| # taz.de -- Frauenbewegung in der DDR: Zwischen Filz und Punkrock | |
| > Im Frauen*bildungszentrum in Dresden treffen junge auf alte | |
| > Feminist*innen – und streiten ziemlich produktiv. Besuch in einem | |
| > Utopie-Workshop. | |
| Bild: Arbeit im real existierenden Sozialismus: eine Frau poliert ein Maschinen… | |
| Kristina Krömer hält einen Briefumschlag in der Hand. Darauf ist eine Katze | |
| zu sehen, weil Katzen sie beruhigen. Im Umschlag steckt ein Bild, es zeigt | |
| einen Schraubendreher. „Das ist mein Utopie-Kit“, sagt die 38-Jährige. „… | |
| brauchen die richtigen Werkzeuge für unsere Utopie von einer | |
| gleichberechtigten Gesellschaft.“ | |
| An einem sonnigen Tag im Oktober sitzen neun Frauen im Gemeinschaftsraum | |
| eines Hausprojektes in der Dresdner Friedrichstadt zusammen. Das | |
| zweistöckige Haus ist rot, die Decken sind hoch, das Innenleben selbst | |
| gebaut. Es gibt Kaffee, Mate und Süßigkeiten, viele unterschiedliche | |
| Stühle, einzelne Nüsse hängen als Dekoration im Raum. Kristina Krömer – | |
| hellblonde, kurze Haare, Pumphose – nimmt am Workshop „Gemeinsam utopisch | |
| denken“ des [1][AK.Unbehagen] teil, eines feministischen Lesekreises aus | |
| Leipzig. | |
| Organisiert hat den Workshop das Frauen*bildungszentrum Dresden (F*BZ). | |
| 1990 wurde das Zentrum von Aktivistinnen der Frauenbewegung der DDR | |
| gegründet. Seit 2015 leitet Krömer das Projekt gemeinsam mit Maria | |
| Steinhaus. Zum Thema Utopien haben sie 2019, im Jahr der sächsischen | |
| Landtagswahl, eine ganze Veranstaltungsreihe gemacht; es gab Gründe. | |
| Eine der Teilnehmerinnen kommt zu spät, weil sie im feministischen Block | |
| der „Solidarität mit Rojava“-Demonstration war und Hooligans von Dynamo | |
| Dresden die Demo aufmischten. „Hier in Dresden feministisch aktiv sein ist | |
| anstrengend“, sagt eine andere. Sie sieht müde aus. Aber jetzt: die großen | |
| Fragen. Was ist das, ein gutes Leben für alle? Was passiert eigentlich mit | |
| den Männern nach der Revolution? Und ist Verzicht vielleicht ein Weg in | |
| die richtige Richtung? | |
| ## Geschlecht nicht an Geschlechtsteilen festmachen | |
| Im Workshop wird die Utopie zu einem Prozess. „Wenn es ein fertiges Bild | |
| gibt, in dem dann alle leben müssen, ist die Utopie schon gescheitert“, | |
| sagt eine Teilnehmerin. Eine andere erzählt davon, dass es in der DDR | |
| normal war, die Nachbarin nach einem Ei zu fragen. „Wenn ich hier in der | |
| Nachbarschaft nach einem Ei frage, kriege ich es auf den Kopf“, wendet eine | |
| andere ein. Von den Menschen hier in den Wohnhäusern und der | |
| Kleingartensparte fühlen sich viele Teilnehmerinnen nicht gern gesehen. | |
| Nach einer Weile wird der Umgang mit Konflikten zum zentralen Thema der | |
| Überlegungen. „Utopie heißt ja nicht, dass alle gleich sind.“ Also wie ka… | |
| man sie austragen, die Differenzen, ohne dabei zu zerbrechen? | |
| Kristina Krömer und Maria Steinhaus kannten sich nicht, bevor sie die | |
| Leitung des F*BZ übernahmen. Die eine aus dem Saarland, studierte | |
| Politologin, die andere aus Schwerin, studierte Soziologin, beide um die 30 | |
| Jahre alt. Als sie vor vier Jahren anfingen, sprach das F*BZ eher ein | |
