# taz.de -- Kandidatin für den SPD-Vorsitz: Die Stimme aus dem Osten | |
> Petra Köpping scheint die neuen Bundesländer und deren Einwohner zu | |
> verstehen wie kaum jemand sonst. Reicht das, um SPD-Vorsitzende zu | |
> werden? | |
Bild: Kann sie sich durchsetzen? Petra Köpping will SPD-Vorsitzende werden | |
WEIßWASSER taz | An einem Mittwoch Anfang August tut Petra Köpping, was sie | |
vielleicht am besten kann. Köpping, schwarzer Jumpsuit und schlichter | |
Schmuck, hört zu. Im Rathaus von Weißwasser trifft sie Lokalpolitiker der | |
Oberlausitz. Draußen fällt Platzregen, drinnen herrscht Frust. Hier, ganz | |
im Osten von Sachsen, warte man darauf, dass den Versprechen aus Berlin und | |
Dresden auch Taten folgen, erzählt SPD-Kollege Thomas Baum. Hinter Köpping | |
hängen Bilder von blühenden Landschaften, im Ort fürchten viele den | |
Braunkohleausstieg. | |
Seit 1990 hat Weißwasser mehr als jeden zweiten Einwohner verloren, heute | |
leben hier noch rund 16.000 Menschen. Die [1][AfD] ist auf dem Vormarsch, | |
bei den Europawahlen wurde sie in Weißwasser die stärkste Kraft. „Ich hoffe | |
einfach, dass die gesamte Bundespolitik den Osten in den Fokus nimmt“, sagt | |
Köpping später. „Denn wir sind nur ein Brennglas von dem, was in | |
Deutschland passiert.“ | |
Vergangenen Sonntag haben Petra Köpping und der niedersächsische | |
Innenminister Boris Pistorius ihre gemeinsame Kandidatur für den | |
SPD-Bundesvorsitz erklärt, an diesem Freitag sollen beide von ihren | |
Landesverbänden nominiert werden. Auch an der Spitze der SPD möchte Köpping | |
„die Stimme aus dem Osten“ sein, sagte sie bei ihrer Vorstellung. Über | |
Sachsen hinaus kennen sie viele vor allem wegen ihrer Streitschrift: In | |
„Integriert doch erst mal uns“ kritisiert Köpping Ungerechtigkeiten nach | |
der Wende, sie fordert unter anderem höhere Renten und mehr Anerkennung der | |
Lebensleistungen in Ostdeutschland. Ihr Buch gründet auf Gesprächen, die | |
sie mit Menschen in Ostdeutschland geführt hat – Tausende, sagt Köpping | |
selbst. | |
In den nächsten Wochen muss sie um zwei Posten kämpfen. Bei den | |
Landtagswahlen in Sachsen am 1. September rangiert sie auf Listenplatz 2, | |
hinter Martin Dulig. Im Moment ist sie noch Sachsens erste Staatsministerin | |
für Gleichstellung und Integration. Seit fünf Jahren kämpft sie dafür, die | |
Sachsen miteinander zu versöhnen: AfD-Wähler und Geflüchtete, hippe | |
Leipziger mit Dorfbewohnern aus der Oberlausitz. Ab Dezember will sie sich | |
nun also auch der Integration ihrer eigenen Partei stellen. | |
## Eine gebrochene Biografie | |
An jenem Mittwoch Anfang August ist das noch unklar. Aufmerksam hört | |
Köpping zu, als Bürgermeister Torsten Pötzsch von Problemen in Weißwasser | |
berichtet. Fast nie lässt die 61-Jährige ihre Gesprächspartner aus den | |
Augen. Wenn sie antwortet, dann ohne Ähs und Politikersprech. Sie wisse, | |
wie schwierig die Arbeit sei: „Ich war ja selbst Bürgermeisterin.“ | |
Die gebrochenen Biografien, über die sie einst schrieb, kennt Köpping | |
selbst. 1990 verlor sie ihr Amt in der Kleinstadt Großpösna. Weil sie bis | |
Juni 1989 in der SED war, wurde ihr Studium der Rechtswissenschaften | |
zunächst nicht anerkannt. Köpping kämpfte sich zurück, erst in den Beruf, | |
dann in die Politik. Vier Jahre lang arbeitete die Mutter von drei kleinen | |
Kindern bei der DAK. „Versicherungen andrehen“, sagt sie heute. 1994 wurde | |
sie wieder Bürgermeisterin von Großpösna, später Landrätin und schließlich | |
Abgeordnete im Landtag von Sachsen. Seit 2014 ist sie Sachsens erste | |
Staatsministerin für Gleichstellung und Integration. Früh sagte sie, was | |
man nun auch auf Bundesebene häufiger hört: dass sich zu viele Ostdeutsche | |
wie Bürger zweiter Klasse fühlen. | |
In der Oberlausitz steht jetzt wieder ein Strukturwandel an, der Ausstieg | |
