| # taz.de -- Rennen um den SPD-Vorsitz: Auf dem Holzweg | |
| > Für ihre Kandidatenkür hat sich die SPD die Doppelspitze von den Grünen | |
| > abgeguckt und von der CDU die Regionalkonferenzen. Kann das gut gehen? | |
| Bild: Retter in der Not? Finanzminister Scholz springt ein, um seine Partei zu … | |
| Die SPD sucht einen Parteivorsitz und gibt sich experimentierfreudig: Bei | |
| der CDU guckt sie sich den Prozess ab – die [1][Vorstellung der | |
| KandidatInnen in Regionalkonferenzen] – und bei den Grünen die | |
| [2][Doppelspitze]. Aber damit beschreitet die Partei einen Holzweg: Was bei | |
| anderen Parteien funktioniert und gut ist, muss nicht das Patentrezept für | |
| die SPD sein – im Gegenteil. Sie begeht hier einen massiven, vielleicht | |
| sogar einen fatalen Fehler. | |
| Angela Merkel hat es während ihres 18-jährigen Parteivorsitzes mit | |
| insgesamt sieben SPD-Parteivorsitzenden zu tun gehabt. Mit der 7-jährigen | |
| Amtszeit von Sigmar Gabriel gab es dabei nur zwischen November 2009 und | |
| 2017 so etwas wie Konstanz. Während die Neuaufstellung der eine | |
| Besonderheit war, gehört der (Auf-)Bruch bei der SPD mittlerweile zur | |
| Routine. | |
| Seit einer gefühlten Ewigkeit kreist die SPD vor allem um sich selbst. Der | |
| parteiinterne Wahlkampf wird die Aufmerksamkeit noch weiter von der | |
| Regierungsarbeit weg lenken und die Zerrissenheit der Partei weiter | |
| unterstreichen. | |
| Dabei bescheinigt eine gerade erschienene [3][Studie von der Bertelsmann | |
| Stiftung und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung der | |
| Regierung,] dass sie bereits mehr als 60 Prozent der Koalitionsversprechen | |
| umgesetzt oder angepackt hat. Der SPD aber gelingt es weiterhin nicht, ihre | |
| Erfolge öffentlichkeitswirksam zu präsentieren, die Revision zur Halbzeit | |
| der Großen Koalition rückt näher und die Ergebnisse der [4][anstehenden | |
| Landtagswahlen] werden auch keine Ruhe bringen. In diese Gemengelage fällt | |
| nun die Suche nach einer Parteispitze, die länger im Amt bleiben soll als | |
| die letzten Vorgänger. | |
| ## Einziger Bewerber aus der ersten Reihe: Scholz | |
| Doch noch bevor die Bewerbungsfrist verstrichen ist, wirft die Suche ein | |
| ungünstiges Licht auf die Partei. Die erste Phase des Auswahlprozesses war | |
| davon geprägt, wer alles nicht antreten wolle. Sämtliche politischen | |
| Schwergewichte, von denen man die Kandidatur erwartet hatte, warteten erst | |
| mal ab, oder verneinten direkt. | |
| Das Amt, das Franz Müntefering mal als das „schönste Amt neben Papst“ | |
| bezeichnet hatte, scheint nicht sonderlich beliebt. Das ermutigte | |
| Kandidaten aus der sogenannten zweiten Reihe, ließ aber gleichzeitig an der | |
| Bedeutung der Wahl zweifeln. Nun hat sich zwar [5][Bundesfinanzminister | |
| Olaf Scholz] beworben, erkennbar eher vom Verantwortungsgefühl getrieben | |
| als von echtem Interesse, hatte er eine Kandidatur eigentlich aufgrund | |
| seines Ministeramts ausgeschlossen. Mit der verspätet [6][an seine | |
| politische Seite tretenden Partnerin Klara Geywitz] aus Brandenburg soll | |
| auch Ostdeutschland repräsentiert sein. | |
| Fraglich, ob dies das nötige Feuer ist, um die Partei zu mobilisieren. | |
| Scholz genießt zwar in großen Teilen der Gesellschaft Respekt, ist aber | |
| alles andere als ein Kandidat, hinter dem sich die gesamte Partei | |
| versammeln kann. Er gilt als Technokrat, dem man den Unterschied zu seinem | |
| CDU-Amtsvorgänger Wolfgang Schäuble nicht anmerkt. Gut möglich, dass seine | |
| Kandidatur vor allem im linken Flügel der Partei weitere Bewerbungen | |
| anregen wird. Von SPD-Politikern, die sich Olaf Scholz nicht als Gesicht | |
| des Neuanfangs vorstellen können. | |
| ## Der nächste Konflikt im Haus | |
| Karl Lauterbach hat bereits einen „Lagerwahlkampf“ angekündigt. [7][Der | |
| Gesundheitsexperte steht gemeinsam mit Nina Scheer] für einen Weg raus aus | |
| der Groko, während Olaf Scholz eben das verhindern möchte. Ein | |
| „Lagerwahlkampf“ könnte die Krise der SPD aber massiv verschärfen. Die | |
| Gräben zwischen jenen, die bei Neuwahlen das nächste Debakel befürchten und | |
| jenen, die bereits von Rot-Rot-Grün träumen, würden tiefer. | |
| Die SPD wieder mit sich selbst zu versöhnen, wird zu den schwierigsten | |
| Aufgaben der neuen Parteispitze gehören. Grabenkämpfe würden da nicht | |
