# taz.de -- Demonstration für Frieden in Dresden: Ein Pulli für den Panzer | |
> Zwei Frauen haben einen Leopard-Panzer vor dem Militärhistorischen Museum | |
> in Dresden eingestrickt. Manche empören sich über die Aktion. | |
Bild: Panzer im Strampelanzug als Protest für den Frieden. | |
Für eine ordentliche Geschichtsdebatte genügen 36 Kilo Wolle. Wer sie | |
geschickt einsetzt, findet sich wieder in einem Riesenstreit über Schuld, | |
Militarismus und Erinnerung. So gesehen haben Barbara Niklas und Kristina | |
Krömer alles richtig gemacht. | |
Die beiden Frauen sind spät dran an diesem Montagvormittag. In wenigen | |
Stunden sollen sie vor dem Militärhistorischen Museum ihr Werk | |
präsentieren, das viele Dresdner seit Wochen entzweit. Vorher müssen sie | |
dorthin zurück, wo alles angefangen hat: zum [1][„Louisen Kombi Naht“], | |
einem Verkaufs- und Nähraum in der Louisenstraße in der Dresdner Neustadt. | |
Dorthin, wo sie vor fünf Monaten auf die Idee kamen, einen Panzer | |
einzustricken. | |
Es wird nur langsam warm hier im Altbau-Erdgeschoss. Trotzdem zieht | |
Kristina Krömer die Schuhe aus und zieht die Beine an. „Wir sind gegen | |
Kriegseinsätze“, sagt die 31-jährige Modedesignerin. „Aber vor allem sind | |
wir dafür, dass es so weit gar nicht kommt. Und zwar durch sprachliche, | |
friedliche Auseinandersetzung.“ Neben ihr sitzt Barbara Niklas, 29 Jahre | |
alt. | |
## Stricken für den Frieden | |
Mittlerweile kann die Psychologin Krömers Sätze für sie beenden. So oft | |
haben sie erklären müssen, wie sie ihr Vorhaben verstanden wissen möchten. | |
„Und trotzdem“, sagt Niklas, „schreiben die Medien immer wieder, es gehe | |
darum, ’einem Panzer einen Pulli zu stricken‘. Oder ums ’Gedenken an den | |
13. Februar‘.“ | |
Der Haken an der Sache ist: Sie haben einem Leopard-1-Panzer tatsächlich | |
eine Art Pulli verpasst, und zwar rechtzeitig zum Jahrestag der Zerstörung | |
Dresdens durch britische und amerikanische Bomber zwischen dem 13. und 15. | |
Februar 1945. | |
In wenigen Stunden werden Krömer und Niklas den Panzer der Öffentlichkeit | |
präsentieren. Mit freundlicher Unterstützung und auf dem Vorplatz des | |
Militärhistorischen Museums der Bundeswehr. | |
„Attacke! Auf ins Geflecht“ nennen Krömer und Niklas ihre Idee. Seit | |
September haben rund 60 Frauen, Männer und Kinder an einem Überzug für | |
einen Leopard-1-Panzer gestrickt. Die Handwerksarbeit war dabei Mittel zum | |
Zweck. „Sie ist sehr beruhigend und friedlich“, sagt Krömer. Vor allem aber | |
seien Junge und Alte darüber, hier in den Atelier- und Verkäufsräumen, | |
miteinander ins Gespräch gekommen. Alte Frauen und Männer erzählten ihnen | |
vom Krieg, später kamen Kinder und Jugendliche hinzu. „Nicht von den | |
Angriffen erzählten die alten Menschen“, sagt Niklas, „sondern vom Alltag | |
in den Trümmern. Wissen Sie etwa, was Menschen im Krieg tranken? Tee aus | |
Blättern, die sie im Wald fanden.“ | |
Keine deutsche Stadt wird so eng mit den alliierten Bombenangriffen | |
verbunden wie Dresden. Zwar töteten die Luftangriffe in Hamburg im Sommer | |
1943 mehr Menschen als später in Dresden, und Städte wie Köln waren den | |
Bomberflotten weit länger und massiver ausgesetzt. Doch gilt vielen | |
Deutschen allein die erst kurz vor Kriegsende zerstörte Barockmetropole als | |
