# taz.de -- Frauen in Ostdeutschland: Die bessere Hälfte | |
> Viele reden von „den Ossis“ und denken an Männer. Frauen sind unsichtbar, | |
> dabei könnten sie den Rechtsruck stoppen. | |
Bild: 1991 verloren diese drei Frauen, wie viele andere, ihren Job. Viele zog e… | |
In den Debatten über die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen | |
und Thüringen und über die Stärke der AfD erfährt die Figur des Ossis eine | |
regelrechte [1][Renaissance]. Unmittelbar werden Bilder von Männern vor dem | |
inneren Auge heraufbeschworen, kurzhaarig, miesepetrig, korpulent – Männer, | |
die sich leicht einfangen ließen von rechten Versprechungen. Der Ossi habe | |
schließlich einen Hang zum Autoritären. Erst der Kaiser, danach der Führer | |
und schließlich die Diktatur des Proletariats. | |
Wer etwas differenzierter schaut, erkennt im Ossi immerhin einen | |
[2][Wendeverlierer], dem nicht nur die Arbeit genommen wurde, sondern auch | |
Würde. Und trotzdem bleibt der Blick auf die – durch und durch – männliche | |
Figur des Ostdeutschen gerichtet. | |
Dabei traf die Wende die Frauen ungleich stärker. Mehr noch als Arbeit und | |
Würde verloren sie eine Gleichberechtigung, wie sie den meisten Frauen bis | |
heute verwehrt bleibt. Umso eindrücklicher, dass insbesondere ostdeutsche | |
Frauen ihr Schicksal drehten, während ihre männlichen Mitbürger häufiger | |
auf die AfD bauen. Es lässt sich sogar behaupten, dass die | |
Auseinandersetzung zwischen autoritär und liberal, zwischen rechts und | |
links auch eine ist, die zwischen den Geschlechtern stattfindet. | |
Klar, auch in der DDR waren Frauen nicht vollständig gleichberechtigt, | |
haben den Großteil der Hausarbeit und der Kindererziehung erledigt. Aber | |
man muss – neben aller notwendigen Kritik an einem autoritären Staat – | |
konstatieren, dass die Frauen in der DDR an vielen Stellen rechtlich und | |
sozial bessergestellt waren als die Frauen in Westdeutschland. Sie gingen | |
selbstverständlich einer Arbeit nach, führten Betriebe und den Haushalt – | |
selbst der Sex im Osten soll besser gewesen sein. | |
In der DDR wurde der Grundsatz der erwerbstätigen Frau durch | |
sozialpolitische Entscheidungen möglich. Am bekanntesten ist der Ausbau von | |
Kindergärten und -krippen, aber auch die geschlechtsspezifischen | |
Arbeitsstandards waren besser. Das blieb nicht ohne Folgen: 1989 waren 91 | |
Prozent der Frauen berufstätig. In Westdeutschland waren es zur gleichen | |
Zeit nur knapp die Hälfte. | |
Bis die Wende kam. Deren ökonomische Folgen sind auch 30 Jahre später noch | |
spürbar. Schätzungen zufolge haben nach der Wende 80 Prozent der | |
Ostdeutschen zeitweise oder dauerhaft ihren Job verloren. Die Frauen traf | |
es trotz der formalen Gleichberechtigung am härtesten. 1994 waren doppelt | |
so viele Frauen wie Männer erwerbslos. Vor allem die Abwicklungen im | |
produzierenden Gewerbe, organisiert durch die Treuhand, gingen in erster | |
Linie zulasten der Frauen. Man könnte meinen, dass der Westen dem | |
Patriarchat im Osten ein Comeback bescherte. Man kann sich aber auch | |
fragen, ob es jemals aufgehört hatte zu existieren. Es verwundert deshalb | |
nicht, dass Frauen den Osten nach der Wende scharenweise verließen. Heute | |
gibt es nicht wenige Gegenden, in denen ein Viertel mehr Männer leben als | |
Frauen. | |
