind aufgegessen, der Fahrer wartet seit einer Stunde vor | |
| der Tür. Wir gehen nach unten vors Haus, es regnet. Katja Kipping raucht | |
| noch eine Zigarette, dann verabschiedet sie sich – nach fast fünf Stunden. | |
| Sie sieht weniger müde aus als wir. Der Zaun ist abgeschlossen. Katja | |
| Kipping klettert, dreht sich noch einmal um, winkt und ist weg. | |
| 25 Aug 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Neonazi-Aufmarsch-in-Plauen/!5588679 | |
| [2] /Studie-Bildungsmonitor-2018/!5525089 | |
| [3] /Historiker-zu-Ostdeutschen-und-Migranten/!5606829 | |
| [4] /Debatte-Gruenes-Spitzenpersonal/!5595302 | |
| [5] /Linkspartei-waehlt-neue-Fraktionsfuehrung/!5597745 | |
| ## AUTOREN | |
| Kersten Augustin | |
| Paul Wrusch | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Landtagswahlen | |
| Lesestück Interview | |
| Die Linke | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Katja Kipping | |
| Bildungspolitik | |
| Schwerpunkt Landtagswahl Sachsen 2024 | |
| Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt AfD | |
| AfD Sachsen | |
| Urwahl | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Schwerpunkt Landtagswahlen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Niedergang der Linken im Osten: Die linke Krise | |
| Die niederschmetternden Wahlergebnisse der Linken im Osten bedrohen auch | |
| ihre bundesweite Existenz. Wie soll es weitergehen? | |
| Frauen in Ostdeutschland: Die bessere Hälfte | |
| Viele reden von „den Ossis“ und denken an Männer. Frauen sind unsichtbar, | |
| dabei könnten sie den Rechtsruck stoppen. | |
| „Blaue Partei“ in Sachsenwahl chancenlos: Frauke Petrys letzter Kampf | |
| Die ehemalige AfD-Chefin wird mit ihrer neuen rechten Partei wohl kaum in | |
| Sachsens Landtag einziehen. Das Ende einer schillernden Politkarriere? | |
| Linken-Basis soll entscheiden: Kipping offen für Urwahl-Vorschlag | |
| Mitglieder der Linken schlagen vor, die neue Parteispitze per Urwahl zu | |
| wählen. Das soll neuen Schwung bringen. Sie sammeln derzeit Unterschriften. | |
| Armutsrisiko in Deutschland: Die Ost-West-Schere wird kleiner | |
| Der Anteil der armutsgefährdeten Menschen im Osten sinkt, im Westen steigt | |
| er. Für Arbeitslose und Alleinerziehende nimmt das Risiko überall zu. | |
| Linken-Abgeordnete Juliane Nagel: Ein rotes Tuch für Rechte | |
| Juliane Nagel konnte das bisher einzige linke Direktmandat für den Landtag | |
| gewinnen. Sie macht sich gegen Rechte in Sachsen stark. |