| helfen. Grundsätzlich hat eine Doppelspitze gute Chancen, zur | |
| innerparteilichen Versöhnung beizutragen. Nicht nur Mann und Frau wären | |
| gleichermaßen vertreten: Es könnte einen Ausgleich bei der Repräsentanz von | |
| Ost- und Westdeutschland geben und auch inhaltlich könnten sich die beiden | |
| Vorsitzenden ergänzen. | |
| Auf der anderen Seite wäre es fatal, wenn sich die SPD mit der Doppelspitze | |
| direkt den nächsten Konflikt ins Willy-Brandt-Haus holt. Möglich, dass sich | |
| bisher alle angetretenen Kandidatenduos deshalb inhaltlich sehr nahestehen. | |
| Die SPD muss es schaffen, wieder als selbstbewusste Partei aufzutreten, die | |
| klar zuordenbare Politikangebote macht. | |
| ## Neuer Umgang mit Führungspersonal | |
| Mindestens genauso wichtig wird sein, ob es der Partei gelingt, einen neuen | |
| Umgang mit ihrem Führungspersonal zu finden. Die größte Gefahr besteht | |
| darin, dass auch ein frisch gewähltes Kandidatenduo von der eigenen Partei | |
| zerrieben wird. Der [8][Umgang mit Andrea Nahles] dürfte ein Grund dafür | |
| sein, warum viele vor einer Kandidatur zurückschreck(t)en. Bei allen | |
| Vorteilen der innerparteilichen Demokratie: Fehlt der Respekt füreinander, | |
| werden Spitzenleute so schnell verbraucht, bis am Ende niemand mehr übrig | |
| ist. | |
| Das Risiko, an der Ungeduld der nach Erfolg lechzenden Partei zu scheitern, | |
| ist enorm. Um das zu verhindern, bräuchte es leidenschaftliche | |
| Parteivorsitzende, die der SPD nach außen ein Profil geben können und auch | |
| die Mitglieder dafür begeistern. Die verkörpern können, dass sie | |
| tatsächlich die beste Wahl sind, die in diesem langen Auswahlprozess | |
| getroffen werden konnte, und die sich im Wahlkampf das nötige Vertrauen | |
| erarbeiten, damit nicht kurz nach der Wahl die nächste Führungsdebatte | |
| losgetreten wird. | |
| Entscheidend für die Zukunft der SPD wird sein, ob sie den internen | |
| Wahlkampf nutzt: für die inhaltliche Auseinandersetzung darüber, welcher | |
| Kurs in den verschiedenen Politikfeldern gelten soll. Bei der Suche nach | |
| den richtigen Köpfen darf der Inhalt nicht ins Hintertreffen geraten. Sonst | |
| droht die baldige Bedeutungslosigkeit. | |
| 22 Aug 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wahlkampf-um-den-Parteivorsitz/!5548023 | |
| [2] /SPD-will-Doppelspitze-ermoeglichen/!5602309 | |
| [3] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2019/augus… | |
| [4] /!t5606218/ | |
| [5] /Rennen-um-SPD-Vorsitz/!5618586 | |
| [6] /Scholz-und-Geywitz-fuer-SPD-Vorsitz/!5617432 | |
| [7] /Bewerbung-fuer-SPD-Doppelspitze/!5611826 | |
| [8] /Ruecktritt-von-Andrea-Nahles/!5599736 | |
| ## AUTOREN | |
| Andrea Römmele | |
| ## TAGS | |
| SPD | |
| Schwarz-rote Koalition | |
| Olaf Scholz | |
| Sozialdemokraten | |
| Gesine Schwan | |
| Schwerpunkt Landtagswahlen | |
| Norbert Walter-Borjans | |
| Klara Geywitz | |
| Schwerpunkt Landtagswahlen | |
| Gesine Schwan | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Regionalkonferenzen für SPD-Vorsitz: Roadtour startet mit einem Rückzug | |
| 17 BewerberInnen, 23 Stationen: Mit Regionalkonferenzen will die SPD ihre | |
| neue Führung finden. Beim Start sah man bereits erste Tendenzen. | |
| Wahlen in Sachsen und Brandenburg: Die Ergebnisse im Überblick | |
| In Brandenburg müssen SPD und CDU jeweils starke Verluste hinnehmen. In | |
| neuen Koalitionen können sie aber voraussichtlich an der Macht bleiben. | |
| Neue Kandidaten für SPD-Vorsitz: Nowabo und Esken treten an | |
| Ein weiteres Kandidaten-Duo tritt an: Ex-NRW-Finanzminister Norbert | |
| Walter-Borjans und die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken. | |
| Scholz und Geywitz für SPD-Vorsitz: Müdes Lächeln, klare Sprache | |
| Die Brandenburger Abgeordnete Klara Geywitz kandidiert mit Vizekanzler Olaf | |
| Scholz für den SPD-Vorsitz. Ihr Auftritt in Berlin ist bemerkenswert. | |
| Kandidatin für den SPD-Vorsitz: Die Stimme aus dem Osten | |
| Petra Köpping scheint die neuen Bundesländer und deren Einwohner zu | |
| verstehen wie kaum jemand sonst. Reicht das, um SPD-Vorsitzende zu werden? | |
| Berichterstattung über die SPD: Andrea Nahles atmet auf | |
| Die SPD-Berichterstattung ist ein Problem. Das wird klar im direkten | |
| Kontakt mit Nahles, die so präsent wirkt, wie sie medial nie vermittelt | |
| wurde. |