## „Retraditionalisierungsschub“ unter jungen Ostfrauen | |
Eine Trendwende ist trotz des zunehmenden Zuzugs von Frauen in ostdeutsche | |
Großstädte nicht zu erkennen. Doch die Gründe für die anhaltende, wenn auch | |
gemäßigtere Abwanderung von Frauen haben sich gewandelt. War es in den 90er | |
Jahren die Not auf der Suche nach Arbeit, so verlassen Frauen den Osten | |
heute aufgrund mangelnder Infrastruktur und eines tief sitzenden | |
Konservatismus, gerade auch in den männlich dominierten Chefetagen. | |
Wenn aber viele Frauen gehen, wer soll diese Strukturen aufbrechen und die | |
Interessen der Frauen noch vertreten? Genau dieses Dilemma drückt sich im | |
Aufschwung der AfD im Osten Deutschlands aus. Die AfD ist eine | |
[3][Männerpartei]. Ihr Frauenanteil liegt bei 15 Prozent, und ihre | |
Programmatik ist in weiten Teilen antifeministisch und frauenfeindlich. | |
Unbestritten gibt es auch Frauen, die sich von der AfD und ihrem Programm | |
angesprochen fühlen. Es ist ein alarmierendes Zeichen, dass eine vor Kurzem | |
erschienene Studie einen „Retraditionalisierungsschub“ unter jungen | |
Ostfrauen feststellte. Doch trotz der Ambivalenzen ist das Ergebnis aktuell | |
noch mehr als deutlich: Egal ob bei Bundestagswahlen oder den | |
Landtagswahlen im Osten – der Abstand zwischen weiblichen und männlichen | |
AfD-Wählern ist enorm. | |
Diese starke Tendenz mag auch daran liegen, dass sich viele Frauen nach dem | |
Ende der DDR rascher aufgerafft und zu ihrem früheren Selbstbewusstsein | |
zurückgefunden haben, statt leeren Reden zu folgen. Ostdeutsche Frauen sind | |
an den Spitzen von Wirtschaft, Politik und Justiz sogar erfolgreicher als | |
Westfrauen. So sind in den Führungsetagen der 30 größten DAX-Unternehmen | |
Deutschlands zwar insgesamt nur vier Ostdeutsche vertreten, davon sind | |
jedoch drei Frauen. Das sind ganze 75 Prozent. | |
Der Anteil von westdeutschen Frauen unter westdeutschen Führungskräften | |
beträgt lediglich 10 Prozent. Und auch in der Politik liegen ostdeutsche | |
Frauen klar vor ihren westdeutschen Schwestern. Ostdeutsche Politikerinnen | |
wie Angela Merkel, Manuela Schwesig, Katrin Göring-Eckardt, Sarah | |
Wagenknecht oder Katja Kipping stehen heute an der Spitze ihrer Parteien | |
und Bundestagsfraktionen. Sie sind gleichzeitig die Hassfiguren der neuen | |
Rechten. | |
Doch trotz dieser Erfolgsgeschichten bleiben die ostdeutschen Spitzenfrauen | |
meist unter sich. Bis heute verlassen sie eher die ostdeutsche Heimat, als | |
sich mit den zurückbleibenden Männern anzulegen. Denjenigen, die bleiben | |
und es dennoch tun, fehlt es bisher an ausreichend Rückhalt aus der | |
Bevölkerung. Ein Aufruf zur feministischen Remigration des Ostens kann zwar | |
nicht die Lösung sein. Den Osten der AfD und Pegida zu überlassen, aber | |
auch nicht. | |
Bereits zu Beginn der 1990er Jahre scheiterte der Versuch einer neuen | |
gesamtdeutschen Frauenbewegung an unterschiedlichen Vorstellungen und | |
verlorenen Kämpfen. Angesichts eines drohenden Faschismus: Wäre es da nicht | |
an der Zeit für einen neuen Aufbruch in diese Richtung? So ein Aufbruch | |
würde am Ende übrigens allen nützen, nicht nur den Frauen im Osten. | |
31 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Alex Wischnewski | |
Kerstin Wolter | |
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