# taz.de -- Soziologin über DDR-Frauenbewegung: "Beschränkte Emanzipation" | |
> Vor 20 Jahren gründete sich der Unabhängige Frauenverband (UFV) in der | |
> DDR. Mitgründerin Tatjana Böhm über die Rolle des UFV bei den "Runden | |
> Tischen" und die Nicht-Reflexion von Unterdrückung in der DDR. | |
Bild: Klassische Frauenbilder in der DDR. | |
Mit Jubel gründete sich vor 20 Jahren der Unabhängige Frauenverband (UFV). | |
Jetzt ist das Symbol der ostdeutschen Frauenbewegung vergessen. | |
Mitgründerin Tatjana Böhm über das, was Ostfrauen wollten, was daraus wurde | |
und was sich die CDU bei ihnen abgeguckt hat | |
taz: Frau Böhm, vor 20 Jahren, am 6. Dezember 1989, hat sich der | |
Unabhängige Frauenverband gegründet. Bei den diesjährigen Feierlichkeiten | |
zum Mauerfall aber wurde das mit keinem Wort erwähnt. Warum nicht? | |
Tatjana Böhm: Spielten Frauen in den Debatten zum Mauerfall überhaupt eine | |
Rolle? Jetzt scheint es so, als seien an den Ereignissen vor 20 Jahren nur | |
Männer beteiligt gewesen. | |
Dabei mischten sich Frauen im Herbst 1989 lautstark in die | |
gesellschaftliche Debatte ein, zum Beispiel mit dem feministischen Manifest | |
"Ohne Frauen ist kein Staat zu machen". | |
Darin entwickelten wir alternative Gesellschaftsmodelle, zum Beispiel das | |
eines anderen Sozialismus, den sogenannten dritten Weg, der sich jenseits | |
des realen Sozialismus der DDR und des Kapitalismus der BRD bewegen sollte. | |
Wir hatten die Vorstellung von einem demokratischen Land, in dem Frauen und | |
Männer gleichberechtigt sind. | |
Die Frauen von damals haben sich heute aber auch nicht zu Wort gemeldet. | |
Stimmt. Aber wurden sie gefragt? Es sind immer dieselben, die in diesem | |
Jahr auftauchen: Bärbel Bohley, Marianne Birthler, Vera Lengsfeld. | |
Ausgerechnet die haben sich frauenpolitisch nicht hervorgetan. | |
Richtig, aber sie haben anderes in der Demokratiebewegung geleistet. Und | |
leider sind "normale" Frauen, die damals an vorderster Front dabei waren, | |
die Demos organisiert und Flugblätter geschrieben haben, für Medien heute | |
nicht interessant. | |
Warum nicht? | |
Ganz offensichtlich wird selbst beim Thema Wiedervereinigung nicht über | |
Geschlechterstereotype nachgedacht. Heraus kommt dann diese männlich | |
dominierte Sicht auf die Ereignisse und eine Geschichtsschreibung, die ich | |
ahistorisch nenne. | |
Bleibt den Frauen also nichts anderes, als sich selbst zu feiern, was sie | |
am Wochenende in der Berliner Volksbühne, wo sie den UFV gegründet haben, | |
tun. | |
Das war ein einmaliger Tag damals. Ich saß mit anderen Frauen auf der | |
Bühne, hinter uns dieses unglaubliche Bühnenbild: weiße Wäsche auf einer | |
langen Leine. Und dann kletterten immer wieder neue und völlig | |
unterschiedliche Frauengruppen auf die Bühne: Feministinnen, Land- und | |
Kirchenfrauen, Lesben, Autonome, Öko-Frauen. Es war laut, es war hitzig, | |
die Volksbühne war überfüllt, sodass am Ende selbst der Feuerwehrmann | |
kapitulierte, der eigentlich dafür sorgen sollte, dass nicht mehr Leute | |
reinkommen als reinpassen. | |
Was sollte der UFV bringen? | |
Wir wollten das politische Feld nicht den Männern überlassen, wir mischten | |
da aktiv mit. Und wir wollten sozial nicht hinten runterfallen. | |
Ist das gelungen? | |
Für einen kurzen Moment, ja. Da gab es so etwas wie die Einbindung | |
weiblicher Kompetenzen in den Demokratisierungsprozess: Wir haben den | |
Abtreibungsparagrafen 218 auf die Agenda gehoben, den Erhalt sozialer | |
Standards gefordert und die geschlechtsneutrale Ausschreibung von Berufen | |
in den Vereinigungsvertrag geschrieben. | |
Die veränderte Sprache war neu für den Osten. | |
Absolut. Vorher wurde nie darüber debattiert, ob eine Frau Lehrer oder | |
Lehrerin ist. Wir mussten erst mal klar machen, dass es hierbei nicht | |
formal um eine weibliche Wortwahl geht, sondern um geschlechterstereotype | |