aus der Braunkohle. Köpping denkt, dass auch die Angst, einen zweiten | |
Wandel nicht zu verkraften, die Menschen zur AfD treibt. Entschuldigen will | |
sie damit nichts. | |
Im Rathaus von Weißwasser möchte Köpping aber möglichst wenig über die AfD | |
sprechen. Stattdessen spricht sie oft von Visionen und Zusammenarbeit. Es | |
könne auf dem Land nicht immer nur um den letzten Bus in die Stadt gehen. | |
Auch die Vorzüge müssten zur Sprache kommen: dass Orte wie Weißwasser kein | |
Feinstaubproblem haben zum Beispiel. An diesem Tag oszilliert die Zukunft | |
zwischen großen Visionen und kleiner Lokalpolitik. Auch Köppings eigene: | |
Hat sie Erfolg, könnte sie als Integrationsministerin in Sachsen die SPD in | |
Deutschland führen. Verliert sie, könnte „nur“ das Landtagsmandat bleiben. | |
## Zuhören kann sie, aber auch wirklich etwas verändern? | |
Köppings Befürworter betonen ihre Empathie und ihr Charisma. Eine | |
Mitarbeiterin nennt sie „zackig“, eine Kollegin im Landtag lobt Köppings | |
„praktische Solidarität“. In ihrer Amtszeit als Staatsministerin konnte sie | |
ihr Budget für viele Projekte erhöhen. „Es ist auch Frau Köppings | |
Fördergeldern zu verdanken, dass die kritische Zivilgesellschaft in Sachsen | |
die lange benötigte Unterstützung erhalten hat“, sagt Mark Gärtner vom | |
Sächsischen Flüchtlingsrat. Eine Zeit lang hat Köpping selbst zwei | |
Geflüchtete aufgenommen. | |
Ihrer Partei hat Köppings Beliebtheit bislang wenig genutzt. Jüngste | |
Umfragen sehen die SPD in Sachsen bei 8 Prozent. Ihre Gegner kritisieren, | |
Köpping könne den Menschen zwar zuhören, aber eben auf Landesebene nicht | |
helfen. Die Grundrente, für die sich Köpping immer wieder einsetzt, ist | |
nicht das Einzige, was sie bisher nicht durchsetzen konnte. Auch aus einem | |
von ihr geplanten Integrations- und Gleichstellungsgesetz wurde nichts. | |
Aktivisten kritisieren außerdem, dass Köpping sich nicht entschieden genug | |
gegen Abschiebungen aus Sachsen ausspreche. | |
Auch in Weißwasser spricht sie viel über die Grundrente. „Ich merke, dass | |
viele Rentengruppen langsam die Geduld verlieren“, sagt Köpping. „Sie | |
können einfach nicht mehr warten.“ Auch Köpping wird immer ungeduldiger. | |
„Wenn ich aus Berlin höre, die Grundrente kommt im Dezember oder auch | |
später, dann macht uns das zu schaffen. Was bringt es, wenn die Leute | |
sagen: Ihr seid ja nicht schlecht, Martin Dulig und Petra Köpping. Aber | |
verändert hat sich doch nichts.“ | |
Gegen Ende des Tages fragt ein Bürger in Weißwasser, warum sie nicht in der | |
Bundespolitik arbeite. Köpping antwortet, am liebsten sei sie in ihrem | |
Leben Bürgermeisterin gewesen. Nah an den Menschen dran. „Aber die | |
SPD-Spitze sucht ja gerade“, sagt sie noch. Elf Tage später steht sie | |
zwischen Boris Pistorius und Martin Dulig auf einer Pressekonferenz und | |
erklärt ihre Kandidatur für den SPD-Vorsitz. Sie sagt: „Ich bin ein Mensch, | |
der gerne etwas aufbaut.“ An der Spitze der SPD wolle sie sich weiter für | |
den Zusammenhalt der Gesellschaft einsetzen. | |
## Hinter ihr steht wohl auch Manuela Schwesig | |
Am Freitag sollen beide von ihren Landesverbänden nominiert werden, auch | |
der Thüringer Landeschef Wolfgang Tiefensee will Köpping und Pistorius | |
unterstützen. Außerdem bekennen sich bisher vier niedersächsische Bezirke | |
und drei sächsische Kreisverbände zu ihnen. | |
Dass es auch auf Bundesebene wichtige Fürsprecher gibt, lässt sich nur | |
indirekt ablesen: Als Köpping Anfang August ihren Wahlkampf eröffnete, war | |
Manuela Schwesig dabei. „Ich schätze Petra Köpping sehr“, sagt Schwesig. | |
Zum Vorsitz hat sie sich jedoch nicht geäußert. Aus der Pressestelle heißt | |
es, der Interimsvorstand bleibe neutral. | |
21 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Lina Verschwele | |
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