| älteres Publikum an, es gab Kreativ- und Begegnungsangebote in einem | |
| Schutzraum für Frauen. Die damalige Leiterin Barbara Feichtinger wollte | |
| nach fast 20 Jahren die Leitung an eine neue Generation abgeben. Die Neuen | |
| wollten gerne alles anders machen: das Haus partizipativ leiten, Geschlecht | |
| nicht an Geschlechtsteilen festmachen, intersektional arbeiten, das Haus | |
| als politischen Raum etablieren. | |
| Die Älteren fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Warum sollte Frausein | |
| plötzlich nicht mehr als Gebärfähigkeit definiert werden? Was ist so | |
| schlecht daran, einen reinen Rückzugsort für Frauen zu schaffen? Und was | |
| wissen die Jungen vom Leben der Alten? | |
| ## Dresden war ein wichtiges Zentrum | |
| Dabei gibt es viel zu erzählen. Etwa von der ersten großen Förderung 1991, | |
| als eine Vereinsfrau in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von Dresden nach Bonn | |
| mit dem Auto fuhr, um den Förderantrag rechtzeitig abzugeben. | |
| Dresden war ein wichtiges Zentrum für aktive Frauen in der DDR. Eine der | |
| Bekannteren ist Karin Dauenheimer. Sie gründete den AK Homosexualität in | |
| der Kirche, organisierte 1985 das erste alternative Frauenfest der DDR, in | |
| den Jahren danach folgten weitere. Die Themen waren „Lesbische Liebe in der | |
| Literatur“ oder „Die berufstätige Frau zwischen Job und | |
| Selbstverwirklichung“, jedes Mal kamen bis zu 300 Frauen. 1990 gründete | |
| Dauenheimer das Frauen*bildungszentrum mit. | |
| Maria Steinhaus, 31, rote Haare, erzählt nach dem Utopie-Workshop spät am | |
| Abend: „Zwei Jahre lang ging es viel um Wertschätzung. Wir wollten | |
| verstehen, warum sich das Haus über die Jahrzehnte primär zu einem | |
| spirituellen Ort für Frauen entwickelt hatte. Für diesen Prozess brauchte | |
| es gegenseitiges Vertrauen, was Zeit braucht.“ Krömer ergänzt: „Als ich | |
| hier ankam, habe ich vor lauter Filz und Ton gar nicht mehr durchgeblickt. | |
| Aber die Frauen hatten früher Häuser besetzt und den Stadtrat gestürmt!“ | |
| Feministische Geschichte ist ein Spezialwissensgebiet, [2][ostdeutsche | |
| feministische Geschichte] ein noch spezielleres. Erst in den letzten Jahren | |
| wird die Frauenbewegung der DDR wiederentdeckt und erforscht. | |
| Einerseits kommen einige Protagonistinnen von damals jetzt ins Rentenalter, | |
| in dem Zeit für Reflexion ist, für das Erzählen ihrer Geschichte, die | |
| untergegangen ist. So haben etwa Aktivistinnen der [3][„Frauen für den | |
| Frieden“] im Oktober das Buch „Seid doch laut“ veröffentlicht. Darin | |
| erzählen sie ihre Geschichte, die Geschichte von sieben Frauen, die 1982 | |
| etwa 130 Unterschriften in Berlin und Halle sammelten und per Eingabe die | |
| Wehrpflicht für Frauen in der DDR verhinderten. | |
| Andererseits entdecken jüngere Ostdeutsche auf der Suche nach Identität den | |
| literarischen Feminismus der DDR. Der AK.Unbehagen hat Christa Wolf | |
| gelesen, ihre Formung von weiblicher Subjektivität analysiert. Die | |
| Leipziger Schauspielerin Elisa Ueberschär liest regelmäßig aus „Franziska | |
| Linkerhand“ von Brigitte Reimann vor, aus der Geschichte einer jungen | |