Sichtweisen, darum, dass unterschiedliche politische und wirtschaftliche | |
Prozesse unterschiedliche Konsequenzen haben. An dieser Stelle haben wir | |
Regine Hildebrandt … | |
… der früheren Sozialministerin in Brandenburg, die 2001 an Krebs gestorben | |
ist … | |
… viel zu verdanken. Sie hat Ostfrauen immer wieder in den Mittelpunkt | |
ihrer Politik gerückt. Sie wurde nie müde zu betonen, dass Ostfrauen | |
genauso gut sind wie Männer und genauso gut ausgebildet. Damit hat sie in | |
jeder Talkshow genervt. | |
Soziale Grund- und Frauenrechte sind nach der Wiedervereinigung massiv | |
abgebaut worden. Im Nachhinein scheint es fast so, als haben sich die | |
Ostfrauen diese Rechte viel zu leicht abnehmen lassen. | |
Wir haben hart gekämpft, zumindest wir Aktivistinnen. Einmal hatte ich ein | |
Gespräch mit der damaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, und die | |
sagte: Tun Sie alles dafür, um die Kitas zu erhalten. Aber solche | |
Entscheidungen lagen zu dieser Zeit schon längst bei der Bundesregierung. | |
Und dann gab es zu Beginn der Neunzigerjahre die ersten Gutachten, die | |
besagten, dass die gemeinschaftliche frühe Erziehung in der DDR Kindern nur | |
schadet. | |
Wie haben Ostfrauen darauf reagiert? | |
Manche haben sich gewundert, andere gegen einen solchen Unsinn protestiert. | |
Aber ein paar haben es auch akzeptiert. | |
Genutzt haben die Proteste wenig. | |
Die Definitionsmacht darüber lag ja inzwischen ganz woanders, und der | |
Mainstream gegen das ostdeutsche Kita-System war enorm. Und irgendwann | |
waren wir auch müde: Wir Ostfrauen mussten uns ja ständig rechtfertigen für | |
unser Leben. Und dann das Gerede westdeutscher männlicher Politiker über | |
die "ungebrochene Erwerbsneigung" der Ostfrauen, ein Phänomen, das mit | |
einem Mal sehr kritisch beäugt wurde. Wer spricht eigentlich von männlicher | |
Erwerbsneigung? | |
Die bis vor Kurzem amtierende Familienministerin Ursula von der Leyen hat | |
die Kita-Betreuung gesellschaftsfähig gemacht. Hat die CDU-Politikerin sich | |
das von den Ostfrauen abgeguckt? | |
Hat sie, aber das sagt sie nicht. Das empfinden viele Ostfrauen als | |
Kränkung, vor allem jene, die vor 20 Jahren Kinder hatten und wissen, dass | |
es Quatsch ist zu sagen: Das Kita-Modell, das wir heute präferieren, stammt | |
aus Skandinavien. Warum kann heute niemand sagen, dass diese Struktur aus | |
dem Osten übernommen wurde? Dieses Bekenntnis schließt eine kritische | |
Betrachtung gleichgeschalteter Erziehungsmethoden und Erziehungsstrukturen | |
doch nicht aus. | |
Was haben Ostfrauen in die Einheit eingebracht? | |
Neben ihrer "ungebrochenen Erwerbsneigung" zum Beispiel die Normalität, die | |
damit verbunden ist. Dass sie einfach machen und nicht lange darüber reden. | |
Viele Ostfrauen sagen heute noch immer, sie seien Lehrer oder Bauarbeiter. | |
Haben die nichts gelernt? | |
Sie reflektieren leider nicht die Diskriminierung, die hinter solchen | |
Formulierungen steckt. Damals reichte es vielen, Arbeit zu haben und | |
dadurch finanziell unabhängig zu sein. Aber das schloss eine kritische | |
Auseinandersetzung mit den patriarchalen Strukturen der DDR aus. | |
Und was ist mit der Dreifachbelastung der Frauen? | |
Die wurde von vielen Frauen nicht als Diskriminierung wahrgenommen, sondern | |
als Unbehagen, als eine Frage schlechter Organisation. Ich bezeichne das | |
immer als eine beschränkte Emanzipation bei nichtreflektierter | |
Unterdrückung. | |
Was haben Ostfrauen nach dem Fall der Mauer gewonnen? | |
Bürgerliche Freiheitsrechte: Reisefreiheit, Versammlungsfreiheit, | |
Meinungsfreiheit. Selbst die Freiheit, das Gattinnenprojekt zu leben. Aber | |
das machen ja nur wenige. | |
4 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
U. Helwerth | |
S. Schmollack | |
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