Symbol des britischen und amerikanischen Angriffs auf deutsche Städte. | |
## Dresdener Demos | |
Am heutigen 13. Februar werden wieder Tausende Menschen in Dresden auf die | |
Straße gehen. Wer das warum tut, ist mittlerweile schwer zu erklären. Da | |
sind zum einen die Aktivisten von „Dresden Nazifrei“. Sie beschreiten am | |
Mittag einen „Mahngang“ auf den Spuren der deutschen Täter, um gegen den | |
„Mythos von der unschuldigen Kunst- und Kulturstadt“ anzugehen. Der | |
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und die Evangelisch-Lutherische | |
Landeskirche legen wenig später auf dem Johannisfriedhof Kränze nieder, um | |
der Luftkriegstoten zu gedenken. | |
Dann gibt es noch die offizielle Kranzniederlegung durch die | |
Oberbürgermeisterin auf dem Heidefriedhof, inklusive Vertretern politischer | |
Parteien und der sächsischen Landesregierung. Danach fahren sie zum | |
Rathaus, um zum Zeichen für „friedlichen und gewaltfreien Widerstand gegen | |
Rechtsextremismus“ eine Menschenkette zu bilden. Gemeint sind die Neonazis | |
des „Aktionsbündnisses gegen das Vergessen“, die ab 18 Uhr mit Fackeln | |
durch die Innenstadt marschieren wollen. Nicht zu vergessen sind jene, die | |
das unter dem Motto „Nicht lange fackeln – Nazis blockieren!“ verhindern | |
wollen. | |
„Wir wollten rauskommen aus dieser Gedenkroutine“, sagt Krömer. Und Niklas | |
ergänzt: „Am Anfang war die Idee, Gewaltattribute einzustricken. Aber in | |
Dresden gibt’s keine Statuen mit gezückten Schwertern. Nur neben der | |
Frauenkirche gibt’s ein kleines Kanönchen.“ Dann hatten sie die Idee mit | |
dem Panzer, und ausgerechnet die „da oben“ halfen ihnen dabei. Seither | |
stecken sie alle mittendrin im Minenfeld deutscher Erinnerungs- und | |
Gedenkkultur. | |
„Da oben“, das ist das riesige, 2011 neu eröffnete [2][Militärhistorische | |
Museum] der Bundeswehr. Ein kaiserlicher Prachtbau auf einer Anhöhe, in den | |
der amerikanische Architekt Daniel Libeskind einen stählernen Neubau | |
eingefügt hat. Ein riesiger, stählerner Stachel im Sandstein. Ein Zeichen | |
dafür, dass in Deutschland selbst das Militär nach zwei Weltkriegen nicht | |
einfach weitermacht, als sei nichts geschehen. Das Dresdner Museum ist so | |
anders als etwa das waffenstarrende Imperial [3][War Museum in London], | |
dass Militaria-Liebhaber es enttäuscht verlassen. Dafür wird es vom | |
deutschen Feuilleton geliebt und sogar von der Linkspartei. | |
## "Ihr verstrickt Euch" | |
Nach „oben“ müssen jetzt auch Krömer und Niklas, raus in die Februarkält… | |
Gleich ist auf dem Museumsvorplatz die Präsentation des Panzers. Sie wissen | |
noch nicht so recht, was sie sagen sollen. Aber das ist auch nicht mehr | |
wichtig. Schon jetzt haben sie etwas Erstaunliches geschafft: Sie haben | |
Linke und Rechte in Ablehnung vereint. | |
„Ihr verstrickt euch!“ steht auf dem Flugblatt eines linken „Bündnisses | |
gegen Verstrickungen“. Im November empörten sich die anonym bleibenden | |
Autoren über den damaligen Plan, einen T-34 einzustricken: „den Panzer, den | |
die Rote Armee zur Verteidigung der Sowjetunion und zur Abwehr des | |
deutschen Vernichtungskrieges einsetzte“. Schlusssatz des Flugblatts: „Eure | |
rechten Maschen verhöhnen die Opfer des Vernichtungskrieges!“ | |
Was tun? Einen Wehrmachtspanzer hatte das Museum nicht parat. Schließlich | |