| Architektin, die Wohnungen für den neuen Menschen bauen will. Sie knallt | |
| hart gegen die real existierenden Plattenbauten. | |
| ## „Friede, Freude, Frauen(*) – ein Eiertanz?“ | |
| In Reimanns Erzählung zwischen Anspruch und Wirklichkeit fanden sich viele | |
| Frauen in der DDR wieder. Aus diesem Missverhältnis entstand in den 80ern | |
| eine Bewegung: Am 3. Dezember 1989 kamen 3.000 Frauen in die Berliner | |
| Volksbühne und gründeten den Unabhängigen Frauenverband der DDR. Die Bühne | |
| hatten sie mit Wäsche an Leinen dekoriert, die Nebenzimmer quollen von | |
| Kindern über. Sie wollten den Wandel in der DDR mitgestalten, stellten sich | |
| als Partei auf – und bekamen nur wenige Stimmen bei der Volkskammerwahl | |
| 1990. | |
| Es war nur ein kleines Zeitfenster, in dem die vielen Frauengruppen der DDR | |
| an Mitgestaltung glauben konnten. Dann kamen die Neunziger. Der Streit mit | |
| den Westfeministinnen, die Arbeitslosigkeit, die Existenzangst. Viele | |
| Frauen schafften es, ihre Projekte zu retten, bekamen Fördergelder für | |
| Frauenhäuser und -zentren, die bis heute existieren. Die Websites vieler | |
| dieser Vereine sehen nicht mehr so frisch aus. Ganz im Gegensatz dazu die | |
| [4][Seite des Frauen*bildungszentrums]: kräftiges Pink, Sternchen, Gender | |
| Gap, visuelle Referenzen zu Kult-Punk-Band X-Ray Spex. Wie hat das | |
| geklappt, diese Transformation? | |
| „Geholfen haben uns vor allem Ausdauer und das gemeinsam durchgeführte | |
| Festival F*“, erzählt Maria Steinhaus. Ein Festival zum „Feiern statt | |
| Fürchten“ im Mai 2018. Es sollte die Generationen zusammenbringen und war | |
| Teil eines moderierten Teamprozesses, den Steinhaus und Krömer angestoßen | |
| hatten. Die Einladung zum Festival wurde in zwei verschiedenen „Sprachen“ | |
| verfasst. Eine ist etwas differenzfeministischer für die Älteren, eine | |
| etwas queerer für die Jüngeren. In diesem Spagat bewegen sich Kristina | |
| Krömer und Maria Steinhaus. Sie sind damit zu einer wichtigen Schnittstelle | |
| in Dresden geworden – zwischen jungen linken Gruppen und etablierten | |
| Frauenhäusern. | |
| Es wurde viel gestritten auf dem Festival und viel geteilt, die | |
| Lebenserfahrung der Alten, der Geschlechterpunkrock der Jungen. „In unserem | |
| Teamprozess platzte der Knoten, als allen Beteiligten klar wurde, dass es | |
| nicht um Schuld geht“, sagt Steinhaus. Jetzt könnten Differenzen markiert | |
| und mit Humor geklärt werden. „Frauenräume können gut nebeneinanderher | |
| existieren, ohne sich zu berühren. Aber wir brauchen gerade jetzt eine | |
| Vernetzung“, sagt Krömer. Zusammen mit ihrer Vorgängerin hat sie einen | |
| Workshop entwickelt: „Friede, Freude, Frauen(*) – ein Eiertanz?“ Sie woll… | |
| den Generationswechsel unterstützen. Hauptthema: der Umgang mit Konflikten. | |
| Die Werkzeuge dafür scheinen sie zu haben. | |
| 9 Nov 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.facebook.com/ak.unbehagen/ | |
| [2] /Soziologin-ueber-DDR-Frauenbewegung/!5151456 | |
| [3] /Brandenburgs-Aufarbeitungsbeauftragte/!5415997 | |
| [4] http://frauenbildungszentrum-dresden.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Gottschalk | |
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