entschied sich die Museumsleitung für einen Leopard 1: einen Panzer aus | |
bundesdeutscher Produktion. | |
Auf Facebook machten sich jetzt andere als die Linken Luft: Ein Mann | |
schrieb: „Macht euch nur weiter ’zum Affen‘ mit derlei sinnlosen und | |
lächerlichen Aktionen! Unwürdig für DIE zentrale militärische | |
Ausstellungsinstitution in Deutschland! Statt Fahrzeuge, Gerät und | |
eindrucksvolle Sammlungsstücke in geeignetem Rahmen zu zeigen, lieber solch | |
ein Unfug … :-(((“ | |
Ein anderer schrieb: „Peinlich. Und auch für die schrägen Vögel halten | |
unsere Soldaten und Soldatinnen ihren Kopf hin. Sorry, aber so ein Unfug | |
gehört nicht ins MHM.“ | |
## Ein bunter Strampler | |
Das Blau des Himmels ist einem schmutzigen Grau gewichen, ein eisiger Wind | |
weht vor dem Museum. Die „schrägen Vögel“ haben sich für die Präsentati… | |
umgezogen. Dem Anlass entsprechend tragen sie Wollstrumpfhosen. Um sie | |
herum harren etwa 40 Leute aus: Kameraleute, Journalisten, | |
Museumsmitarbeiter. Der Panzer ist eingehüllt in einen bunten Strampler. | |
Auf einem Wollstück prangt das Friedenssymbol, auf einem anderen die | |
Friedenstaube. Neben dem Panzer steht ein kleines Schild: „Material: 42.500 | |
Kilo Leopard 1, 36 Kilo Wolle“. | |
Jonas, elf Jahre, hat mitgestrickt. Sein Vater, ein Lehrer, hat ihn darauf | |
gebracht: „Das Stricken haben uns die Omas – äh: die alten Damen – | |
beigebracht.“ Eine alte Frau blickt auf den Panzer und fragt laut: „Wo bin | |
ich denn? Ach da, am Rohr.“ | |
Barbara Niklas wiederholt, was sie schon häufig gesagt hat: dass es bei | |
ihrem Projekt nicht nur um die Opfer der Stadt Dresden gehe, sondern um die | |
Zukunft. „Mit einem Leopard 1 kann man sich viel besser mit Gegenwart und | |
Zukunft auseinandersetzen als mit einem T-34.“ Niklas und Krömer frieren. | |
Der Einzige, der wirkt, als könne er den ganzen Tag in der Kälte stehen, | |
ist ein schmaler Mann mit Brille. Matthias Rogg ist der Museumsdirektor. | |
Ohne ihn gäbe es keinen eingestrickten Panzer und keine Debatte übers | |
richtige Erinnern. Rogg ist Offizier, sieht aber aus wie ein | |
protestantischer Pfarrer mit Spaß an der Gemeindearbeit. Während er redet, | |
lächelt er immerzu vor Vergnügen: „So eine Aktion in der DDR, wäre das | |
möglich gewesen? Nein. Die Waffe, vor allem die eigene, war etwas fast | |
Heiliges. Das ist heute anders.“ | |
Ausgerechnet ein Offizier der Bundeswehr scheint sich am meisten über die | |
Kontroverse zu freuen. Lächelnd sagt er: „Eine Kontroverse, das will jeder | |
Künstler. Wenn der Begriff ’Guerilla Knitting‘ irgendwo passt, dann hier.�… | |
Danach geht es ins warme Foyer. Es gibt Kaffee, Kuchen und Wolle. Eine Frau | |
kriegt Applaus, weil sie Plätzchen mitgebracht hat, die aussehen wie quer | |
stehende DDR-Ampelmännchen. Auch sie sind ein Symbol gegen Krieg, | |
irgendwie. Wäre es nicht ein tolles Zeichen, fragt sie in die Runde, bis | |
zum symbolträchtigen 13. Februar ganz viele von ihnen zu backen? „Ich hab | |
samt Puderzucker und Färbemittel alles dabei.“ | |
13 Feb 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.louisenkombinaht.de/ | |
[2] http://www.mhmbw.de/ | |
[3] http://www.iwm.org.uk/ | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
Matthias Lohre | |
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